Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Präsentation des Handbuchs für Gerichtspräsidenten erstinstanzlicher Gerichte zu praktischen Fragen der Gerichtsverwaltung im Rahmen des EU-Projekts in Bischkek: Ajnasch Tokbaeva, Präsidentin des Obersten Gerichts (1. Reihe, Mitte) neben verschiedenen Gerichtspräsidentinnen und -präsidenten sowie Langzeit- und Kurzzeitexperten des EU-Grant-Projektes
Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Präsentation des Handbuchs für Gerichtspräsidenten erstinstanzlicher Gerichte zu praktischen Fragen der Gerichtsverwaltung im Rahmen des EU-Projekts in Bischkek: Ajnasch Tokbaeva, Präsidentin des Obersten Gerichts (1. Reihe, Mitte) neben verschiedenen Gerichtspräsidentinnen und -präsidenten sowie Langzeit- und Kurzzeitexperten des EU-Grant-Projektes

Rechtspolitische Ausgangslage

Das wichtigste innenpolitische Ereignis des Berichtsjahres in Kirgisistan waren die Präsidentenwahlen im Oktober. Trotz einiger Kritik internationaler Wahlbeobachter entsprach der Wahlablauf mit seinem kompetitiven Charakter und einer – entgegen vorherigen Befürchtungen – friedlich erfolgten Machtübergabe demokratischen Standards. Der Sozialdemokrat und Ex-Regierungschef Sooronbaj Scheenbekow entschied die Präsidentenwahl für sich.

Als parlamentarische Republik steht Kirgisistan in Zentralasien weiterhin im Kontrast zu den autokratisch geprägten Nachbarländern. Die politische Lage ist jedoch keineswegs stabil. Im Berichtsjahr sind viele Regierungsmitglieder zurückgetreten. Die Wirtschaftskrise hält an und von einer ethnisch und religiös ausgeglichenen Gesellschaft mit verlässlichen demokratischen Mechanismen ist das Land noch weit entfernt. Der Wandel zu einem modernen demokratischen Staat ist auf vielen Ebenen erkennbar, aber braucht noch viel Zeit.

Ungeachtet der Reformbemühungen leidet auch das Justizsystem weiterhin an erheblichen Mängeln und genießt kein hohes Ansehen in der Bevölkerung. Die Professionalität bei der Ausübung juristischer Berufe muss gesteigert werden; die moderne Infrastruktur von Gerichten und Behörden ist weiterhin auszubauen, die Verfestigung rechtsstaatlicher Verfahren und Verringerung von Korruption sind erklärte Ziele. Die internationale Beratung der IRZ erfolgt sowohl auf bilateralem Wege als auch im Rahmen der Implementierung des großvolumigen EU-Grant-Projekts „Promotion of Rule of Law in the Kyrgyz Republic“, an dem die IRZ als Juniorpartner beteiligt ist.

Konzeption

Die bilateralen Aktivitäten der IRZ konzentrierten sich in den letzten Jahren schwerpunktmäßig auf eine Unterstützung der kirgisischen Anwaltschaft, die sich seit dem Inkrafttreten des „Gesetzes über die Anwaltschaft“ vor drei Jahren im Wandel befindet und sich selbst verwaltet.

In einem gefestigten Rechtsstaat existiert eine starke, unabhängige Anwaltschaft. Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten kommt bei der Gewährleistung des Zugangs zum Recht eine besondere Rolle zu. Die Beratung und Vertretung von Mandantinnen und Mandanten erfordern neben einem fundierten juristischen Fachwissen einen sensiblen und wertschätzenden Umgang sowohl mit Menschen und ihren Anliegen als auch mit Kolleginnen und Kollegen, Gerichten und am Rechtsstreit beteiligten Institutionen. Die rasante digitale Entwicklung erfasst zunehmend den Rechtsberatungsmarkt und stellt auch die kirgisische Anwaltschaft vor neue Herausforderungen.

