Ukraine – Jahresbericht 2023

Strategische Rahmenbedingungen

Der seit Februar 2022 gegen die Ukraine geführte russische Angriffskrieg überschattet weiterhin die Zusammenarbeit. Ungeachtet dieser Rahmenbedingungen konnte die IRZ auch im Jahr 2023 einen intensiven fachlichen Austausch mit den ukrainischen Partnerinstitutionen pflegen. Während im ersten Kriegsjahr die Beratungsmaßnahmen fast ausschließlich online oder in Form von schriftlichen Gutachten stattfanden, sind im Berichtsjahr auch wieder zahlreiche ukrainische Delegationen nach Deutschland gekommen.

Rechtspolitische Ausgangslage

Die derzeitigen Rechtsreformen orientieren sich vor allem an den sieben Empfehlungen, die die EU-Kommission im Vorfeld der Verleihung des EU- Kandidatenstatus im Sommer 2022 ausgesprochen hatte. Diesen Empfehlungen ist die Ukraine inzwischen weitgehend nachgekommen. So wurde ein Änderungsgesetz zum Verfassungsgerichtsgesetz verabschiedet, welches die Verfassungsrichterwahl reformiert. Die lange vakanten Leitungsposten der Spezialisierten Antikorruptionsstaatsanwaltschaft (SAPO) und des Nationalen Antikorruptionsbüros (NABU) wurden nachbesetzt. Der Höchste Rat der Rechtsprechung und der Höchste Richterqualifikationsausschuss wurden reformiert und neu besetzt. Somit hat der Europäische Rat im Dezember 2023 auch entschieden, Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine zu beginnen.

Hinsichtlich weiterer Reformen ist hervorzuheben, dass das bereits im Vorjahr verabschiedete und von der IRZ über viele Jahre beratene

Verwaltungsverfahrensgesetz am 15. Dezember 2023 in Kraft getreten ist. Zudem läuft weiterhin die Reform des Strafgesetzbuches und des Zivilgesetzbuches sowie die am EU-Recht orientierte Insolvenzrechtsreform.

Konzeption

Die EU-Rechtsangleichung prägte im Berichtsjahr die Beratungen. Vor dem Hintergrund der Verleihung des EU-Kandidatenstatus an die Ukraine und Moldau sowie (zum damaligen Zeitpunkt) einer Kandidatenperspektive für Georgien erhielt die IRZ Sondermittel des Deutschen Bundestages, mit denen sie neben bilateralen Projekten auch gemeinsame Maßnahmen für diese Länder realisierte, die sich im Schwerpunkt der Korruptionsbekämpfung und der Unabhängigkeit der Justiz widmeten. Zudem führte die IRZ die Umsetzung des gemeinsamen Arbeitsprogramms des Bundesministeriums der Justiz und des Justizministeriums der Ukraine fort.

Weiterhin lag ein Beratungsschwerpunkt auf der Unterstützung der Verwaltungsgerichtsbarkeit sowie der Zusammenarbeit mit dem Verfassungsgericht, das im Berichtsjahr auch beim Bundesverfassungsgericht zu Gast war. Wichtige Akzente in der Gesetzgebungsberatung setzte die IRZ daneben mit Gutachten und Fachgesprächen zum Insolvenzgesetzänderungsentwurf, zur Ausarbeitung eines Gesetzentwurfes über zivile Partnerschaften sowie zur Reform des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs.

Tätigkeitsschwerpunkte 2023

Verfassungsrecht/Menschenrechte und deren Durchsetzbarkeit

  • Verfassungsrechtliches Online-Fachgespräch mit dem Verfassungsgericht der Ukraine
  • Multilaterale Online-Konferenz mit dem Verfassungsgericht der Ukraine zur Perspektive der europäischen Integration
  • Arbeitsbesuch einer Delegation des Verfassungsgerichts der Ukraine beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe und beim Max-Planck- Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg
  • Gutachten zu Änderungsvorschlägen für die Prozessgesetze zur Verbesserung des Zugangs zur Justiz für Menschen mit Behinderungen

