Verfassungsrechtsprechung auf dem Prüfstand

Der Präsident des jordanischen Verfassungsgerichts Richter Mohammad Al Ghazo (3. v.r.) nach der Fachtagung
Der Präsident des jordanischen Verfassungsgerichts Richter Mohammad Al Ghazo (3. v.r.) nach der Fachtagung
Jordanien

Wie lassen sich Verfassungsnormen sicher und systematisch auslegen? Welche Methoden kommen dabei zur Anwendung? Und welche Rolle spielt der gesellschaftliche Wandel für die Rechtsprechung?

Diese Fragen standen im Zentrum einer Fachtagung am 14. Mai 2025 in Amman, bei der Richterinnen und Richter des jordanischen Verfassungsgerichts gemeinsam mit Prof. Dr. Michael Eichberger, Richter des Bundesverfassungsgerichts a.D., zentrale Aspekte der Verfassungsinterpretation und Urteilsfindung beleuchteten.

Das Gericht selbst ist noch jung – es wurde 2012 als Teil der Verfassungsreform eingerichtet, um erstmals eine unabhängige verfassungsgerichtliche Kontrolle zu ermöglichen. Seitdem berät die IRZ das jordanische Verfassungsgericht zu diversen verfassungsrechtlichen Themen – stets im offenen und vertrauensvollen Austausch.

Die Fachvorträge konzentrierten sich auf methodische Grundlagen der Verfassungsinterpretation – darunter teleologische, systematische und historische Auslegungsansätze – sowie auf deren konkreten Anwendung in der Rechtsprechung.

Ein zweiter Schwerpunkt lag auf der Praxis der Urteilsfindung: Wie entwickelt sich aus einem konkreten Fall eine verfassungsgerichtliche Entscheidung? Welchen Einfluss haben Präzedenzfälle? Und wie lassen sich gesellschaftliche Entwicklungen in den Entscheidungsprozess einbinden? Lebhaft diskutiert wurden hier der Einfluss eines sich wandelnden Familienbildes auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und die Urteile des Bundesverfassungsgerichts zum Tragen von Kopftüchern.

Besonders erfreulich war die aktive Rolle des Präsidenten des jordanischen Verfassungsgerichts, Richter Mohammad Al Ghazo, der die Diskussion mit fundierten Beiträgen bereicherte. Die Atmosphäre war offen und kollegial – eine gute Grundlage für den fachlichen Austausch.

Während das Thema der Verfassungsinterpretation umfassend behandelt wurde, sieht die IRZ bei der Praxis der Urteilsfindung weiteres Potenzial für vertiefende Veranstaltungen, insbesondere zu unterschiedlichen Formen verfassungsgerichtlicher Entscheidungen – etwa zur Nichtigkeit, zur Wirkung ex nunc oder ex tunc oder zu gesetzgeberischen Fristen.

Verfassungsrechtliche Tagung zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

Seminar in Amman „Vorrang der Verfassung und Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Mechanismus zur Kontrolle staatlichen Handelns“
Seminar in Amman „Vorrang der Verfassung und Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Mechanismus zur Kontrolle staatlichen Handelns“
Jordanien

Am 23. September 2024 veranstaltete die IRZ in Zusammenarbeit mit dem jordanischen Verfassungsgericht eine Fachtagung zum Thema Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, mit dem Eingriffe des Staates in Freiheitsrechte von Bürgerinnen und Bürgern eingegrenzt werden.

Ziel der Veranstaltung war es u. a. die Rolle der Verfassungsgerichtsbarkeit in Jordanien zu stärken und so mittelfristig das Vertrauen der Gesellschaft in die Justiz und insbesondere die Verfassungsgerichtsbarkeit zu stärken.  

Winfried Schubert, ehemaliger Präsident des Landesverfassungsgerichts Sachsen-Anhalt, präsentierte in seinem Vortrag die Entwicklungen in der deutschen Verfassungsrechtsprechung, insbesondere im Hinblick auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Er verdeutlichte, wie dieses Prinzip als Leitlinie für die rechtliche Prüfung staatlicher Eingriffe dient und internationale Beachtung findet.

Der Generalsekretär des jordanischen Verfassungsgerichtes Dr. Masaadeh, Richter am jordanischen Verfassungsgericht, hob in seinem Beitrag die Stabilität der seit 1952 geltenden Verfassung hervor, die durch die Gründung des Verfassungsgerichts im Jahr 2012 geschützt wird. Er erläuterte insbesondere das zweistufige Rechtsbeschwerdesystem in Jordanien und die Funktion des Verfassungsgerichts als Normkontrollorgan.

Ein weiterer Programmpunkt war die Diskussion über die neuesten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die verdeutlichte, wie das deutsche Verhältnismäßigkeitsprinzip Anwendung findet. Die Veranstaltung ermöglichte einen intensiven Austausch zu diesen Themen und trug zur Bereicherung der Erfahrungswerte des jordanischen Verfassungsgerichts bei.

Fortbildungsseminar zur Schiedsgerichtsbarkeit in Amman

Seminar zur Schiedsgerichtsbarkeit mit den Teilnehmenden der jordanischen Justizakademie in Amman
Seminar zur Schiedsgerichtsbarkeit mit den Teilnehmenden der jordanischen Justizakademie in Amman
Jordanien

In Zusammenarbeit mit der jordanischen Justizakademie veranstaltete die IRZ am 17. September 2024 ein Fortbildungsseminar für hochrangige Richter und Richterinnen der jordanischen Kassations-, Berufungs-, und erstinstanzlichen Gerichte zur Schiedsgerichtsbarkeit.

Seine Exzellenz Herr Mohammad Omar Maqansa, Generaldirektor des Technischen Büros am Kassationsgericht, stellte zunächst die Schiedsgerichtsbarkeit und deren gerichtliche Aufsicht in Jordanien vor. Auch ging er auf die Anwendung internationaler und bilateraler Schiedsabkommen im jordanischen Rechtssystem ein, wie beispielsweise das New Yorker Übereinkommen vom 10. Juni 1958 und das Riad-Schiedsübereinkommen.

Es folgte eine Einführung über den Schiedsgerichtsprozess in Deutschland, inklusive einem Vergleich der unterschiedlichen Arten der Schiedsgerichtsbarkeit in Deutschland und denen in Jordanien durch Herrn Jan K. Schäfer, Rechtsanwalt und Partner bei King & Spalding LLP, Schiedsrichter und Vorstandsmitglied des DIS.

Die anschließenden Diskussionen zeigten, dass das Thema der Schiedsgerichtsbarkeit als Teil der außergerichtlichen Streitbeilegung auch in Jordanien einen hohen Stellenwert genießt.