So ergab sich Beratungsbedarf zu den Grundlagen von Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für die kirgisische Anwaltschaft aufgrund des oftmals unprofessionellen Umgangs der Anwälte mit kirgisischen Medien, wegen unkollegialer und ethisch bedenklicher Äußerungen in sozialen Netzwerken sowie wegen der Weitergabe bzw. Veröffentlichung von vertraulichen Mandanteninformationen über soziale Netzwerke oder an Medien.

Deutsche Expertinnen und Experten vermittelten bei einem Seminar in Bischkek Expertise zum professionellen Umgang mit modernen Medien, indem neben den Vorträgen insbesondere zahlreiche Beispiele aus der Praxis erörtert und mit den Teilnehmenden diskutiert wurden.

Erstmalig wurde einer Delegation des kirgisischen Anwaltsrates im Rahmen einer Studienreise zu praktischen Fragen anwaltlicher Tätigkeit die Teilnahme am 3. Internationalen BRAK-Forum „Unabhängigkeit der Selbstverwaltung – Sache der Anwaltschaft“ in Berlin ermöglicht. Hierdurch konnte ein wichtiger Beitrag zur Stärkung internationaler Kontakte der kirgisischen Anwaltschaft und besonders zum Fachaustausch mit Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Ländern geleistet werden.

Eine erste gemeinsame Veranstaltung mit dem Parlament der Kirgisischen Republik in Bischkek diente dem Austausch von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des kirgisischen Parlaments mit deutschen Expertinnen zum Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens einschließlich der Evaluierung und der Gesetzesfolgenabschätzung. Letztere wurde mit aktiver Beteiligung der Teilnehmenden anhand von Teilen eines vorher ins Deutsche übersetzten kirgisischen Gesetzes vorgenommen und analysiert. Im Laufe der Auswertung wurden nachteilige Aspekte bei der Implementierung der Regelungen veranschaulicht. Es gelang damit, eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen, in der die kirgisischen Zuhörerinnen und Zuhörer die ihnen wichtigen Punkte ansprachen und regen Austausch auf Kollegenebene suchten.

Tätigkeitsschwerpunkte 2017

Rechtspflege

  • Studienreise für eine Delegation des kirgisischen Anwaltsrates zu praktischen Fragen anwaltlicher Tätigkeit und Teilnahme am 3. Internationalen BRAK-Forum „Unabhängigkeit der Selbstverwaltung – Sache der Anwaltschaft“ in Berlin
  • Workshop in Bischkek mit dem Anwaltsrat der Kirgisischen Republik zur Kommunikations- und Informationspolitik, zur Öffentlichkeitsarbeit und zur Außenwirkung von Anwaltskammern einschließlich Nutzung von Internet und sozialen Medien

Öffentliches Recht

  • Workshop zu Gesetzgebungsverfahren und Gesetzesfolgenabschätzung mit dem Parlament der Kirgisischen Republik in Bischkek

Von der Europäischen Union finanziertes Projekt

EU-Grant-Projekt: Promotion of Rule of Law in the Kyrgyz Republic

Das Projekt mit einem Volumen von 9,5 Mio Euro wird seit 2014 mit einem von der GIZ geführten Konsortium umgesetzt. Die IRZ beteiligt sich als Juniorpartner mit zwei Langzeitexperten, die in den Themenkomplexen Gerichtsorganisation, elektronische Justiz und Gesetzgebung tätig sind. Das Langzeitexpertenteam wird dabei von Kurzzeitexpertinnen und -experten aus Deutschland und anderen Ländern Europas unterstützt.

