Jordanien – Jahresbericht 2022

Training of Trainers: Workshop in Amman zum Thema Tatsachenfeststellung bei Gericht und Techniken der Vernehmung von Zeugen und Beschuldigten in Strafverfahren, Dezember 2022.
Training of Trainers: Workshop in Amman zum Thema Tatsachenfeststellung bei Gericht und Techniken der Vernehmung von Zeugen und Beschuldigten in Strafverfahren, Dezember 2022.

Strategische Rahmenbedingungen

Rechtspolitische Ausgangslage

Das Haschemitische Königreich Jordanien ist ein wichtiger Partner der Europäischen Union und nimmt zugleich eine zentrale Funktion in der Region ein, pflegt gute Beziehungen sowohl zu der palästinensischen Führung als auch zu Israel und spielt damit eine bedeutsame Rolle als Vermittler im Nahostkonflikt. Trotz einiger innenpolitischer Spannungen zählt das Land zu den stabilsten und sichersten Ländern in der Region, dies macht es zu einem Zufluchtsort für Menschen aus den benachbarten Konfliktregionen.

Als Reaktion auf den „kurzen jordanischen Frühling“ stieß König Abdullah II. einen langfristigen Reformprozess an, welcher sich bis heute fortsetzt. So brachte auch das Jahr 2022 zahlreiche Veränderungen. Die von König Abdullah II. angestrebte Modernisierung des politischen Systems wurde durch die jüngsten Änderungen der Verfassung, des Parteiengesetzes und des Wahlgesetzes vorangetrieben. Zudem kam es im Oktober 2022 zu einer erneuten Umbildung des Kabinetts von Premierminister Al-Khasawneh.

Um gegen die weiterhin hohe Arbeitslosigkeit anzugehen, erließ Jordanien im Oktober 2022 ein neues Investitionsklimagesetz, welches im Januar 2023 in Kraft trat und das bestehende Investitionsgesetz aus dem Jahr 2014 ersetzt. Die neuen Regelungen zielen auf die Verbesserung der Investitionsbedingungen durch Festlegung der Rechte und Pflichten von Investoren, Garantie ihrer Gleichbehandlung, Sicherstellung eines stabilen rechtlichen Rahmens und Erleichterung von Verwaltungs- und Gerichtsverfahren durch Bürokratieabbau.

Die Digitalisierung der Justiz und der öffentlichen Verwaltung sind zentrale Themen, hier erzielte Jordanien bereits einige wichtige Fortschritte. Einer neuen Studie der Europäischen Investitionsbank zufolge betraf der Digitalisierungsprozess in dem Land in erster Linie den Bankensektor. Bemerkenswert sind auch die umgesetzten Fortschritte im Bereich von E-Services, also aller Dienstleistungen, die über das Internet mithilfe von Informations- und Kommunikationstechnologien erbracht werden können. Die ­E-Government-Umfrage (E-Services-Index) von 2022 der Vereinten Nationen platziert Jordanien auf Platz 100, damit rückte das Land – ­verglichen mit der Platzierung im Jahr 2020 – um 17 Plätze auf.

Das Voranschreiten des Digitalisierungsprozesses setzte sich auch im justiziellen Bereich fort. Im Jahr 2022 änderte Jordanien das Strafgesetz – hier insbesondere Art. 25 – und nahm dort alternative Strafmaßnahmen und Alternativen zum Freiheitsentzug auf. Dazu zählen vor allem die Verpflichtung zur Umsetzung von Rehabilitationsprogrammen, die Ableistung von Sozialstunden und die elektronische Überwachung.

Konzeption

Seit der Aufnahme der Projektarbeit in Jordanien im Jahr 2006 unterstützt die IRZ verschiedene Institutionen der jordanischen Justiz durch Fortbildungs-, Trainings- und Beratungsmaßnahmen.

Zur Stärkung und weiteren Vertiefung der rechtlichen und justiziellen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Jordanien unterzeichneten das jordanische Justizministerium und das Bundesministerium der Justiz im September 2022 ein Memorandum of Understanding (MoU).

Neben der Zusammenarbeit im Rahmen der institutionellen Förderung durch das Bundesministerium der Justiz setzt die IRZ zudem ein durch das Auswärtige Amt finanziertes Projekt zur „Förderung der Rechtssicherheit: Unterstützung strafrechtlicher Reformen in Jordanien“ um. Ziel des Projekts ist es, einen Beitrag zur Steigerung von Effizienz und Transparenz im jordanischen Strafverfahren zu leisten. Der Projektaufbau orientiert sich dabei an der jordanischen Strategie für den Kapazitätsausbau bei den Staatsanwaltschaften für die Jahre 2021 bis 2025. Diese sieht die Steigerung der Qualität des Strafverfahrens in all seinen Phasen (Ermittlungs-, Zwischen-, Hauptverfahren) sowie die konsequente Wahrung und Durchsetzung der Menschenrechte vor. Hierbei bezieht sich der strategische Ansatz der Staatsanwaltschaft auf die Erhöhung der Qualität der ersten Ermittlungen im Rahmen des Ermittlungsverfahrens, sodass die von der Staatsanwaltschaft an das Gericht übermittelten Anklageschriften und ­eröffneten Strafverfahren nicht wegen Mangels an Beweisen oder ungenügender Ermittlungsqualität vom Gericht abgelehnt werden. Neben diesen und weiteren strafrechtlichen Themen standen im Jahr 2022 Fragen zum Digitalisierungsprozess in der jordanischen Gerichtsbarkeit sowie der Abschluss der Kooperation im Bereich des Verbraucherschutzes im Mittelpunkt der Zusammenarbeit. Zudem nahm die IRZ die Kooperation mit dem jordanischen Verfassungsgericht nach der pandemiebedingten Unterbrechung wieder auf.

