Ukraine - Jahresbericht 2015

Länderbericht Ukraine 2015Christian Lange, MdB, und Renate Künast, MdB, zu Fachgesprächen mit Verfassungsrichtern in der Ukraine: Ihor Slidenko; Dr. Stefan Hülshörster, IRZ; Stanislaw Schewtschuk; Oleksandr Kasminin; Jaroslaw Wasylkewytsch, Leiter des Sekretariats des VerfG der Ukraine (hinten v.l.n.r.); Dr. Christof Weil, deutscher Botschafter; Sergij Sas, seinerzeit amtierender Präsident des VerfG der Ukraine; Renate Künast; Christian Lange; Martin Graf, Deutsche Botschaft (vorne v.l.n.r.)

Strategische Rahmenbedingungen

Rechtspolitische Ausgangslage

2015 stand die Verfassungsreform im Fokus der rechtsstaatlichen Entwicklung der Ukraine. Die dazu vom Staatspräsidenten ins Leben gerufene Verfassungskommission gliedert sich in die Arbeitsgruppen Menschenrechte, Dezentralisierung und Justiz.

Im Zentrum des öffentlichen Interesses stehen auch nach wie vor die Bemühungen im Kampf gegen die Korruption. Nachdem bereits im Herbst 2014 ein umfangreiches Gesetzespaket zur Korruptionsbekämpfung verabschiedet worden war, beobachtet die Zivilgesellschaft nun den Aufbau der entsprechenden Institutionen, insbesondere des Nationalen Antikorruptionsbüros der Ukraine sowie der Fachstaatsanwaltschaft zur Korruptionsbekämpfung.

Die Reformbemühungen werden nach wie vor überschattet von dem ungelösten Konflikt im Osten des Landes, wenngleich die militärischen Auseinandersetzungen zwischenzeitlich an Schärfe nachgelassen haben. Auch Kommunalwahlen wurden im Herbst in der Ukraine mit Ausnahme der östlichen Regionen durchgeführt. Die Zusammenarbeit mit der IRZ hat sich angesichts der in Angriff genommenen umfangreichen Reformen wieder intensiviert.

Konzeption

Auch in diesem Jahr lag der Schwerpunkt der IRZ-Beratungen im aus Mitteln des Auswärtigen Amtes geförderten Projekt „Rechtsstaatsförderung Ukraine" mit seinen fünf Säulen Verfassungsrecht, Justiz, Strafrecht, Öffentliches Recht/ Verwaltungsgerichtsbarkeit sowie Korruptionsbekämpfung.

Die Zusammenarbeit intensivierte sich vor allem im Bereich der Verfassungsreform, dabei sowohl zur Dezentralisierung als auch zur Justizreform. Da ein IRZ-Experte in die Beratergruppe zur AG Dezentralisierung aufgenommen wurde, konnte die IRZ hier maßgeblich Unterstützung leisten.

Ein bedeutender Schritt dürfte die im Reformentwurf vorgesehene Einführung der Verfassungsbeschwerde sein, zu der die IRZ sogleich Beratungen aufgenommen hat. Die kontinuierliche Unterstützung der ukrainischen Verwaltungsgerichtsbarkeit, die 2015 ihr zehnjähriges Bestehen feiern konnte, wurde u.a. durch Regionalseminare in der Ukraine und das alljährliche Kolloquium beim Oberverwaltungsgericht Koblenz fortgesetzt.

Die IRZ konnte in diesem Jahr die Zusammenarbeit mit ihren wesentlichen Partnern wie Verfassungsgericht, Oberstem Gericht, Oberstem Verwaltungsgericht, Justizministerium, Generalstaatsanwaltschaft etc. wieder intensivieren und erfolgreich fortführen.

Die Förderung des juristischen Nachwuchses hat die IRZ 2015 mit dem Abschluss des fünften und Beginn des sechsten Studienjahres des deutschsprachigen Begleitstudiums zur Einführung in das deutsche Recht an der Nationalen Ivan-Franko-Universität Lwiw fortgesetzt. Zur Festrede anlässlich der Eröffnung des sechsten Studienjahres konnte die IRZ die Vorsitzende des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, Renate Künast, MdB, gewinnen. Hochrangige Gespräche wurden daneben u.a. von Christian Lange, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, und Dr. Stefanie Hubig, Staatssekretärin beim BMJV, in Kiew geführt.

