Kosovo, Albanien

Die IRZ veranstaltete die Fachtagung „Das Zusammenspiel der ordentlichen Gerichtsbarkeit und der Verfassungsgerichtsbarkeit zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit – Erfahrungen aus Kosovo, Albanien und Deutschland“ am 17. und 18. Mai 2022 in Kosovo.

Über 80 Richterinnen und Richter sowie wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beider Verfassungsgerichte und Obersten Gerichte der Republiken Kosovo und Albanien tauschten im Laufe der zweitägigen Konferenz ihre Erfahrungen im Hinblick auf die Kompetenzverteilung zwischen der Verfassungsgerichtsbarkeit und der ordentlichen Gerichtsbarkeit aus. Von deutscher Seite wirkte im Auftrag der IRZ Prof. Dr. Reinhard Gaier, Richter am Bundesverfassungsgericht a.D., maßgeblich an der Veranstaltung mit.

Die vier Gerichtspräsidentinnen und Gerichtspräsidenten betonten bereits in ihren Grußworten die Bedeutung eines gerichtsübergreifenden und regionalen Erfahrungsaustausches und erinnerten an die Entwicklung des Verhältnisses beider Gerichtsbarkeiten.

Das erste Panel der Konferenz widmete sich der Zuständigkeit der Verfassungsgerichte und der Rolle der ordentlichen Gerichte bei der verfassungskonformen Auslegung von Gesetzen. In seinem Impulsvortrag stellte Prof. Dr. Gaier das Verfahren der konkreten Normenkontrolle dar und differenzierte zwischen Prüfungskompetenz eines jeden Gerichts und dem Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts. Die vier Teilnehmenden aus den vier vertretenen Gerichten diskutierten im Anschluss die praktische Umsetzung des konkreten Normenkontrollverfahrens in Kosovo und Albanien und tauschten sich über aktuelle Entwicklungen und Probleme aus.

Das zweite Panel behandelte das Thema der offensichtlich fehlerhaften Rechtsanwendung und Rechtsauslegung durch die ordentliche Gerichtsbarkeit und bot die Möglichkeit einer umfassenden Betrachtung aus der Sicht der beiden Verfassungsgerichte und Obersten Gerichte. Dabei wurde die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) sowie die von Prof. Dr. Gaier vorgestellte deutsche Praxis mit einbezogen und diskutiert. In diesem Zusammenhang betonte Prof. Dr. Gaier, dass das deutsche Bundesverfassungsgericht ausschließlich Verfassungsrecht prüfe und seine Kontrolle von Entscheidungen ordentlicher Gerichte ausdrücklich nur auf Verfassungsverstöße beschränke.

Der erste Veranstaltungstag endete mit lebhaften Diskussionen unter den Teilnehmenden und einer Zusammenfassung der Ergebnisse durch Prof. Dr. Gaier.

Am Folgetag wurde im Rahmen eines dritten Panels die Frage der Konsolidierung der nationalen Rechtsprechung und der Rechtssicherheit als wesentlicher Bestandteil eines fairen Verfahrens thematisiert. Während die albanischen und kosovarischen Referenten und Referentinnen hierfür vor allem die Rechtsprechung des EGMR heranzogen, beleuchtete Prof. Dr. Gaier diese Frage – gemäß der deutschen Praxis – unter dem verfassungsgerichtlichen Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit.

Das vierte und letzte Panel befasste sich mit der Rolle der ordentlichen Gerichte bei der vollständigen Umsetzung der Urteile des Verfassungsgerichts zur Entschädigung für Menschenrechtsverletzungen. In diesem Zusammenhang wurde insbesondere der Rechtsschutz wegen überlanger Verfahren und dessen Auswirkung auf die ordentliche Gerichtsbarkeit besprochen.

Die Veranstaltung stieß bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern auf großes Interesse. Die Impulsvorträge von Prof. Dr. Gaier und die anschließenden Präsentationen der kosovarischen und albanischen Teilnehmenden boten Grundlage für einen intensiven Austausch über Erfahrungen sowie aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen in Kosovo und Albanien. Auch mögliche Lösungsansätze aus den jeweiligen Rechtsordnungen haben die Teilnehmenden diskutiert.

Die Veranstaltung finanzierte das Bundesministerium der Justiz im Rahmen der institutionellen Zusammenarbeit.

Die Kooperation mit den Verfassungsgerichten und den Obersten Gerichten beider Länder soll in Zukunft weitergeführt und intensiviert werden.