Tätigkeitsschwerpunkte 2022

Verfassungsrecht/Menschenrechte und deren Durchsetzbarkeit

  • Zwei Online-Erfahrungsaustausche in Kooperation mit dem jordanischen Verfassungsgericht zu Fragen der Organisation und des Aufbaus der Verfassungsgerichtsbarkeit und zur Rolle des Verfassungsgerichts bei der Wahrung von Verfassungsprinzipien und der Gewaltenteilung in Jordanien und in Deutschland
  • Online-Erfahrungsaustausch über Mechanismen zum Schutz von ­Menschenrechten und das Recht auf Zugang zu Informationen

Zivil- und Wirtschaftsrecht

  • Zwei Online-Fachgespräche zur Zusammenarbeit im Rahmen des Gesetzentwurfs zur Reform der Verbraucherschutzrichtlinien und zur Begutachtung des Gesetzentwurfs zur Regulierung des elektronischen Online-Handels im Bereich des Verbraucherschutzes
  • Online-Training zur Fortbildung von Streitmittlerinnen und Streitmittlern im Verbraucherschutzbereich
  • Online-Erfahrungsaustausch zu Kooperationsmöglichkeiten zwischen Justiz und Rechtsmedizin im Zivilrecht
  • Online-Erfahrungsaustausch über das Vergaberecht und die recht­mäßige Erteilung öffentlicher Aufträge

Rechtspflege

  • Online-Erfahrungsaustausch zum Thema „Richterliche Ethik und ­Disziplinarverfahren“
  • Online-Seminar zum Thema „Gerichtsverhandlungen per Videokonferenz“
  • Online-Erfahrungsaustausch über die Digitalisierung von Arbeitspro­zessen in der Justiz

Straf- und Strafvollzugsrecht

  • Online-Erfahrungsaustausch zu Kooperationsmöglichkeiten zwischen Justiz und Rechtsmedizin im Strafrecht
  • Online-Erfahrungsaustausch zur Anwendung von alternativen Straf­sanktionen und Alternativen zur Untersuchungshaft
  • Online-Erfahrungsaustausch zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Geldwäsche
  • Fortbildung des psychologischen Dienstes in den jordanischen Strafvollzugsanstalten, Präsenzveranstaltung in Amman

Im Rahmen der Projektförderung des Auswärtigen Amts zum Thema „Förderung der Rechtssicherheit: Unterstützung strafrechtlicher Reformen in Jordanien“

  • erstes Arbeitsgruppentreffen in Amman zur Ausarbeitung von Empfehlungen zur Förderung der Effizienz und Transparenz in Strafverfahren
  • Hybrid-Seminar zum Thema „Transparenz und Effizienz in Strafverfahren sowie zur Förderung der Kooperation zwischen Justizinstitutionen“
  • „Train-the-Trainer“-Workshop in Amman zu den Themen „Tatsachenfeststellung bei Gericht“ und „Techniken der Zeugenvernehmung“

Ausblick

Auch im kommenden Jahr wird die IRZ die Zusammenarbeit mit ihren jordanischen Partnerinstitutionen fortsetzen. Insbesondere in den Schwerpunktbereichen des Straf- und Strafvollzugsrechts und bei der Korruptionsbekämpfung wird die IRZ die Zusammenarbeit mit dem jordanischen Justizministerium weiter intensivieren, um das Land in seinen nationalen Reformbestrebungen zu unterstützen. Die Bereiche der Verfassungsgerichtsbarkeit und der Digitalisierung der Justiz sind ebenso wichtige Kooperationsfelder.

Zudem bleiben der Hohe Justizrat und die jordanische Justizakademie wichtige Projektpartner. Die Zusammenarbeit konzentriert sich auf die Aus- und Fortbildung der Richterschaft durch Weiterbildungsseminare und Trainings im Bereich des Zivil- und Strafrechts.

Im Jahr 2023 will die IRZ die Zusammenarbeit um neue Themenfelder und Kooperationspartner ergänzen. So ist eine Zusammenarbeit mit dem ­jordansichen Investitionsministerium rund um das Thema „Wirtschafts- und Investitionsrecht“ geplant.

Den gesamten Jahresbericht 2022 finden Sie auf unserer Website unter Mediathek – Jahresberichte.