Teilnehmerinnen und Teilnehmer der gemeinsamen Konferenz des Obersten Gerichts und des Verfassungsgerichts zum Thema „Verfassungsbeschwerde und aktuelle Rechtsprechung des EGMR“
Teilnehmerinnen und Teilnehmer der gemeinsamen Konferenz des Obersten Gerichts und des Verfassungsgerichts zum Thema „Verfassungsbeschwerde und aktuelle Rechtsprechung des EGMR“

Strategische Rahmenbedingungen

Rechtspolitische Ausgangslage

Im Februar 2018 feierte die noch junge Republik Kosovo den zehnten Jahrestag ihrer Unabhängigkeit. Die EU betrachtet Kosovo seit seiner Unabhängigkeit unter Hinweis auf UN-Resolution 1244 (die den endgültigen völkerrechtlichen Status offenlässt) als potentiellen Beitrittskandidaten. Mit dem Ziel der EU-Mitgliedschaft wurden seitdem in Kosovo unter teilweise schwierigen Rahmenbedingungen grundlegende Reformen angegangen.

So konnte in den vergangenen Jahren durch Unterstützung vieler internationaler Partner – darunter auch der IRZ – eine Vielzahl der kosovarischen Gesetze den EU-Standards angepasst werden, viele Richtlinien und Verordnungen der EU werden zudem bereits in nationales Recht umgesetzt.

Als beschleunigendes Element dient dabei das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen, das am 1. April 2016 in Kraft trat. In diesem Sinn werden bei neuen Gesetzgebungsvorhaben oder Gesetzesänderungen in der Regel schon jetzt die einschlägigen EU-Richtlinien und europäischen Standards berücksichtigt.

Auch im Berichtsjahr prägte der Konflikt um die Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo durch Serbien die rechtspolitische Ausgangslage. Der geführte Vermittlungsdialog der EU im Rahmen des Brussels Agreement konnte bislang zu keiner wesentlichen Entspannung führen.

Dagegen konnte das Grenzfestlegungsabkommen mit Montenegro im März durch das Parlament bestätigt werden. Damit sind alle 95 Kriterien für eine Visa-Liberalisierung erfüllt. Die EU-Kommission empfiehlt diese daher und würdigt damit auch die Fortschritte bei der Bekämpfung von organisierter Kriminalität und Korruption. Wie schnell die Visa-Liberalisierung umgesetzt werden kann, hängt nun von der Zustimmung des Rats der EU-Innenminister ab.

Konzeption

Seit 2001 zählt Kosovo zu den Partnerstaaten der IRZ. Sowohl im Rahmen von EU-finanzierten als auch im Rahmen von bilateralen zuwendungsfinanzierten Projekten werden seitdem in unterschiedlichen Formaten mit langjährigen Partnern Beratungen durchgeführt. Auch 2018 konnte die bisherige Projektarbeit noch weiter intensiviert werden. Das Verfassungsrecht sowie das Jugendstrafvollzugsrecht waren dabei die beiden Hauptsäulen in der bilateralen Zusammenarbeit. Im Verfassungsrecht lag der Schwerpunkt der Projekte, die die IRZ gemeinsam mit dem Verfassungsgericht und dem Obersten Gericht durchgeführt hat, im Bereich der EGMR-Rechtsprechung/EMRK und der Verfassungsbeschwerde. Zwar ist die Verfassungsbeschwerde in Kosovo als außerordentlicher Rechtsbehelf des Bürgers bereits eingeführt, sie hatte bislang jedoch noch wenig praktische Bedeutung. Zudem scheitern Verfassungsbeschwerden bislang oftmals an Formalien, wodurch es an wegweisender Rechtsprechung fehlt.

