Serbien – Jahresbericht 2024

Strategische Rahmenbedingungen

Rechtspolitische Ausgangslage

Die Republik Serbien stellte 2009 einen EU-Beitrittsantrag, die Beitrittsverhandlungen begannen 2014. Die serbische Regierung verfolgt einen unklaren Kurs zwischen Russland und der Europäischen Union, auch die Verbindungen zu China sind eng. Nach Protesten der Bevölkerung wegen Amokläufen an Schulen in 2023 gab es im Jahr 2024 zahlreiche weitere Demonstrationen gegen den geplanten Lithium-Abbau. Im Herbst/Winter 2024 kam es darüber hinaus nach dem teilweisen Einsturz des Bahnhofs in Novi Sad mit fünfzehn Toten zu weiteren Demonstrationen, die vor allem von Studierenden, Schülerinnen und Schülern sowie Lehrkräften ausgingen. Gemeinsam ist diesen Protesten der Vorwurf eines großen Teils der Bevölkerung dem Staat gegenüber, sie nicht angemessen zu schützen. Als Ursache wird u.a. Korruption und Verantwortungslosigkeit staatlicher Stellen genannt. Auch die Kosovo-Thematik bleibt innenpolitisch umstritten.

Im rechtlichen Bereich sieht die Europäische Union die Notwendigkeit für Anpassungen in den Bereichen „Judikative“ und „Grundrechte“ sowie „Recht, Freiheit und Sicherheit“.

Positiv ist jedoch zu vermerken, dass es im Bereich der Zivilgesellschaft viele rechtsstaatlich orientierte Organisationen und Einzelpersonen mit Willen zur Veränderung gibt, die durch EU-relevante Inhalte unterstützt werden können. Hieran knüpft die IRZ bei ihrer Zusammenarbeit mit jungen Juristinnen und Juristen sowie dem juristischen Nachwuchs, bei der u.a. Menschenrechtsfragen sowie Themen im Zusammenhang mit der praktischen Rechtsdurchsetzung behandelt werden, an.

Konzeption

Die IRZ unterstützt im Rahmen ihrer im Jahr 2000 begonnen Tätigkeit Serbien auf dem Weg in die Europäische Union im Sinne der Westbalkan-Strategie der EU, die u.a. die Bedeutung der regionalen Zusammenarbeit hervorhebt. Zu diesem Zweck werden in geeigneten Fällen Juristinnen und Juristen aus unterschiedlichen Staaten der Region in Maßnahmen eingebunden. Bei den mit Mitteln des BMJV und des Auswärtigen Amts geförderten Projekten liegt der Fokus auf einer effektiven Gesetzesanwendung nach rechtsstaatlichen Grundsätzen sowie europarechtlichen Vorgaben. Die IRZ betont dabei die Bedeutung einer klaren Orientierung an kontinentaleuropäischen Rechtsgrundsätzen und Modellen. Eine Vermischung von Prinzipien des kontinentaleuropäischen Rechts und des Common Laws soll vermieden werden. Außerdem stärkt sie die Zusammenarbeit zwischen Juristinnen und Juristen aus Serbien und der gesamten Region. Zu den Partnern der IRZ gehören das Verfassungsgericht, die juristischen Fakultäten der Universitäten Belgrad, Novi Sad und Kragujevac sowie das Institut für Rechtsvergleichung.4

Tätigkeitsschwerpunkte 2024

Verfassungsrecht/Menschenrechte und deren Durchsetzbarkeit

  • Konferenz aus Anlass des 75-jährigen Jubiläums des Grundgesetzes zu den unveränderlichen Mindeststandards des Rechts, gemeinsam veranstaltet mit dem Institut für Rechtsvergleichung in Belgrad
  • Teilnahme des Verfassungsgerichts von Serbien an der Regionalkonferenz „Stärkung des menschenrechtlichen Rechtschutzes durch die Verfassungsgerichte im Umwelt- und Klimaschutz“, gemeinsam veranstaltet mit dem Verfassungsgericht von Bosnien und Herzegowina in Tuzla

Rechtspflege

  • Regionaler Online-Workshop zur Unterstützung und Vernetzung von auf dem Gebiet des deutschen Rechts tätigen Institutionen und Einzelper­sonen unter Beteiligung der Juristischen Fakultät Novi Sad, einschließlich der Zurverfügungstellung von Literatur und Online-Lizenzen

