Serbien – Jahresbericht 2022

Dekan Professor Dr. Dragana Vujčić (links) überreicht Dr. Stefan Pürner, Projektbereichsleiter Südosteuropa I der IRZ (rechts) eine Dankesurkunde.
Dekan Professor Dr. Dragana Vujčić (links) überreicht Dr. Stefan Pürner, Projektbereichsleiter Südosteuropa I der IRZ (rechts) eine Dankesurkunde.

Strategische Rahmenbedingungen

Rechtspolitische Ausgangslage

Serbien stellte am 22. Dezember 2009 einen EU-Beitrittsantrag, im Juni 2013 traf der Europäische Rat die Entscheidung, die Beitrittsverhandlungen mit Serbien zu eröffnen. Diese begannen am 21. Januar 2014, bereits im Juli 2016 wurden die Verhandlungskapitel 23 (Justiz und Grundrechte) und 24 (Recht, Freiheit und Sicherheit) im Rahmen der Verhandlungsgespräche eröffnet. Auch heute sieht die Europäische Union noch einen hohen Anpassungsbedarf in den Bereichen Judikative und Grundrechte sowie Recht, Freiheit und Sicherheit.

Im April 2022 fanden in Serbien Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt, bei denen der amtierende Präsident und seine Regierungspartei im Amt bestätigt wurden. Die Koalitionsverhandlungen dauerten – auch aufgrund außenpolitischer Herausforderungen – bis Ende des Jahres an.

Angesichts der Spannungen zwischen Serbien und dem Kosovo vermitteln der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) und Deutschland.

Konzeption

Die IRZ unterstützt seit 2000 Serbien auf dem Weg in die Europäische Union im Sinne der Westbalkan-Strategie. Bei den mit Mitteln des Bundesministeriums der Justiz und des Auswärtigen Amts geförderten Projekten liegt der Fokus auf einer effektiven Gesetzesanwendung nach rechtsstaatlichen Grundsätzen sowie europarechtlichen Vorgaben. Die IRZ betont dabei die Bedeutung einer klaren Orientierung an kontinentaleuropäischen Rechtsgrundsätzen und Modellen, um hybride Lösungen zu verhindern. Außerdem stärkt sie die Zusammenarbeit zwischen Juristinnen und Juristen aus Serbien und der gesamten Region.

Zu den Partnern der IRZ gehören das Justizministerium, das Verfassungsgericht, die juristischen Fakultäten der Universitäten Belgrad, Novi Sad und Kragujevac, die Richtervereinigung Serbiens, die Deutsch-Serbische Wirtschaftskammer, das Institut für Rechtsvergleichung sowie die Nichtregierungsorganisation „InfoPark“.

Tätigkeitsschwerpunkte 2022

Verfassungsrecht/Menschenrechte und deren Durchsetzbarkeit

  • Regionalforum zu Teilhaberechten – soziale und ökonomische Rechte von Flüchtenden mit Nichtregierungsorganisationen aus Nordmazedonien, Bosnien und Herzegowina sowie Serbien
  • Herausgabe des Zwei-Jahresbuchs für Verfassungsrecht 2020–2021

Rechtspflege

  • Konferenz mit der Richtervereinigung Serbiens zur dienstlichen Beurteilung von Richterinnen und Richtern sowie Disziplinarverfahren
  • Praxisseminar mit der Deutsch-Serbischen Wirtschaftskammer (AHK) und der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e. V. (DIS) zu praktischen Fragen der Anwendung von Legal Tech, unter anderem im Bereich der Schiedsgerichtsbarkeit
  • Herausgabe der Zeitschrift „Kontinentales Recht – Zeitschrift für nachhaltige und zweckmäßige Rechtsentwicklung“ (Kontinentalno pravo – KoPra) und Konferenz anlässlich der Veröffentlichung der Zeitschrift

Straf- und Strafvollzugsrecht

  • Vorstellung der Übersetzung des deutschen Strafgesetzbuchs und der deutschen Strafprozessordnung sowie Vortrag zur Gefahr hybrider Kodifikationen im Rahmen der regionalen Strafrechtskonferenz in Zlatibor

Aus- und Fortbildung

  • Begleitetes Sprachtandem für deutsche und südosteuropäische Jurastudierende mit der Juristischen Fakultät Novi Sad
  • Online-Schulung mit der Justizakademie Serbiens zu den Auswirkungen des Europarechts auf das nationale Recht mit besonderer Berücksichtigung des Verbraucherschutzes
  • Workshop zum Thema „Warum ist das Jura-Studium in Deutschland anders?“ an der Juristischen Fakultät Kragujevac
  • Kurs zum Thema „Rechtsterminologie“ für deutschsprachige Juristinnen und Juristen mit der Juristischen Fakultät in Belgrad

Von der Europäischen Union finanzierte Projekte

EU-Twinning-Projekt „Protection and Enforcement of Intellectual Property Rights in Serbia“

Zwischen Februar 2019 und März 2022 unterstützte die IRZ als Juniorpartner unter Federführung des Dänischen Patent- und Markenamts (DKPTO) Serbien im Rahmen des EU-Twinning-Projekts zum Schutz des geistigen Eigentums. Das Projekt hat ein Budget von 1,5 Millionen Euro. Die Projektlaufzeit von 24 Monaten wurde auf 38 Monate verlängert, um sicherzustellen, dass alle geplanten Maßnahmen trotz der Pandemiebedingungen erfolgreich umgesetzt werden können.

