Algerien - Jahresbericht 2019

Abschlusskonferenz des Strafvollzugsprojekts. Mokhtar Felioune, Leiter der algerischen Strafvollzugsbehörde am Rednerpult; Anne Katharina Zimmermann, Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz; Mohamed Zougar, algerisches Justizministerium; Andreas Fiedler, Deutsche Botschaft Algier; Dr. Frauke Bachler, IRZ (v.l.n.r.)
Abschlusskonferenz des Strafvollzugsprojekts. Mokhtar Felioune, Leiter der algerischen Strafvollzugsbehörde am Rednerpult; Anne Katharina Zimmermann, Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz; Mohamed Zougar, algerisches Justizministerium; Andreas Fiedler, Deutsche Botschaft Algier; Dr. Frauke Bachler, IRZ (v.l.n.r.)

Strategische Rahmenbedingungen

Rechtspolitische Ausgangslage

Im Gegensatz zu anderen arabischen Ländern der Region galten die Verhältnisse in Algerien lange Zeit als stabil. Nach massiven Protesten der Bevölkerung musste der seit 20 Jahren regierende Präsident Abdelaziz Bouteflika im April 2019 jedoch sein Amt niederlegen. Damit wurde ein Transformationsprozess angestoßen, dessen weitere Ausgestaltung abzuwarten bleibt. Im Dezember 2019 fanden Präsidentschaftswahlen statt, aus denen Abdelmadjid Tebboune als Sieger hervorging.

Im Justizbereich wurden in den vergangenen Jahren insbesondere in Teilbereichen des Straf- und Strafvollzugsrechts bereits verschiedene Reformprozesse eingeleitet. Für einen Fortgang der Reformen und deren Implementierung besteht allerdings weiterhin großer Beratungsbedarf.

Das algerische Rechtssystem orientiert sich im Wesentlichen am französischen Vorbild. In der Regel üben die Gerichte keine Kontrolle über die Exekutive aus. Zwar ist die Verwaltungsgerichtsbarkeit gut ausgebaut, der Rechtsweg wird jedoch nur selten in Anspruch genommen. Die im Jahr 2000 vom damaligen Präsidenten eingesetzte Justizreformkommission erzielte keine strukturellen Verbesserungen. Die in der Verfassung verankerte richterliche Unabhängigkeit ist in der Praxis nicht durchgehend gewährleistet. Insbesondere in politisch relevanten Strafverfahren nimmt die Exekutive unmittelbaren Einfluss auf die Gerichte. Zudem werden geltende Gesetze häufig nicht einheitlich angewandt, was ein geringes Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Justiz zur Folge hat.

Auch im Bereich des Strafvollzugs besteht weiterhin Reformbedarf, weil unter anderem menschenrechtskonforme Haftbedingungen im algerischen Strafvollzug nicht durchgängig gewährleistet sind. Da vor allem die Untersuchungshaft überproportional oft verhängt wird, bestehen Probleme durch die Überbelegung der Hafträume und der Haftanstalten insgesamt.

Konzeption

Die IRZ führte bis Ende 2019 ein sehr erfolgreiches Projekt im Bereich Strafvollzug und Resozialisierung durch, das in der ersten Phase durch das Auswärtige Amt gefördert wurde. In dieser Zusammenarbeit mit dem algerischen Justizministerium und der Strafvollzugsbehörde des Landes entstand ein zweiteiliges Handbuch zu den Themen „Menschenrechtskonforme Haftbedingungen“ und „Individueller Vollzugsplan/Klassifizierung der Inhaftierten“, das dem Personal in den Strafvollzugsanstalten zur Verfügung gestellt wurde. Zudem erarbeitete die IRZ gemeinsam mit ihren algerischen Partnern wichtige Leitlinien zur Zusammenarbeit mit externen Akteuren und Empfehlungen zur Ausbildung des Strafvollzugspersonals.

Tätigkeitsschwerpunkte 2019

Rechtspflege

  • Konferenz „Revisionsentscheidungen der Gerichte höchster Instanzen“ in Zusammenarbeit mit der Bundesrechtsanwaltskammer, der algerischen Anwaltskammer und dem algerischen Obersten Gericht in Algier

Straf- und Strafvollzugsrecht

  • Treffen der im Rahmen des Projekts gegründeten Reformkommission in Algier mit dem Ziel, die Themenschwerpunkte und Aktivitäten der vier im Projekt vorgesehenen Arbeitsgruppen anzupassen und die nächsten Arbeitsschritte zur Bearbeitung des Handbuchs, der Leitlinien und Empfehlungen zu besprechen
  • Zwei Workshops der Arbeitsgruppen „Menschenrechtskonforme Behandlung von Inhaftierten bei der Aufnahme“ und „Individueller Vollzugsplan und Klassifizierung“ in Algier zur Arbeit an Handbüchern sowie zur Erarbeitung von Empfehlungen für den algerischen Strafvollzug in Algier
  • Studienreise einer Delegation zum Thema „Zusammenarbeit mit externen Akteuren“ und „Ausbildung des Strafvollzugspersonals“ nach Nordrhein-Westfalen
  • Zwei Workshops der Arbeitsgruppen „Zusammenarbeit mit externen Akteuren“ und „Ausbildung des Strafvollzugspersonals“ zur Arbeit an einem Leitfaden für die Zusammenarbeit mit externen Akteuren und Erarbeitung von Empfehlungen zur Modernisierung der Ausbildungscurricula für den algerischen Strafvollzug
  • Abschlusskonferenz in Algier zur Vorstellung der Arbeitsergebnisse der vier Arbeitsgruppen
  • Symposium zur Praxis der internationalen rechtlichen Zusammenarbeit in Strafsachen in Berlin mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus den Justizministerien und Staatsanwaltschaften der Länder Algerien, Jordanien, Marokko, Senegal und Tunesien

Ausblick

Neben der Vertiefung der bereits etablierten Zusammenarbeit mit dem Justizministerium und der Strafvollzugsbehörde im Rahmen einer durch Zuwendung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz finanzierten umfassenden Nachhaltigkeitsphase zur Implementierung der Handbücher, beabsichtigt die IRZ 2020 auch, bei der Modernisierung des Verfahrensrechts, insbesondere des Conseil d´Etat, zu unterstützen. Aufgrund der derzeitigen politischen Lage vor Ort ist dies ein geeigneter Anknüpfungspunkt, um die Zusammenarbeit mit Algerien zu erweitern und bei der Aufarbeitung des Bouteflika-Regimes Hilfestellung zu leisten. Unter anderem will die IRZ die Einrichtung eines Weiterbildungssystems für die Richterschaft des Conseil d´Etat unterstützen und Empfehlungen zur Reduzierung der Gerichtsverfahren entwickeln.

Darüber hinaus soll die interministerielle Zusammenarbeit in Strafsachen in Bezug auf internationale Rechtshilfeersuchen sowie die Ermittlungsund Vollstreckungshilfe gestärkt werden. Die IRZ wird 2020 außerdem die Reformen im Strafprozessrecht begleiten. Hier ist das Ziel, eine Verkürzung der Haftstrafen und die verstärkte Anwendung alternativer Strafen zu erreichen.