Aus- und Fortbildung

  • Teilnahme der Justizakademie Serbiens am regionalen Erfahrungsaustausch zu den Themen „Verbesserung und Modernisierung der juristischen Ausbildung“, „Praxisorientierte Rechtsdidaktik“ sowie ­„Monitoring und Evaluation“, gemeinsam veranstaltet mit dem Edukationszentrum der Richter- und Staatsanwaltschaft der Föderation Bosnien und Herzegowina in Sarajevo
  • Regionaler Jahresworkshop der deutschsprechenden IRZ-Alumni aus Bosnien und Herzegowina, Nordmazedonien und Serbien zum Thema „Aktuelles aus dem deutschen Recht“ in Belgrad u.a. zu den Themen „75 Jahre Grundgesetz“, „Rechtliche Fragen der Vorbereitung des ­EU-Beitritts von Westbalkanstaaten “ sowie zur Juristenausbildung
  • Kurs „Einführung in das deutsche Recht und in die deutsche Rechtssprache“ für deutschsprachige Juristinnen und Juristen im Hybrid-Format mit Abschlusswochenende in Präsenz, gemeinsam mit der Juristischen Fakultät Novi Sad
  • Fortsetzung des Online-Kurses „Einführung in das deutsche Recht und in die deutsche Rechtssprache“ für deutschsprachige Juristinnen und Juristen insbesondere zu Fragen des Zivilprozessrechts
  • Gastvortrag und Fachgespräch: „Kritische Reflexion des Rechts in autoritären Systemen am Beispiel des Nationalsozialismus und der DDR“ an den Rechtsfakultäten Kragujevac und Novi Sad

Von der Europäischen Union finanziertes Projekt

EU Service Contract „Policy and Legal Advice Centre (PLAC 4)“

Die IRZ unterstützt seit Juni 2024 das Europäische Integrationsministerium der Republik Serbien sowie weitere serbische Institutionen bei der EU-Annäherung, insbesondere im Bereich der Gesetzgebung. Hier arbeitet die IRZ in einem vom belgischen Beratungsunternehmen IBF geführten Konsortium an der Umsetzung des EU-Projekts „Policy and Legal Advice Centre (PLAC 4)“. Das Projekt, das auf bereits drei vorangegangenen PLAC-­Projekten in Serbien aufbaut, hat ein Volumen von rund 2,4 Mio. Euro sowie eine Laufzeit von 30 Monaten. Im Zentrum stehen die bei den Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union eröffneten und für ­Serbien derzeit prioritären Verhandlungskapitel 1, 3, 8, 9, 12, 15, 27 und 32.

Das nunmehr vierte PLAC-Projekt soll möglichst unmittelbar an die drei Vorprojekte anschließen und folgende Ziele erreichen: die weitere Angleichung der Gesetzgebung Serbiens an den EU-Besitzstand und die Umsetzung des gesetzlichen Rahmens einerseits sowie die Kapazitäts­stärkung der maßgeblichen Behörden und Organe Serbiens für die Beitrittsverhandlungen andererseits. Insofern ist ein wichtiger Bestandteil des Projekts, die zuständigen Personen und Institutionen auf serbischer Seite, etwa die sog. Verhandlungsteams, methodisch zu schulen und zu unterstützen, den Beitrittsprozess gemäß den Anforderungen der EU zu führen.

Die ersten Projektmonate konzentrierten sich auf die Festlegung von Aktivitäten zur Harmonisierung der nationalen Gesetzgebung mit dem EU-Acquis communautaire und zur Koordinierung des Verhandlungsprozesses zwischen der Europäischen Union und Serbien.

In den kommenden Monaten wird sich der Schwerpunkt der Projektaktivitäten auf die Ausarbeitung von Gesetzen, Verordnungen und anderen Dokumenten, die zur Harmonisierung der nationalen Gesetzgebung mit dem EU-Recht erforderlich sind, konzentrieren. Darüber hinaus sind mehrere Veranstaltungen zum Aufbau von Kapazitäten geplant, um das Personal der zuständigen Institutionen für die Umsetzung der neuen Rechtsvorschriften im Einklang mit den bewährten europäischen Verfahren zu schulen, etwa in den Bereichen Kryptowerte und Kapitalmarktrecht.

Ausblick

Da die Zusammenarbeit mit den offiziellen Stellen in Serbien nach wie vor durch die unklare Haltung des Landes im Ukraine-Konflikt und bezüglich des Kosovo erschwert wird, konzentriert sich die IRZ auf die Zusammenarbeit mit Rechtsfakultäten und wissenschaftlichen Einrichtungen. Institutionen, die sich der kontinentaleuropäischen Rechtstradition sowie der Erforschung des deutschen Rechts und seiner Rezeption widmen, sollen künftig mehr Unterstützung erfahren.