Kosovo – Jahresbericht 2024
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- Veröffentlicht: Donnerstag, 04. September 2025
Strategische Rahmenbedingungen
Rechtspolitische Ausgangslage
Kosovo hat am 15. Dezember 2022 offiziell seinen Antrag auf EU-Mitgliedschaft gestellt. Die Geschwindigkeit des Annäherungsprozesses hängt wesentlich von den Fortschritten Kosovos bei der Übernahme des Aquis communautaire ab, insbesondere in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit und Aufbau einer funktionierenden Marktwirtschaft. Allerdings ist Kosovo weiter durch den anhaltenden Konflikt mit Serbien innen- und außenpolitisch belastet. Dieser Umstand und die Nichtanerkennung Kosovos von einigen EU-Mitgliedstaaten lässt auf keinen schnellen EU-Beitrittsprozess hoffen. Zudem bleibt auch die Lage im Norden Kosovos weiterhin angespannt. Die vom Europäischen Rat und Europäischen Parlament 2022 beschlossene Visaliberalisierung für Kosovo trat am 1. Januar 2024 in Kraft.
Konzeption
Nicht erst seit dem eingeleiteten Beitrittsprozess zur Europäischen Union ist Kosovo ein wichtiger Partnerstaat der IRZ. Das Land ist aktiv an der Umsetzung des von der EU entwickelten Wachstumsplans für die westlichen Balkanstaaten beteiligt, der sich unter anderem auf die schrittweise Integration in den Binnenmarkt der Europäischen Union, auf regionale wirtschaftliche Integration und grundlegende Reformen stützt. Die IRZ verfolgt deshalb auch in ihren Partnerstaaten im Westbalkan einen regionalen Ansatz, indem sie grenzüberschreitende Veranstaltungen zur Unterstützung der EU-Beitrittsprozesse durchführt. Dabei wird gleichzeitig der individuelle Beratungsbedarf nicht aus den Augen verloren. Durch gemeinsame Veranstaltungen können Synergien genutzt werden, zum Beispiel bei der Verfahrensbeschleunigung gemäß Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention, bei allgemeinen Menschenrechtsthemen und bei der Förderung der Europaorientierung von juristischem Nachwuchs.
Tätigkeitsschwerpunkte 2024
Verfassungsrecht/Menschenrechte und deren Durchsetzbarkeit
- Gemeinsame Konferenz des kosovarischen Verfassungsgerichts und des kosovarischen Obersten Gerichts zum Thema „Zugang zur Justiz, insbesondere Schutz von vulnerablen Gruppen“ in Thessaloniki
Rechtspflege
- Seminar zum Thema „Interne und externe Kommunikation von Justizbehörden: Nutzung von sozialen Medien“ für Pressesprecherinnen und Pressesprecher der Justizakademie und der Staatsanwaltschaft in Pristina
Straf- und Strafvollzugsrecht
- Beratungen zum Thema Auslieferungen mit dem kosovarischen Justizministerium in Pristina
Zivil- und Wirtschaftsrecht
- Workshop zur internationalen rechtlichen Zusammenarbeit in Zivilsachen (Haager Übereinkommen) mit der kosovarischen Justizakademi
Von der Europäischen Union finanziertes Projekt EU-Grant-Projekt EUKOJUST
Im Juli 2024 endete ein EU-finanziertes „Leuchtturmprojekt“ zur Justizreform in Kosovo, das die IRZ gemeinsam mit dem niederländischen Partner CILC und dem kroatischen Ministerium für Justiz und Verwaltung seit Oktober 2020 über 46 Monate umgesetzt hatte. Mit einem Volumen von sieben Millionen Euro war es eines der größten Vorhaben, das die IRZ je in Federführung durchgeführt hat. Es begleitete die kosovarischen zentralen Einrichtungen der Justiz, allen voran das Justizministerium, den Justizrat und den Staatsanwaltschaftsrat, die Justizakademie, die Rechtsabteilung des Premierministerbüros sowie weitere zentrale Akteure aus Justiz und Zivilgesellschaft in einer wichtigen Reformphase. Ziel war die umfassende Unterstützung der kosovarischen Justiz bei der Umsetzung der breit angelegten Justizreform. Der Schwerpunkt lag dabei auf der Steigerung der Effizienz und Transparenz des Justizsystems, der Entwicklung und Harmonisierung des Rechtsrahmens und der weiteren Verbesserung der Qualität der Justiz für alle Bevölkerungsgruppen in Kosovo.
Die Projektumsetzung fiel in die Regierungszeit der linken Reformbewegung „Vetëvendosje“ (Selbstbestimmung), die dafür angetreten war, gegen Korruption in der Justiz vorzugehen und wichtige Justizreformen konsequent zu betreiben. Diese Positionierung führte zu großer Kooperationsbereitschaft seitens des Justizministeriums mit dem Projekt sowie mit den einzelnen Akteuren aus der Justiz und damit zu einer hohen Dynamik in der Planung und Umsetzung der Projektaktivitäten.
