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- Veröffentlicht: Mittwoch, 18. Mai 2016
Türkei - Jahresbericht 2015

Strategische Rahmenbedingungen
Rechtspolitische Ausgangslage
Die politische Situation in der Türkei ist seit dem Frühsommer 2013 sehr turbulent, als die Gezi-Park-Bewegung das Land erschütterte und sich die ohnehin bestehende starke Polarisierung der politischen Lager verschärfte. Die türkische Gesellschaft ist nach wie vor durch große Spannungen geprägt, was sich in der politischen Landschaft widerspiegelt.
Bei den Parlamentswahlen im Juni verfehlte die islamisch-konservative Regierungspartei AKP, die seit 2002 kontinuierlich mit absoluter Mehrheit regiert hatte, die Mehrheit der Mandate. Zum ersten Mal in der Geschichte der Republik Türkei überwand mit der demokratisch-sozialistischen HDP eine Partei die Zehn-Prozent Hürde, die Anliegen der kurdischen Bevölkerung vertritt. Nachdem eine Koalitionsbildung innerhalb der vorgegebenen Frist von 45 Tagen nach der Wahl nicht gelungen war, erfolgten am 1. November Neuwahlen, die nach dem amtlichen Endergebnis wieder eine absolute Mehrheit für die AKP und damit die Möglichkeit einer weiteren Alleinregierung ergaben.
Die seit 2013 andauernden politischen Spannungen führten auch zu erheblichen personellen Änderungen im Justiz- und Polizeiapparat, was Auswirkungen auf die Arbeit der IRZ in der Türkei hatte. Der dieser politischen Situation geschuldete Austausch zahlreicher vorheriger Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner führte zu Unwägbarkeiten in der Zusammenarbeit, die sich bis dahin kontinuierlich verfestigt hatte. In Gesprächen mit den Partnerinstitutionen in Ankara konnten dennoch die Grundlagen für eine Fortsetzung der Zusammenarbeit auch mit den neuen Ansprechpartnern in Schlüsselpositionen gelegt werden, und der grundsätzliche Kooperationswille der türkischen Partner ist weiterhin erkennbar. Darauf aufbauend wird die in den letzten Jahren umgesetzte, gut funktionierende Kooperation weitergeführt werden, um durch Fortsetzung des deutsch-türkischen Juristendialogs die rechtsstaatlichen Strukturen in der Türkei zu stärken.
Konzeption
Seit 2007 unterstützt die IRZ die umfassende Justizreform in der Türkei. Nachdem in den Vorjahren die Zahl der Partner und Projekte stetig gewachsen war, war das Jahr 2015 eher davon geprägt, bereits laufende Projekte zum Abschluss zu bringen und zusammen mit den neu gewonnenen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern Eckwerte für die weitere Kooperation zu eruieren.
Arbeitsschwerpunkte waren somit die in den laufenden Projekten behandelten Fragen zum Zeugenschutz, zum Prozessrecht und Gerichtssachverständigenwesen, aber auch zur Einführung von Justizpressestellen. Weiterhin wurden im zuwendungsfinanzierten Bereich als Ergänzung und Fortführung bereits abgeschlossener Twinning-Projekte Fragen zum Instanzenzug in Deutschland sowie zu strafrechtlichen Themen wie Opferschutz, häusliche Gewalt oder auch Internet-Kriminalität behandelt.
Hauptpartner der IRZ sind das türkische Justizministerium, die Richterakademie, die Rechtsanwaltskammer, die Notarkammer, der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte, der Oberste Gerichtshof (Yargitay), die Generalstaatsanwaltschaft beim Yargitay und der Staatsrat (Danistay).
Tätigkeitsschwerpunkte 2015
Verfassungsrecht / Menschenrechte und deren Durchsetzbarkeit
- Studie zur Rechtsstaatsförderung in der Türkei
- Studienreise einer Delegation der Generalstaatsanwaltschaft am Kassationshof der Republik Türkei zum Thema „Instanzenzug in Deutschland" nach Karlsruhe
Zivil- und Wirtschaftsrecht
- Deutsch-Türkisches Forum der Rechtspolitik zum Thema „Konzernrecht: Regelung, Praxis und Probleme" zusammen mit der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Bilkent Universität in Ankara
Strafrecht und Strafvollzugsrecht
- Studienreise einer Delegation der Generalstaatsanwaltschaft am Kassationshof der Republik Türkei zu den Themen Opferschutz und Häusliche Gewalt nach Berlin
- Studienreise zum Thema Internetkriminalität nach Berlin
EU-Twinning-Projekte
- Twinning-Projekt zum Zeugenschutz mit der türkischen Polizei (seit 08/2013 bis 04/2015)
- Twinning-Projekt mit dem türkischen Justizministerium zur Einführung von Justizpressesprechern (seit 05/2013 bis 10/2015)
- Twinning-Projekt mit dem türkischen Justizministerium zu Gerichtssachverständigen (seit 01/2013 bis 06/2015)
Ausblick
Die IRZ wird ihre Beratungstätigkeit in der Türkei auch 2016 fortsetzen. Übergreifendes Projektziel ist die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit mit einem Schwerpunkt auf der zu langen Dauer gerichtlicher Verfahren mit ihren Ursachen und Auswirkungen. Dieser Umstand wurde in der Vergangenheit bereits mehrfach sowohl durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als auch durch den Kommissar für Menschenrechte beim Europarat beanstandet.
Auch mit den universitären Partnern wird die IRZ weiter zusammenarbeiten. Zu den bereits beendeten Twinning-Projekten, insbesondere zum Thema Zeugenschutz, werden bilaterale Follow-up-Maßnahmen geplant.
Ergänzend zur bilateralen Arbeit im Auftrag und mit Mitteln des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz wird für das Jahr 2016 eine Zusammenarbeit mit der Stiftung Mercator GmbH zum Thema „Förderung der Rechtsstaatlichkeit in der Türkei" avisiert. In diesem Rahmen könnten in Kooperation mit den türkischen Partnern eine Reihe von Veranstaltungen durchgeführt werden.