Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Seminars zum Thema „Menschenwürdige Behandlung von Inhaftierten im marokkanischen Strafvollzug“ im März 2020 in Tanger
Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Seminars zum Thema „Menschenwürdige Behandlung von Inhaftierten im marokkanischen Strafvollzug“ im März 2020 in Tanger

Strategische Rahmenbedingungen 

Rechtspolitische Ausgangslage 

Marokko treibt den infolge des „Arabischen Frühlings“ Anfang 2011 durch König Mohamed VI. angestoßenen Reformprozess weiter voran. Seit dem Jahr 2016 diskutieren Parlament und Regierung den Entwurf für ein überarbeitetes Strafgesetzbuch und seit 2015 den Entwurf einer neuen Strafprozessordnung. Reformziele sind die Anwendung alternativer Strafen sowie die Begrenzung der Untersuchungshaft in ihrer Anwendung und Dauer. Beide Vorhaben verzögern sich jedoch. Die Regierung verfolgt weitere langjährige sozioökonomische Reformprojekte, beispielsweise im Rahmen der „Nationalen Initiative für menschliche Entwicklung“ (INDH).

Auf die COVID-19-Pandemie reagierte Marokko im April 2020 mit einem umfassenden Lockdown, es kam zu einem Stillstand des öffentlichen Lebens bis September 2020. Die Regierung versucht mit umfangreichen Regelungen und Investitionsmaßnahmen die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abzumildern. In dieser Zeit gewann auch die Frage einer Digitalisierung der Justiz in Marokko zunehmend an Bedeutung, weshalb die Regierung hierzu neue Reformstrategien erarbeitet hat.

Konzeption 

Aufbauend auf die seit dem Jahr 2014 bestehende Zusammenarbeit mit Marokko begannen 2017 zwei mehrjährige, vom Auswärtigen Amt geförderte Projekte zu den Themen Rechtsmedizin und Strafvollzugsreform. Beide Projekte beinhalteten wichtige Punkte der in Marokko verfolgten Justizreform. Im Ergebnis billigten beide Kammern des marokkanischen Parlaments Anfang 2020 einen Gesetzentwurf zur Berufsordnung für Rechtsmedizinerinnen und Rechtsmediziner, deren Ausarbeitung im Rahmen des 2019 erfolgreich beendeten Rechtsmedizinprojekts unterstützt worden war. Zentrale Komponenten des Strafvollzugsprojekts sind die besonders wichtige Ausbildung des Strafvollzugspersonals nach dem Prinzip „Train the Trainer“, die Resozialisierung von Inhaftierten sowie die Modernisierung der Verwaltungsstrukturen der marokkanischen Strafvollzugsbehörde DGAPR (Délégation générale à l’administration pénitentiaire et à la réinsertion). Darüber hinaus stattete die IRZ, in enger Zusammenarbeit mit der DGAPR, eine EDV-Schulungsstätte der Justizvollzugsanstalt Kénitra mit benötigten Computern und Druckern aus. Weitere Schwerpunkte der Kooperation zwischen dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und dem marokkanischen Justizministerium lagen auf straf- und zivilrechtlichen Sachgebieten sowie dem Thema der „Guten Regierungsführung“ in der Justizverwaltung.

Bedingt durch die weltweiten Einschränkungen infolge der COVID-19-Pandemie musste die Projektdurchführung im Jahr 2020 neu konzipiert werden. Zur Sicherstellung der Erreichung der Projektziele stellte die IRZ ihre Maßnahmen daher in enger Abstimmung mit den Projektpartnern weitestgehend auf Online-Formate um.

Tätigkeitschwerpunkte 2020 

Zivil- und Wirtschaftsrecht 

  • Trilateraler Online-Erfahrungsaustausch zum „Haager Übereinkommen vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung“ mit den tunesischen und marokkanischen Justizministerien

Straf- und Strafvollzugsrecht:

  • Online-Seminar „Alternative Strafen und Alternativen zur Untersuchungshaft“ mit dem marokkanischen Justizministerium und der Generalstaatsanwaltschaft Marokkos
  • Seminar „Menschenwürdige Behandlung von Inhaftierten im marokkanischen Strafvollzug“ mit der DGAPR in Tanger
  • Seminar „Berufliche, handwerkliche und künstlerische Ausbildung von Inhaftierten“ unter anderem für Strafvollzugsbeamte mit der DGAPR in Marrakesch
  • Online-Seminar „Management des Strafvollzugspersonals der DGAPR“

