Ukraine – Jahresbericht 2024
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- Veröffentlicht: Donnerstag, 04. September 2025
Strategische Rahmenbedingungen
Rechtspolitische Ausgangslage
Der europäische Integrationsprozess der Ukraine schreitet weiter voran, im Juni 2024 begannen die Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Kommission. Daran schließt sich das Screening-Verfahren an, im Zuge dessen die nationale Gesetzgebung mit dem Recht der EU abgeglichen wird. Erste Gespräche im September behandelten das Kapitel 23 (Justiz und Grundrechte). Dem werden weitere Verhandlungsrunden zum Kapitel 24 (Recht, Freiheit und Sicherheit), das für die rechtliche Beratung ebenfalls relevant ist, folgen. Diese Beitrittskonferenzen leiten einen längeren Prozess ein, auch wenn die Ukraine bei der Verwirklichung der ihrem Status zugrunde liegenden Ziele trotz der kriegsbedingten Umstände erhebliche Fortschritte gemacht hat.
Schon jetzt setzt die Ukraine europäisches Recht in nationales Recht um, so beispielsweise durch die im Berichtsjahr erfolgte Verabschiedung des reformierten Insolvenzgesetzes, mit dem die EU-Restrukturierungsrichtlinie im ukrainischen Recht verankert wird. Die Wahl der neuen Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter wird bereits nach dem reformierten Auswahlverfahren durchgeführt, welches gemäß den Empfehlungen der Europäischen Kommission eingeführt worden war. Nachdem am 15. Dezember 2023 das Verwaltungsverfahrensgesetz der Ukraine in Kraft getreten war, stand das Berichtsjahr 2024 im Zeichen der Implementierung dieses für die rechtsstaatliche Entwicklung ganz wesentlichen Gesetzes.
Konzeption
Die Zusammenarbeit mit der Ukraine intensivierte sich im Berichtsjahr dank der vom Deutschen Bundestag zur Verfügung gestellten Sondermittel. Die ukrainischen Partner setzen sich unter den extremen Bedingungen des Krieges unermüdlich für rechtsstaatliche Reformen ein und zeigen eine hohe Resilienz. So konnten viele Arbeitsbesuche ukrainischer Delegationen nach Deutschland und zahlreiche Online-Beratungen stattfinden.
Das Thema EU-Rechtsangleichung war maßgeblich für die Zusammenarbeit mit den ukrainischen Partnerinstitutionen sowie für die Umsetzung des gemeinsamen Arbeitsprogramms des BMJV und des Justizministeriums der Ukraine. Zielvorgaben sind dabei der Ausbau und die Festigung der Justiz durch verschiedene Kooperationsformate mit dem Verfassungsgericht, dem Obersten Gericht, dem Revisionsverwaltungsgericht des Obersten Gerichts, dem Berufungsgericht Kyjiw und der Nationalen Richterschule. Dabei baut die IRZ auf eine langjährige Beratungstätigkeit auf. Dies gilt auch für das Parlament, mit dem die Novellierung des Gesetzes zur Rechtsetzung im Rahmen eines Arbeitsbesuches behandelt wurde und das im Zuge der EU-Rechtsangleichung besonders relevant ist.
Um auch die künftige Generation für die EU-Rechtsangleichung zu sensibilisieren, fand eine Sommerschule für ukrainische Jurastudierende statt. Eine gemeinsame deutsch-ukrainische Tagung der IRZ und des Niedersächsischen Justizministeriums in der Deutschen Richterakademie diente dazu, die Vernetzung der ukrainischen Akteure zur Bekämpfung der Korruption im Wege eines praxisorientierten Austauschs mit deutschen Kolleginnen und Kollegen zu ermöglichen und dadurch die Kapazitäten zu stärken.