Das übergeordnete Ziel des Projekts war die Unterstützung der Republik Serbien bei der Angleichung des Standards für den Schutz und die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums an bewährte Verfahren der Europäischen Union. Zur Erreichung dieses Ziels fanden zahlreiche Maßnahmen in enger Zusammenarbeit mit dem serbischen Ministerium für Handel, Tourismus und Telekommunikation statt.

Im Rahmen der Erarbeitung eines Verfahrenshandbuchs für Online-Untersuchungen brachten die Expertinnen und Experten der IRZ ihre Fachkenntnisse mit dem Ziel ein, den nachhaltigen Aufbau von Wissen über die Untersuchung von Rechtsverletzungen des geistigen Eigentums zu stärken. Es wurden außerdem Erhebungen des Schulungsbedarfs durchgeführt und Schulungsmaterialien erstellt, die den tatsächlichen aktuellen Bedürfnissen der serbischen Fachkräfte entsprachen und mit den bewährten Verfahren der Europäischen Union übereinstimmen.

Es wurden spezifische Ausbildungsmaßnahmen für Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, Inspektorinnen und Inspektoren, Zollbeschäftigte sowie Polizistinnen und Polizisten zur Ermittlung von Schutzrechtsverletzungen im Internet vom Expertenteam der IRZ angeboten, um die Ausbreitung von Produktpiraterie in Serbien effizient zu bekämpfen. Zu diesen Themen wurden auch Schulungen für Beginnende und Fortgeschrittene durchgeführt, um die Nachhaltigkeit dieser in der Europäischen Union bewährten Verfahren in den serbischen Institutionen zu gewährleisten.

Die Expertinnen und Experten der IRZ überarbeiteten auch die Website des Ministeriums für Handel, Tourismus und Telekommunikation im Rahmen einer verbesserten Kommunikationsstrategie.

Trotz der nicht unerheblichen Hindernisse, die die Pandemie für die Durchführung der in diesem Projekt vorgesehenen Aktivitäten mit sich brachte, waren die Ergebnisse dieser internationalen Zusammenarbeit umfänglich. Die EU-Expertinnen und -Experten und die serbischen Partner zeigten bemerkenswerte Flexibilität und Engagement, um die vorgeschlagenen Ergebnisse zu erreichen. Auf der vorgezogenen Abschlussveranstaltung im Dezember 2021 in Belgrad wurde die Twinning-Zusammenarbeit als großer Erfolg gewertet.

EU-Twinning-Projekt „Reinforcement of Consumer Protection in Serbia as a Response to the New Market Challenges“

Die IRZ führt das oben genannte Projekt unter Federführung des Wirtschaftsministeriums der Slowakischen Republik durch. Es begann im Juni 2021 und hat eine geplante Laufzeit von 24 Monaten. Die staatliche Partnerinstitution, die die Twinning-Unterstützung erhält, ist das Ministerium für Handel, Tourismus und Telekommunikation der Republik Serbien.

Ziel dieses Projekts ist es, durch administrative und institutionelle Stärkung im Bereich des Verbraucherschutzes in Serbien sowohl auf die Verpflichtungen, die sich aus der EU-Mitgliedschaft ergeben, als auch auf die Herausforderungen des modernen Marktes angemessen zu reagieren. Das Projekt zielt darauf ab, die institutionellen und administrativen Kapazitäten der relevanten serbischen Akteure im Bereich des Verbraucherschutzes für den Zugang zum Binnenmarkt zu verbessern.

Eine der wesentlichen Komponenten des Projekts befasst sich mit der Verbesserung der Bestimmungen des Verbraucherschutzgesetzes und der zugehörigen Verordnungen, um sie mit den vorgegebenen EU-Direktiven und mit der Best Practice der EU-Mitgliedstaaten in Einklang zu bringen. Die durch die IRZ mobilisierten Projektexpertinnen und Projektexperten identifizierten gesetzliche Prioritäten, führten Analysen der bestehenden Gesetzgebung durch und bereiteten Gesetz- und Verordnungsentwürfe zum Verbraucherschutz vor.

Ein weiteres Projektziel besteht darin, einen Beitrag zur wirksamen rechtlichen Durchsetzung des Verbraucherschutzes im Partnerstaat zu leisten. Dies geschieht durch eine gezielte Verstärkung des institutionellen Aufbaus in Bezug auf grenzüberschreitende Fragen und eine Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den relevanten Institutionen im Bereich des Verbraucherschutzes.