So gelang es etwa, sich auf die Grundlinien einer einheitlichen Justizdigitalisierung zu verständigen, die in einer Digitalisierungsstrategie formalisiert werden soll. Diese Strategie wird auf Grundlage der bestehenden IT-Systeme mit Blick auf die Anforderungen internationaler und europäischer Einrichtungen (etwa EUROPOL) hinsichtlich Datensicherheit, Transparenz, Statistiken und Informationsaustausch entwickelt. Zugleich führte das Projekt Standards für zahlreiche Arbeitsprozesse in der Justizverwaltung ein, um die bestehenden Systeme mit einheitlichen und korrekten Verfahrensdaten zu speisen und so die Zuverlässigkeit der Daten zu erhöhen.
Mit Blick auf die Vorbereitung der Institutionen auf einen künftigen EU-Beitrittsprozess gelang es dem Projekt, in enger Zusammenarbeit mit der Rechtsabteilung des Premierministerbüros, ein einheitliches thematisches Vorprüfungskonzept zur Rechtsharmonisierung einzuführen. Dieses beinhaltet rechtlich verbindliche Prüfungsmechanismen für die Ministerien bei jeder Gesetzesinitiative oder -reform, um zu ermitteln, ob EU-Standards einzuhalten sind, und um deren Beachtung gegebenenfalls sicherzustellen. Hierin liegt ein Meilenstein für die weitere systematische Angleichung des kosovarischen Rechtsrahmens an den EU-Acquis.
Ähnlich grundlegend war das Konzept der Neustrukturierung des kosovarischen Justizministeriums, das nach einem intensiven Beratungsprozess im Dezember 2023 umgesetzt wurde. Die neue Struktur ermöglicht es dem Ministerium, die knappen Personalressourcen effektiver einzusetzen, Kompetenzen klarer abzugrenzen und die Arbeitsqualität insbesondere in den für den Beitrittsprozess zentralen Abteilungen (Rechtsabteilung, Abteilungen für europäische Integration und für internationale rechtliche Zusammenarbeit) zu verbessern. Hierfür entwickelte das Projekt umfangreiche Handbücher, Arbeitsplatzbeschreibungen und gezielte Fortbildungskonzepte.
Ein weiterer Fokus lag auf dem Opferschutz und der effizienteren, schnelleren Bearbeitung von Fällen häuslicher Gewalt, einem in Kosovo sehr virulenten Bereich. Intensive Aufklärungs- und Fortbildungsaktivitäten für die verschiedenen Verfahrensbeteiligten führten bereits während der Projektlaufzeit zu kürzeren Verfahrensdauern.
Insgesamt unterstützte das Projekt die Institutionen in Reformvorhaben zu 65 Gesetzen sowie zu 35 untergesetzlichen Normen in zahlreichen Themenbereichen (Zivilprozessgesetz, Verwaltungsgerichtsbarkeit, Ordnungswidrigkeiten- und Strafrecht). Das Team entwickelte 29 Handbücher bzw. Prozessstandards, führte über 180 Trainings und Workshops für über 4.000 Teilnehmende durch und war in allen aktuellen Reformdiskussionen wichtiger Ansprechpartner für die kosovarischen Begünstigten. Dadurch bestand, trotz zwischenzeitlicher Stagnation der Zusammenarbeit zwischen Regierung und Justiz, durchgehend eine hohe Dynamik der Projektaktivitäten. Eine von allen Seiten gewünschte Verlängerung des Projekts scheiterte bedauerlicherweise aufgrund der angespannten Lage im Norden des Landes und der Auseinandersetzung mit Serbien, weshalb die EU keine zusätzlichen Mittel freigeben konnte. Die IRZ wird versuchen, die Umsetzung wichtiger Maßnahmen auf bilateraler Basis gezielt weiter zu begleiten, und positioniert sich zudem für eine weitere Projektphase.
Ausblick
Auch 2025 wird die IRZ an die intensive und gewinnbringende Zusammenarbeit mit ihren Partnerinstitutionen in Kosovo anknüpfen. Voraussichtlich auch mit Mitteln des Auswärtigen Amts wird die IRZ außerdem regionale und grenzübergreifende Maßnahmen mit weiteren Westbalkan-Staaten umsetzen, um Synergien zu nutzen und sie bei ihren Beitrittsprozessen fachlich zu begleiten, die Rechtsstaatlichkeit zu fördern und damit die Region weiter zu stabilisieren.
Die IRZ beabsichtigt dabei auch zentrale Institutionen wie das Verfassungsgericht und das Oberste Gericht zu unterstützen und wichtige Plattformen des Fach- und Erfahrungsaustauschs und damit auch der Netzwerkbildung zu ermöglichen. Ferner soll die etablierte Kooperation unter anderem mit den verschiedenen Abteilungen des kosovarischen Justizministeriums, dem Kosovo Prosecutorial Council (KPC) und der Justizakademie fortgeführt werden. Thematisch soll der Fokus in 2025 auf dem Zugang zur Justiz unter anderem für vulnerable Gruppen liegen und gleichzeitig das Jugendstrafrecht, die Bekämpfung häuslicher Gewalt sowie die Aus- und Weiterbildung der Richter- und Staatsanwaltschaft umfassen. Im Zivilrecht sind Beratungen des Justizministeriums zur Reform der Zivilprozessordnung geplant.
Zudem ergab das mehrjährige EU-Projekt „EUKOJUST – Kosovo Justice Sector Programme“, das die IRZ federführend durchführte und das im Juli 2024 zum Abschluss kam (siehe oben), weitere Beratungsbedarfe, die im Jahr 2025 im Rahmen der bilateralen Zusammenarbeit aufgegriffen werden sollen.