Tätigkeitsschwerpunkte 2024
Verfassungsrecht/Menschenrechte und deren Durchsetzbarkeit
- Expertenbeteiligung an drei Online-Konferenzen im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsgerichts der Ukraine über das Bundesverfassungsgericht, die Verfassungsbeschwerde und den Datenschutz
- Deutsch-ukrainisches verfassungsrechtliches Online-Fachgespräch mit dem Verfassungsgericht der Ukraine
- Arbeitsbesuch einer Delegation des Verfassungsgerichts der Ukraine beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, beim Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg und beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg
Zivil- und Wirtschaftsrecht
- Unterstützung der Teilnahme von drei Studentinnen an den Pre-Moots in Hamburg und Paris zum „Willem C. Vis International Commercial Arbitration Moot“
- Mitwirkung an der multilateralen Konferenz des Revisionswirtschaftsgerichts des Obersten Gerichts „Ukraine on the Way to European Integration“ in Kyjiw
Öffentliches Recht
- deutsch-ukrainisches verwaltungsprozessrechtliches Kolloquium mit dem Revisionsverwaltungsgericht des Obersten Gerichts beim Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in Koblenz
- Gutachten zum Gesetzentwurf über das Höchste Verwaltungsgericht der Ukraine
- Mitwirkung bei den „VII. Tagen der ukrainischen Verwaltungsgerichtsbarkeit“ des Revisionsverwaltungsgerichts des Obersten Gerichts in Ostroh
- Arbeitspapier zur Wirkungskraft des Verwaltungsverfahrensgesetzes hinsichtlich der Tätigkeit von Selbstverwaltungsorganen der freien Berufe
- Arbeitsbesuch einer Delegation der Verkhovna Rada der Ukraine zur Überarbeitung des Gesetzes „Über die Rechtsetzung der Ukraine“ in Berlin
- Rundtischgespräche mit dem Revisionsverwaltungsgericht des Obersten Gerichts und dem Verfassungsgericht der Ukraine zum Thema „Recht auf effektiven Rechtsschutz und Entschädigung für verfassungswidrige Verwaltungsakte“ in Kyjiw
Rechtspflege
- Arbeitsbesuch einer Delegation des Präsidenten des Obersten Gerichts beim Bundesgerichtshof und beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe
- Arbeitsbesuch von Richterinnen und Richtern des Berufungsgerichts Kyjiw beim Oberlandesgericht Oldenburg
- Arbeitsbesuch einer Delegation der ukrainischen Notarkammer in Berlin
- Gutachten zum Entwurf einer Verordnung im Rahmen eines Pilotprojekts zum Betrieb eines elektronischen Registers für notarielle Amtshandlungen in der Ukraine
- Teilnahme des Präsidenten des Berufungsgerichts Kyjiw an der „VIII. Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte der Europäischen Union“ in Bukarest
- Beteiligung der IRZ an der Ukraine Recovery Conference im Juni in Berlin
Straf- und Strafvollzugsrecht
- Mitwirkung an multilateraler (Hybrid-)Fortbildung von Richterinnen und Richtern der Nationalen Richterschule für das Hohe Antikorruptionsgericht der Ukraine zum Thema „Whistleblower“ in Kyjiw
- Online-Fachgespräch mit dem Justizministerium der Ukraine zum Thema „Erfahrungen bei der Verhinderung des Missbrauchs von Verfahrensrechten durch Parteien im Strafverfahren“
- Gutachten zu Gesetzentwürfen zur Reform des Strafvollzugswesens der Ukraine
- Online-Fachgespräch mit dem Justizministerium der Ukraine zum Strafverfolgungsmaßnahmen-Entschädigungsgesetz
- Online-Fachgespräch mit der Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine zum Jugendstrafrecht in Deutschland am Beispiel des IRZ-Schulungsfilms „Raub einer Weste“
- Arbeitsbesuch der Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine zum Thema Jugendstrafrecht sowie Gewalt gegen Minderjährige in Berlin
- Deutsch-ukrainische Tagung zur Korruptionsbekämpfung in Zusammenarbeit mit dem Niedersächsischen Justizministerium sowie mit dem Hohen Antikorruptionsgericht, der Spezialisierten Antikorruptionsstaatsanwaltschaft und dem Nationalen Antikorruptionsbüro in der Deutschen Richterakademie in Wustrau
Aus- und Fortbildung
- Zweiwöchige Sommerschule für ukrainische Studierende zur Einführung in das deutsche Recht und EU-Recht in Bonn, Straßburg und Brüssel
Ausblick
Die im Zuge der EU-Integration und der Beitrittsverhandlungen laufenden rechtlichen Reformen der Ukraine wird die IRZ auch im nächsten Jahr unterstützen, sowohl durch Beratungen zu konkreten Gesetzentwürfen, die das Unionsrecht in nationales Recht umsetzen, als auch durch weitere Fachgespräche zu im Schwerpunkt europarechtlichen Themen. Zusätzlich zur Zusammenarbeit mit den genannten Institutionen wird sie, anknüpfend an frühere Beratungen, auf Bitte der ukrainischen Partner im nächsten Jahr auch die Zusammenarbeit zur Reform der Ausbildung von Juristinnen und Juristen in der Ukraine wiederaufnehmen. Je nach Bedarf wird sie zudem die Beratungen zur Reform des Strafgesetzbuches fortsetzen.