Bosnien und Herzegowina – Jahresbericht 2024

Strategische Rahmenbedingungen

Rechtspolitische Ausgangslage

Bosnien und Herzegowina, das kriegsbedingt verspätet mit der Transformation seines Rechtssystems begonnen hatte, besitzt einen komplexen Staatsaufbau, dessen Kern die beiden sogenannten Entitäten Föderation Bosnien und Herzegowina sowie Republika Srpska bilden. Nach wie vor überwacht der Hohe Repräsentant für Bosnien und Herzegowina (derzeit der Deutsche Christian Schmidt) die Umsetzung der zivilen Aspekte des Friedensvertrages von Dayton. Das Land erhielt erst im Dezember 2022 den EU-Beitrittskandidatenstatus. Im März 2024 hat die EU der Eröffnung der Beitrittsverhandlungen zugestimmt. Im Gefolge des Ukraine-Krieges kommt es in der Republika Srpska zunehmend zu russlandfreundlichen und separatistischen Äußerungen und Aktionen.

Konzeption

Die IRZ legt den Schwerpunkt ihrer mit Mitteln des BMJV und des Aus­wärtigen Amts geförderten Projektarbeit auf die Aus- und Weiterbildung von Juristinnen und Juristen, wobei sie bewusst Möglichkeiten einer Begegnung für Angehörige verschiedener Volksgruppen schafft, um ethnischen Spannungen entgegenzuwirken. Dabei unterstützt die IRZ Veranstaltungen zum Zivil- und Wirtschaftsrecht an dem Edukationszentrum der Richter- und Staatsanwaltschaft der Föderation Bosnien und Herzegowina und arbeitet im Bereich der Menschenrechte mit dem Verfassungsgericht des Gesamtstaats Bosnien und Herzegowina und mit der Legal-Aid-Organisation Vaša Prava zusammen. Eingebettet in zwei EU-Projekte unterstützt die IRZ zusätzlich zum einen den Hohen Rat der Richter und Staatsanwälte und zum anderen das Ministerium für Sicherheit. Die Zusammenarbeit mit der Republika Srpska ist aufgrund der oben beschriebenen Umstände weiterhin suspendiert.

Tätigkeitsschwerpunkte 2024

Verfassungsrecht/Menschenrechte und deren Durchsetzbarkeit

  • Regionalkonferenz „Stärkung des menschenrechtlichen Rechtsschutzes durch die Verfassungsgerichte im Umwelt- und Klimaschutz“, gemeinsam veranstaltet mit dem Verfassungsgericht von Bosnien und Herzegowina in Tuzla
  • Seminar zum Thema „Sexualisierte Gewalt gegen Frauen, insbesondere als Kriegsopfer und gegen geflüchtete Frauen“, gemeinsam veranstaltet mit der Legal-Aid-Organisation Vaša Prava in Sarajevo

Zivil- und Wirtschaftsrecht

  • Seminarreihe in Sarajevo zur Verfahrensbeschleunigung im Zivilrecht mit dem Edukationszentrum der Richter- und Staatsanwaltschaft der Föderation Bosnien und Herzegowina zu folgenden Themen:
    • Verhältnis zwischen Europarecht und dem nationalen Recht von Bosnien und Herzegowina
    • Gerichtlicher Vergleich als alternatives Mittel der Streitbeilegung
    • Kündigung des Arbeitsvertrags
    • Aktuelle Fragen des Zivilverfahrensrechts, insbesondere zur Beweiswürdigung
    • Internationale Kaufverträge

Rechtspflege

  • Regionaler Online-Workshop zur Unterstützung und Vernetzung von auf dem Gebiet des deutschen Rechts tätigen Institutionen und Einzelpersonen unter Beteiligung der Juristischen Fakultät Sarajevo, einschließlich der Zurverfügungstellung von Literatur und Online-Lizenzen

Aus- und Fortbildung

  • Regionaler Erfahrungsaustausch zu den Themen „Verbesserung und Modernisierung der juristischen Ausbildung“, „Praxisorientierte Rechtsdidaktik“ sowie „Monitoring und Evaluation“, gemeinsam veranstaltet mit dem Edukationszentrum der Richter- und Staatsanwaltschaft der Föderation Bosnien und Herzegowina in Sarajevo
  • Mitwirkung von Teilnehmenden aus Bosnien und Herzegowina am regionalen Jahresworkshop der deutschsprechenden IRZ-Alumni zum Thema „Aktuelles aus dem deutschen Recht“ in Belgrad und an zwei regionalen Kursen im Hybridformat (mit Präsenzelement in Novi Sad) zur Einführung in das deutsche Recht und in die deutsche Rechtssprache

Von der Europäischen Union finanzierte Projekte

EU-Grant-Projekt „EU4Justice“ zur Umsetzung der laufenden Justizreform sowie zur Bekämpfung organisierter Kriminalität und Korruption

Seit Dezember 2022 führt die IRZ als Partner eines Konsortiums mit Expertise France als Federführer und der in Spanien ansässigen FIIAPP als weiterem Partner das EU-finanzierte Projekt „EU4Justice Phase II – Support to Judicial Professionalism and the Fight against Organised Crime and Corruption in Bosnia and Herzegovina“ durch. Das Projektvolumen beträgt 4,5 Millionen Euro bei einer Laufzeit von drei Jahren. Die IRZ begleitet mit einem der drei internationalen vor Ort tätigen Langzeitexperten die Komponente IV: „Organisierte Kriminalität und Antikorruption“.