Bereits seit 2016 berät die IRZ in Kooperation mit UNICEF Kosovo zum Jugendstrafvollzugsrecht, um die Situation und die Perspektive für jugendliche Inhaftierte nach der Inhaftierung zu verbessern und durch gezielte Trainings europäische Standards für eine jugendfreundliche Justiz aufzubauen. Zielgruppe dieser Trainings sind das Strafvollzugspersonal, Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte. Dabei ist zudem die effektive Vernetzung von NGOs und Strafvollzug ein vorrangiges Ziel. Die IRZ hat den aktiven Austausch mit der niedersächsischen Justiz und dem dortigen Jugendstrafvollzug organisiert und in mehreren Studienreisen nach Deutschland sowohl die gerichtliche Seite in einem Jugendstrafverfahren vorgestellt als auch die Kooperation von Gericht, Staatsanwaltschaft und Jugendarrestanstalt sowie Bewährungshilfe in den Mittelpunkt gestellt. Dieses Zusammenspiel der einzelnen Akteure ist insbesondere in Kosovo noch keine geübte Praxis. Wie so oft bei Reformen im Rechtsbereich bedarf es bei neu eingeführten Regelungen zum Jugendstrafrecht weniger einer Anpassung von rechtlichen Grundlagen, sondern vielmehr einer Verankerung im Bewusstsein der Rechtsanwenderinnen und Rechtsanwender sowie einer Umsetzung in der täglichen Praxis.

Darüber hinaus arbeitet die IRZ seit 2016 auch mit dem neu gegründeten Kosovo Prosecutorial Council (KPC) zusammen, um mit diesem insbesondere die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaften und des KPC selbst aufzubauen. Dabei orientiert sich das Training am gleichartigen Programm für das Justizministerium, das im Rahmen des IRZ-Twinning-Projekts entwickelt wurde, um Synergien zu nutzen und ein in sich schlüssiges System der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Justiz zu etablieren.

Neben den Maßnahmen aus der bilateralen Zusammenarbeit implementiert die IRZ derzeit auch EU-Twinning-Projekte in Kosovo (siehe unten).

Tätigkeitsschwerpunkte 2018

Verfassungsrecht / Menschenrechte und deren Durchsetzbarkeit

  • Konferenz zum Thema „Verfassungsbeschwerde und aktuelle Rechtsprechung des EGMR“ mit Richterinnen und Richtern des Verfassungsgerichts und des Obersten Gerichts in Thessaloniki, Griechenland
  • Workshop zum Thema „Charta der Grundrechte der Europäischen Union und EuGH Rechtsprechung“ mit Richterinnen und Richtern des Verfassungsgerichts und des Obersten Gerichts in Pristina

Rechtspflege

  • Seminar zum Thema Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des KPC in Pristina
  • Studienreise für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des KPC nach Deutschland zum Thema Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Strafrecht und Strafvollzugsrecht

  • Training für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte zum Thema „Wahrung der Schutzrechte von Jugendlichen bei einer rechtsanwaltlichen Vertretung in allen Phasen des Gerichtsverfahrens“ in Kooperation mit der kosovarischen Rechtsanwaltskammer in Pristina
  • Zwei Trainings für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der kosovarischen Jugendstrafvollzugsanstalt zum Thema „Aus- und Fortbildung als Voraussetzung einer erfolgreichen Resozialisierung und Wiedereingliederung von Jugendlichen in die Familie und Gesellschaft“ in Lipjan und Pristina
  • Studienreise einer kosovarischen Delegation nach Deutschland zum Thema „Kinderfreundliche Herangehensweise und Zusammenarbeit zwischen den Jugendstaatsanwaltschaften, den Jugendgerichten, der Bewährungshilfe und anderen Institutionen im Bereich der Jugendgerichtsbarkeit“
  • Studienreise einer kosovarischen Delegation nach Deutschland zur Kriminalprävention und Resozialisierung von Jugendlichen

Aus- und Fortbildung

  • Seminar zum Thema „Justiz und Medien“ in Kosovo
  • Beteiligung kosovarischer Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der achten „IRZ-Sommerschule Deutsches Recht“ in Bonn

Von der Europäischen Union finanzierte Projekte

EU-Twinning-Projekt: Strengthening Policy formulation and legislative drafting

Das seit Oktober 2016 von der IRZ implementierte EU-Twinning-Projekt setzt die gute und über die Jahre gewachsene Zusammenarbeit mit dem kosovarischen Justizministerium fort. Ziel des dreißigmonatigen Projekts ist die Stärkung der Kapazitäten im Ministerium in vier Komponenten, die aufeinander aufbauen bzw. einander ergänzen:

  • Strategische Planung in der Justiz,
  • Rechtsharmonisierung und Gesetzgebung,
  • Justiz und Medien sowie
  • effektive Implementierung von Gesetzen.