Tätigkeitsschwerpunkte 2015

Verfassungsrecht / Menschenrechte und deren Durchsetzbarkeit

  • Diverse gutachterliche Stellungnahmen zur Verfassungsreform
  • Fachberatungen in den Sitzungen der Verfassungskommission
  • Erstes verfassungsrechtliches Fachgespräch mit drei Verfassungsrichtern in Bonn
  • Zweites verfassungsrechtliches Fachgespräch mit drei Verfassungsrichtern und der Leitung der Verwaltung des Verfassungsgerichts der Ukraine in Bonn zu den Themen Verfassungsbeschwerde und Sozialrechtsschutz
  • Fachgespräche des Parlamentarischen Staatssekretärs beim BMJV, Christian Lange, und der Vorsitzenden des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, Renate Künast, in Kiew

Zivil- und Wirtschaftsrecht

  • Teilnahme am VIII. Lemberger Forum „Alternative Streitbeilegungsmethoden"
  • Teilnahme am „Ersten Südukrainischen Forum Mediation und Recht" in Odessa

Rechtspflege

  • Fachgespräche der Staatssekretärin im BMJV, Dr. Stefanie Hubig, im ukrainischem Justizministerium u.a. in Kiew
  • Arbeitsbesuch einer Delegation des Obersten Gerichts der Ukraine beim Bundesgerichtshof, beim Generalbundesanwalt sowie beim Bundesverwaltungsgericht in Karlsruhe und Leipzig
  • Teilnahme von Vertreterinnen und Vertretern der Ukraine an der Konferenz der Richterassoziationen in Chișinău
  • Internationale Konferenz mit Richterinnen und Richtern des Oberlandesgerichts Köln, des Berufungsgerichts Arnheim und des Berufungsgerichts Krakau beim Berufungsgericht Lwiw
  • Fachgespräche zum Auftakt der Zusammenarbeit beim Berufungsgericht Kiew
  • Fachgespräche zur Mediation in Fällen internationaler Kindesentführung in Kiew

Öffentliches Recht

  • 11. Deutsch-Ukrainisches verwaltungsprozessrechtliches Kolloquium beim Oberverwaltungsgericht und Verwaltungsgericht Koblenz
  • Seminar zum Verwaltungsprozessrecht und Verwaltungsverfahrensrecht beim Verwaltungsgericht Poltawa
  • Seminar zum Verwaltungsprozessrecht in Kramatorsk
  • Fachkonferenz zum 10-jährigen Bestehen der ukrainischen Verwaltungsgerichtsbarkeit beim Obersten Verwaltungsgericht der Ukraine in Kiew
  • Fachgespräche von Dr. Hendrik Hoppenstedt, MdB, zur Dezentralisierung und zum Kommunalrecht in Lviv

Strafrecht und Strafvollzugsrecht

  • Gutachten zum neuen ukrainischen Staatsanwaltsgesetz
  • Gutachten zur neuen ukrainischen Antikorruptionsgesetzgebung
  • Fachgespräche mit der Generalstaatsanwaltschaft zum Thema Vermögensrückgewinnung in Kiew
  • Arbeitsbesuch zum Thema „Fortbildung für Staatsanwälte" in Deutschland in Wiesbaden, Mainz und Trier
  • Mitwirkung eines Vertreters des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer am Anwaltsforum zum Thema Strafverteidigung in Kiew
  • Fortführung der Arbeiten an einem Handbuch für Staatsanwälte
  • Erstellung eines Handbuches zur Korruptionsbekämpfung
  • EU-Project to Support Justice Sector Reforms in Ukraine (EU-Grant) (Weitere Informationen S.)

Aus- und Fortbildung

  • Begleitstudium zur Einführung in das deutsche Recht an der Nationalen Ivan-Franko-Universität Lwiw
  • Forschungsaufenthalt des besten Absolventen des Begleitstudiums zur Einführung in das deutsche Recht an der Nationalen Ivan-Franko-Universität Lwiw in München
  • Sommersprachkurs für die beste Absolventin des Begleitstudiums zur Einführung in das deutsche Recht an der Nationalen Ivan-Franko-Universität der Fremdsprachenfakultät
  • Fünfte IRZ-Sommerschule „Deutsches Recht" in Brühl und Bonn
  • Teilnahme einer Vertreterin der Generalstaatsanwaltschaft am Sprachkurs „Deutsch für Juristen" in Bonn

Ausblick

Die Reformen der Verfassung und im Bereich der Korruptionsbekämpfung werden auch im Jahr 2016 prägend für die Zusammenarbeit sein.

Zu hoffen ist, dass die Arbeiten am Entwurf des Verwaltungsverfahrensgesetzes, die 2015 zum Erliegen gekommen waren, wieder aufgenommen werden. Ein kodifiziertes Verwaltungsverfahrensrecht wäre nicht nur als materiell-rechtliche Grundlage für die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, sondern auch als wichtiger Schritt im Bereich der Korruptionsbekämpfung von großem Nutzen.

Intensiviert werden wird die Zusammenarbeit zwischen den ukrainischen und deutschen Richterinnen und Richtern sowohl auf Ebene des Obersten Gerichtes der Ukraine als auch auf Ebene mehrerer Berufungsgerichte sowie in Zusammenarbeit mit der ukrainischen Richterassoziation.

Das deutschsprachige Begleitstudium zur Einführung in das deutsche Recht, das sich großer Nachfrage erfreut, soll fortgesetzt werden.

Die IRZ wird die Ukraine auf ihrem Wege der rechtsstaatlichen Reformen auch im Jahr 2016 durch intensive und vertrauensvolle Zusammenarbeit in vielen maßgeblichen Rechtsbereichen unterstützen.