Das übergeordnete Ziel des Projekts sind die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit in Bosnien und Herzegowina und die Angleichung an den EU-Acquis insbesondere mit Blick auf eine Verbesserung der Unabhängigkeit, der Qualität, der Rechenschaftspflicht und Effizienz des Justizsektors sowie eine effektivere Bekämpfung der organisierten Kriminalität und der Korruption. Dabei wird der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte (High Judicial and Prosecutorial Council, im Folgenden HJPC) als im Zentrum des Projekts stehende hauptbegünstigte Institution beraten. Als einzige justizielle Selbstverwaltungseinrichtung der Justiz in Bosnien und Herzegowina deckt der HJPC die gesamte, in vier Jurisdiktionen (Gesamtstaat Bosnien und Herzegowina, Föderation Bosnien und Herzegowina, Republika Srpska und Distrikt Brčko) aufgeteilte Justizstruktur im Land ab. Laut seinem Mandat soll der HJPC die Justiz vor politischer Einflussnahme schützen, das ordnungsgemäße Funktionieren aller vier Justizsysteme garantieren und Justizreformbestrebungen steuern. Zudem ist der HJPC zuständig für die Auswahl, Benennung und Beförderung aller Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte der vier Justizsysteme, setzt sämtliche Disziplinarmaßnahmen um und beschäftigt sich mit Ethik- und Integritätsfragen des Justizpersonals. Die Verordnungen des HJPC finden in allen vier Justizsystemen Anwendung, um eine konsistente und kohärente Umsetzung der Justizpolitik sicherzustellen.

EU-Grant-Projekt „EU4Police“

Seit September 2024 führt die IRZ als Partner eines Konsortiums mit dem Federführer CILC (Niederlande) sowie Civipol (Frankreich) und FIIAPP ­(Spanien) als auch CPMA (Litauen) das Projekt „EUPA4BiH – European Union Police Assistance for Bosnia and Herzegovina“ (auch genannt EU4Police) durch.

Das Projektvolumen beträgt zehn Millionen Euro bei einer Laufzeit von viereinhalb Jahren. Die IRZ begleitet das Projekt mit zwei internationalen Langzeitexperten im Bereich der organisierten Kriminalität/Finanzstrafsachen.

Hauptbegünstigte Institution ist das Ministerium für Sicherheit. Das Vorhaben ist fokussiert auf Sicherheits- und Ermittlungsthemen und wird aufgrund vieler thematischer Schnittmengen eng mit dem oben genannten EU-Projekt zusammenarbeiten.

Die Projektziele lassen sich wie folgt umschreiben:

  • Steigerung der Effizienz der Einrichtungen, die an der Bekämpfung von grenzüberschreitender organisierter Kriminalität, Korruption, Drogen, Geldwäsche, Cyberkriminalität, Menschenhandel, Terrorismus, Radikalisierung, gewalttätigem Extremismus und Korruption beteiligt sind, und Gewährleistung einer besseren Zusammenarbeit zwischen den Einrichtungen,
  • Verbesserung der Datenerhebung und des Datenaustauschs sowie des Datenschutzes gemäß den in der EU geltenden Standards und bewährten Verfahren,
  • Verbesserung der Governance-Standards, Verankerung von Stabilität und Fortschritten auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft, bessere Erkennung von und Reaktion auf Bedrohungen sowie Stärkung der Kapazitäten zur Verhütung und Bekämpfung von Straftaten.

Ausblick

Die IRZ wird 2025 ihre Projektarbeit in Bosnien und Herzegowina in enger Abstimmung mit ihren Partnerinstitutionen bzw. im Rahmen der beiden EU-Projekte auch mit der EU-Delegation Bosnien und Herzegowinas (als vertragsgebende Institution) fortsetzen und vertiefen. Die Verbesserung der Effizienz und Qualität der Justiz durch Veranstaltungen mit dem Edukationszentrum der Richter- und Staatsanwaltschaft der Föderation Bosnien und Herzegowinas und der Bereich Menschenrechte durch die Fortführung der Zusammenarbeit mit dem Verfassungsgericht des Gesamtstaats und der Nichtregierungsorganisation Vaša Prava werden dabei im Mittelpunkt stehen.