Das Projekt unterstützt damit das Justizministerium umfassend in verschiedenen Abteilungen und in unterschiedlichen Rechtsgebieten und kann auf aktuelle Bedürfnisse reagieren. Ein wichtiges Thema im Ministerium ist momentan die sogenannte „Functional Review of the Rule of Law Sector“. Dabei handelt es sich um eine im Justizministerium angesiedelte groß angelegte Analyse des Justizsektors. Durch eine umfassende Untersuchung der gesetzlichen Grundlagen sowie einen kritischen Blick auf die Probleme in der Praxis sollen Verbesserungsvorschläge für den Sektor entwickelt werden. Das Twinning-Projekt unterstützt das Justizministerium in diesem Prozess. Dies umfasst auch grundsätzliche Fragen der Gesetzgebungstechnik, der Rechtsharmonisierung mit dem EU-Recht sowie die effiziente Implementierung der Gesetze. In diesem Zusammenhang bietet das Projekt auch Trainings zur Gesetzesfolgenabschätzung und Ex-post-Evaluation an.

Darüber hinaus arbeiten Expertinnen und Experten des Projekts in den Bereichen Kommunikation, Public Relations sowie Einbindung der Zivilgesellschaft in den Prozess der Gesetzgebung und in rechtspolitische Diskussionen eng mit dem Justizministerium zusammen.

2018 wurden im Rahmen des Twinning-Projekts rund vierzig Aktivitäten durchgeführt. Zu den Themen „Strategische Planung in der Justiz“ sowie „Effektive Gesetzesanwendung“ wurden Hospitationen im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz in Berlin und im Justizministerium Niedersachsen in Hannover organisiert. Das Projekt hat eine Laufzeit bis April 2019.

EU-Twinning-Projekt: Further Support to Legal Education Reform

Die Durchführung dieses Twinning-Projekts diente der Förderung der juristischen Aus- und Fortbildung in Kosovo. Projektpartner auf kosovarischer Seite war das Kosovo Judicial Institute (KJI). Das Projekt wurde gemeinsam mit dem niederländischen Juniorpartner Center for International Legal Cooperation (CILC) durchgeführt und nach einer Laufzeit von 30 Monaten im Jahr 2018 erfolgreich abgeschlossen. Das Projekt sollte zum einen die Qualität der juristischen Aus- und Fortbildung sowie zum anderen das Trainingsmanagement des KJI verbessern.

Während der gesamten Laufzeit begleitete und unterstützte das TwinningProjekt auch die Umwandlung des KJI in eine Justizakademie. Vor diesem Hintergrund ergaben sich die Schwerpunkte des Projekts und führten – immer in enger Zusammenarbeit mit dem KJI – unter anderem zu folgenden Ergebnissen:

  • Entwicklung von Methoden zur Identifizierung von Trainingsbedarf zwecks Verbesserung der Qualität der Aus- und Fortbildungen
  • Erarbeitung von Leitlinien zur juristischen Aus- und Fortbildung
  • Durchführung von Train-the-Trainer-Seminaren und Workshops zur Verbesserung der Fähigkeiten der Multiplikatoren
  • Erstellung eines Trainingsbuchs für Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte zu einer fallbasierten Aus- und Fortbildung
  • Erarbeitung eines Trainingsprogramms für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung von Gerichten und Staatsanwaltschaften

Gleichzeitig erfolgte eine Aktualisierung der Datenbank des KJI, die auch mit Vorschlägen und Vorlagen zur Datenerfassung und Datenbewertung ergänzt wurde. Nach der Errichtung der Justizakademie unterstützte das Projekt diese bei der Erarbeitung eines Strategieplans zur weiteren Entwicklung der Akademie und ihrer Aufgaben in den kommenden Jahren.

Ausblick

Die Kooperation mit den langjährigen Partnern der IRZ wie dem Verfassungsgericht, dem Obersten Gericht und dem Justizministerium soll auch 2019 fortgeführt und vertieft werden. Daneben soll die Zusammenarbeit mit dem KPC und im Bereich Jugendstraf- und Strafvollzugsrecht mit UNICEF Kosovo intensiviert werden. In diesem Bereich sollen die bisherigen Kooperationen mit dem niedersächsischem Justizvollzug fortgeführt werden, um einen weiterhin guten, intensiven, nachhaltigen und vertrauensvollen Austausch zu ermöglichen.