Zivil- und Wirtschaftsrecht

  • Online-Fachgespräch mit dem Justizministerium der Ukraine zur Reform des Insolvenzrechts
  • Gutachten zum Insolvenzgesetzänderungsentwurf
  • Unterstützung der Pre-Moots in Berlin und Hamburg zum „Willem C. Vis International Commercial Arbitration Moot“
  • Online-Fachgespräch mit dem Justizministerium der Ukraine zum Gesetzentwurf über „Zivile Partnerschaften“
  • Mitwirkung an multilateraler (Hybrid-)Fortbildung für Richterinnen und Richter der Nationalen Richterschule für das Revisionszivilgericht des Obersten Gerichts

Öffentliches Recht

  • Mitwirkung bei der Fortbildung von ukrainischen Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichtern zur Implementierung des Verwaltungsverfahrensgesetzes in Kyjiw
  • Mitwirkung bei den „VI. Tagen der ukrainischen Verwaltungsgerichtsbarkeit“ des Revisionsverwaltungsgerichts des Obersten Gerichts zum Schutz sozialer Rechte unter Kriegsbedingungen
  • und XVII. deutsch-ukrainisches verwaltungsprozessrechtliches Kolloquium beim Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in Koblenz
  • Konferenz der parlamentarischen Rechtsausschüsse in Kooperation mit dem Deutschen Bundestag zur EU-Rechtsharmonisierung in der Ukraine, Moldau und Georgien in Berlin
  • Arbeitsbesuch einer Delegation des Berufungsverwaltungsgerichts Lviv beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg

Rechtspflege

  • Fachgespräche zur Unabhängigkeit der Justiz (für die Ukraine, Moldau und Georgien) in Niedersachsen (Hannover, Braunschweig) und Berlin
  • Online-Fachgespräch zwischen dem Berufungsgericht Kyjiw und dem Oberlandesgericht Oldenburg zur elektronischen Justiz

Straf- und Strafvollzugsrecht

  • Mitwirkung an multilateraler (Hybrid-)Fortbildung für Richterinnen und Richter der Nationalen Richterschule für das Hohe Antikorruptionsgericht der Ukraine zum Thema „Geldwäsche“ in Kyjiw
  • Gutachten zum Besonderen Teil des Entwurfs des Strafgesetzbuchs der Ukraine
  • Online-Fachgespräch zum Besonderen Teil des Entwurfs des Strafgesetzbuchs der Ukraine
  • Arbeitsbesuch einer Delegation der Generalstaatsanwaltschaft und des Justizministeriums der Ukraine zum Völkerstrafrecht und zur Ermittlung von Kriegsverbrechen in Berlin
  • Mitwirkung an multilateraler (Hybrid-)Fortbildung für Richterinnen und Richter der Nationalen Richterschule für das Revisionsstrafgericht des Obersten Gerichts
  • Fachgespräche zur Korruptionsbekämpfung (für die Ukraine, Moldau und Georgien) in Nordrhein-Westfalen (Düsseldorf, Wuppertal, Bochum) und Berlin
  • Online-Fachgespräch mit dem Justizministerium der Ukraine zum Thema „Rückfälligkeit von Straftätern“

 

Ausblick

Die IRZ wird auch im nächsten Jahr nach Kräften die Ukraine unterstützen und sich dabei weiterhin an den Reformempfehlungen der EU-Kommission, an den Beitrittsverhandlungen sowie an dem gemeinsamen Arbeitsprogramm der beiden Justizministerien orientieren. Die oben skizzierten Gesetzgebungsberatungen wird sie fortsetzen, um einen Beitrag zur Verbesserung des Investitionsklimas für den Wiederaufbau der Ukraine

zu leisten. Die IRZ wird auch die Implementierung des Verwaltungsverfahrensgesetzes begleiten und daran mitwirken. Den fachlichen Austausch mit der für den Grundrechtsschutz elementar wichtigen Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit wird sie ebenso fortführen wie die Richterfortbildungen insgesamt, um somit die Resilienz und Unabhängigkeit der Justiz weiter zu steigern.