Zusätzlich zu der Rechtskomponente leitet die IRZ auch die Komponente zur alternativen Streitbeilegung (Alternative Dispute Resolution, ADR). Neben der Erarbeitung eines Rechtsrahmens entwickelten die deutschen Projektexpertinnen und Projektexperten Schulungen und Workshops für Mediatorinnen und Mediatoren sowie ADR-Institutionen. Zudem wurden im Laufe des Jahres Schulungen an verschiedenen Standorten in Serbien durchgeführt, um zum Aufbau eines funktionierenden ADR-Systems für den Verbraucherschutz in der Republik Serbien beizutragen.

Schließlich befasst sich das Projekt mit neuen Marktherausforderungen – wie dem Verbraucherschutz bei Online-Transaktionen – durch den Aufbau von Kapazitäten bei den relevanten Akteuren sowie die Erstellung eines Handbuchs, um die Nachhaltigkeit der Wissensverbreitung zu gewährleisten.

EU-Twinning-Projekt „Strengthened Capacities (Human and Legal) of Criminal Police Department and Special Prosecution Office for Combating High-Tech Crime and Public Awareness“

Seit Januar 2022 beteiligt sich die IRZ als Juniorpartner gemeinsam mit dem Slowenischen Innenministerium und unter der Federführung von Österreich (Bundesministerium für Finanzen) an der Umsetzung des Projektes mit einer Laufzeit von 18 Monaten und einem Budget von 1 Mio. Euro.

Zwei thematische Schwerpunkte bilden das Grundgerüst des Projektes: zum einen der Ausbau der Leistungsfähigkeiten der Strafverfolgungsbehörden und der Sonderstaatsanwaltschaft zur Bekämpfung von Cybercrime, zum anderen die Stärkung des rechtlichen und institutionellen Rahmens zur Bekämpfung der Internetkriminalität. Das Projekt zielt darauf ab, die vorhandenen Strukturen nachhaltig auszubauen und zu festigen.

Bei den ersten Einsätzen hat das IRZ-Expertenteam Bedarfserhebungen bei den zuständigen Kriminalpolizeidirektionen durchgeführt und die gegenwärtige Rechtslage analysiert. In einem nächsten Schritt werden daraus konkrete Handlungsempfehlungen abgeleitet, die im Rahmen von Trainings und Workshops vor Ort vermittelt werden.

Innerhalb der ersten Komponente richten sich diese Aktivitäten an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Polizeibehörden, um den Umgang mit Fällen von Cyberkriminalität zu verbessern. Durch eine gezielte Ausbildung von Trainerinnen und Trainern soll eine über das Projektende hinaus funktionierende Wissensvermittlung sichergestellt werden. Daneben spielt die Sensibilisierung der Öffentlichkeit eine wichtige Rolle. Dazu werden Trainings und Workshops für Kinder und Erziehungsberechtigte sowie für Lehrkräfte organisiert, die sich mit der Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern im Internet befassen. Handbücher und Werbematerialien ergänzen diese Maßnahme.

Auch für die Justizakademie wird der Lehrplan analysiert und überarbeitet, um das Thema Cyberkriminalität künftig einzubeziehen.

Im Rahmen der zweiten Komponente werden die aktuelle Gesetzgebung und der geltende Rechtsrahmen in Serbien überprüft. Auf dieser Grundlage werden Empfehlungen für Änderungen ausgearbeitet, die darauf abzielen, diese mit den EU- und internationalen Standards in Einklang zu bringen. Eine Reihe einschlägiger Verordnungen zur Bekämpfung der Cyberkriminalität und damit zusammenhängender Straftaten wird zur Änderung vorbereitet.

Ausblick

Erschwert wird die Zusammenarbeit mit offiziellen Stellen in Serbien dadurch, dass das Land keinerlei Sanktionen gegen Russland verhängt hat und sich somit nicht an der gemeinsamen Reaktion der EU-Staaten auf den Angriff auf die Ukraine beteiligt. Deshalb wird sich die IRZ bei ihren Aktivitäten auf die Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen sowie auf die Kapitel 23 und 24 der EU-Beitrittsverhandlungen und die Westbalkan-Strategie der Europäischen Union konzentrieren.

Außerdem soll die Zusammenarbeit mit Institutionen und einzelnen nationalen Experteninnen und Experten, die sich der kontinentaleuropäischen Rechtstradition sowie der Erforschung des deutschen Rechts und seiner Rezeption widmen, kontinuierlich gestärkt werden. Eine Schwerpunkt­zielgruppe stellt der juristische Nachwuchs dar.

Den gesamten Jahresbericht 2022 finden Sie auf unserer Website unter Mediathek – Jahresberichte.