Rechtspflege

  • Online-Seminar „Modernisierung der Justizverwaltung und gute Regierungsführung in der Justiz“ zusammen mit dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und dem marokkanischen Justizministerium
  • Online-Seminar „Digitalisierung der Justiz“ mit dem marokkanischen Justizministerium und dem Hohen Justizrat
  • Teilnahme von Vertreterinnen und Vertretern des marokkanischen Justizministeriums an der Online-Regionalkonferenz „Elektronischer Rechtsverkehr – Digitalisierung der Justiz“ in Kooperation mit der Bundesrechtsanwaltskammer
  • Unterstützung der Fachbibliothek des marokkanischen Justizministeriums

Von der Europäischen Union finanziertes Projekt 

EU-Technical-Asisstance-Projekt: „Assistance technique auprès de la Délégation Générale à l’Administration Pénitentiaire et à la Réinsertion pour appuyer la mise en œuvre des Politiques de réinsertion sociale des détenus et de prévention de la récidive“

Die IRZ ist seit Ende 2018 an der Durchführung dieses 34-monatigen Projekts zum Strafvollzug in Marokko unter Federführung von DMI Associates aus Frankreich beteiligt, wodurch bestehende Synergien zur bilateralen Arbeit hervorragend genutzt werden können. Ziel des Projekts ist es, die Reform des marokkanischen Strafrechtssystems zu unterstützen, insbesondere hinsichtlich der Verbesserung der Standards im Strafvollzug, der Resozialisierung von Häftlingen und der Prävention von Rückfällen. Hauptbegünstigte ist die Allgemeine Verwaltungsbehörde der Gefängnisse in Marokko (DGAPR).

Das Projekt hat sich unter anderem dem Thema der universitären Forschung gewidmet, mit dem Ziel, die Einrichtung eines Forschungskonsortiums zwischen der DGAPR und den Universitäten Marokkos zu erleichtern. Im Zuge dessen fanden Diskussionen in Justizvollzugsanstalten zur Praxistauglichkeit von Forschungsergebnissen für den Vollzug statt. Im Anschluss wurde ein Vertragsentwurf mit der DGAPR entwickelt, der es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ermöglichen soll, in Strafanstalten zu forschen.

Weiterhin konnten folgende wichtige Ergebnisse erreicht werden:

  • Entwicklung eines Empfangshandbuchs für Gefangene
  • Erstellung eines Berichts über alternative Strafmaßnahmen
  • Durchführung eines Audits der Beratungs- und Vorbereitungsdienste zur Wiedereingliederung
  • Erstellung eines Berichts über den Schulungsbedarf im Bereich der sozialen Wiedereingliederung
  • Identifikation und Zusammenstellung von relevanten Verbänden im Bereich der Wiedereingliederung
  • Entwurf einer Kommunikationsstrategie und eines Kommunikationsaktionsplans

Ausblick 

Die IRZ plant, ihr Engagement in den oben genannten Themenfeldern und nach Möglichkeit auch in den Bereichen des Zivil- und des Wirtschaftsrechts 2021 fortzusetzen und zu intensivieren. Das oben näher erläuterte Strafvollzugsprojekt wird bis 2021 verlängert. Auf diese Weise sollen auch die pandemiebedingt verschobenen „Train the Trainer“-Seminare durchgeführt werden, um einen Multiplikatoreneffekt zu erzielen und die Wirkung des Projekts nachhaltig zu sichern. Hierzu trägt die Begleitung der Ausbildung Inhaftierter in EDV-Thematiken im Anschluss an die Ausstattung der EDV-Schulungsstätte bei.

Ferner soll die Zusammenarbeit mit dem marokkanischen Justizministerium und der Staatsanwaltschaft Marokkos auch auf dem Gebiet des Strafrechts vertieft werden. Die IRZ möchte auf ausdrücklichen Wunsch der marokkanischen Partner bei der Konzeption und Einführung alternativer Strafen unterstützen. Weitere Schwerpunktthemen betreffen die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Justiz sowie die Gestaltung einer Digitalisierung der Justiz.