Ziel des Projekts ist die Verfestigung eines rechtsstaatlich ausgerichteten Justiz- und Gerichtswesens. Die vom Projekt unterstützten Reformbestrebungen der kirgisischen Regierung und der staatlichen Institutionen sind auf Erhöhung der Effektivität der Justizverwaltung, Schaffung von Transparenz und Glaubwürdigkeit für die Justiz- und Gerichtstrukturen sowie Bekämpfung der Korruption gerichtet. Die inhaltlichen Schwerpunkte der IRZ-Komponente umfassen die Modernisierung des Gerichtsbetriebs einschließlich der Einführung eines elektronischen Akten- und Gerichtsinformationssystems bzw. Gerichtsmanagements (E-Justice) sowie Reformen in der Gesetzgebung.

Im letzten Projektjahr konzentrierten sich die Aktivitäten vor allem auf die Umsetzung von zuvor erarbeiteten Verbesserungsmaßnahmen und Schulungen für Rechtsanwenderinnen und -anwender, jeweils mit praktischer Ausrichtung. Für zehn kirgisische Gesetzgebungsexperten wurde im Berichtsjahr eine weitere Studienreise nach Berlin und Potsdam organisiert. Insgesamt hat die IRZ-Komponente mehr als 300 Mitglieder der Beamten- und Rechtsanwaltschaft sowie Lehrkräfte von Universitäten im Bereich Gesetzgebungstechnik während der bisherigen Projektlaufzeit fortgebildet.

Im Bereich Justizverwaltung wurde eine Arbeitsgruppe bei der Ausarbeitung eines Beurteilungssystems für Richterinnen und Richter mit umfangreicher Expertise unterstützt. Im Sommer des Berichtsjahres konnte ein Entwurf des neuen Systems mit allen zur Umsetzung notwendigen Gesetzesakten als Ergebnis vorgelegt werden und wird derzeit begutachtet. Darüber hinaus leistete das Projekt einen entscheidenden Beitrag bei der Erstellung und Veröffentlichung eines Handbuchs für Gerichtspräsidentinnen und -präsidenten zu praktischen Fragen der Justizverwaltung, welches in Zukunft auch als Grundlage für Schulungsmaßnahmen dienen soll. Zum Themenkomplex E-Justice ist die Einführung eines elektronischen Gerichtsaktenverwaltungssystems an drei Pilotgerichten hervorzuheben. Das Projektteam hat außerdem die Regierung der Kirgisischen Republik bei der Ausarbeitung eines Handbuchs zur Rechtsförmlichkeit untergesetzlicher Normen erfolgreich beraten und mit den Vorbereitungen für die Digitalisierung des Gesetzgebungsverfahrens angefangen.

Nach Beendigung der Projektlaufzeit im April 2018 ist eine zweite, auf viereinhalb Jahre angelegte Phase mit IRZ-Beteiligung vorgesehen. Die genannten und und weitergehenden inhaltliche Schwerpunkte werden währenddessen fachlich vertieft und ausgebaut.

Ausblick

Die IRZ wird auch künftig bilaterale Maßnahmen mit den bewährten Projektpartnern umsetzen, um das Bewusstsein für rechtsstaatliche Grundsätze bei Gesetzgebung und Rechtsanwendung zu stärken. Um nachhaltige Beratungserfolge zu erzielen, wird weiterhin besonderes Augenmerk auf praxisbezogene Schulungen der jeweiligen Rechtsanwenderschaft gelegt.

In der Anschlussphase des EU-Projekts „Promotion of Rule of Law in the Kyrgyz Republic“ werden weiterhin Unterstützung von Rechtsreformen und Förderung der Rechtsstaatlichkeit in der gesamten kirgisischen Justiz im Mittelpunkt stehen. Im Rahmen einzelner Aktivitäten wird angestrebt, die Kompetenzen der zentralen Justizinstitutionen zu stärken, indem den Verantwortungsträgerinnen und -trägern praktische Kenntnisse, konkrete Instrumente und fundierte Expertise vermittelt werden, um den Gesetzgebungsprozess effizienter zu gestalten und die Funktionsfähigkeit der Justizstrukturen nachhaltig zu verbessern.