Multilateral – Jahresbericht 2023
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- Veröffentlicht: Mittwoch, 04. September 2024
Konzeption
Die multilateralen Programme der IRZ setzen nicht am Reformstand der beteiligten Länder an, sondern verfolgen das Ziel, Rechtsanwenderinnen und Rechtsanwendern aus verschiedenen juristischen Berufsfeldern mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ländern in einen Austausch über Fach- und Reformthemen zu bringen. Hierdurch können die Beteiligten nicht nur ihre eigenen Kompetenzen und Kenntnisse erweitern, sondern im besten Fall auch neue Impulse für mögliche Reformbereiche in ihrem heimischen Rechtssystem oder der Anwendungspraxis des Rechtsrahmens erhalten.
Bei den Hospitationsprogrammen, die die IRZ bereits kurz nach ihrer Gründung aufgelegt hat, kommt in besonderem Maß der Einblick in die Rechts- und Justizpraxis in Deutschland hinzu. Die Hospitierenden können in diesen Programmen einen unmittelbaren Eindruck bekommen, wie Gerichtsverhandlungen konkret ablaufen, wie die Prozessbeteiligten untereinander kommunizieren oder auch wie die Auseinandersetzung mit neueren Entwicklungen (beispielsweise Digitalisierung und Künstliche Intelligenz) in Deutschland erfolgt.
Nicht zuletzt verfolgen alle Formate das Ziel, langfristige länderübergreifende Netzwerke zu etablieren, sowohl innerhalb der jeweiligen Zielgruppen als auch häufig über die Berufsgruppen hinaus. Dieser Aspekt wird auch vonseiten der deutschen Beteiligten oft als besonders wertvoll hervorgehoben, da auch die gastgebenden Institutionen und Kanzleien
in Deutschland über die Hospitierenden konkrete Ansprechpersonen in zahlreichen Ländern gewinnen. Seit mehreren Jahren bietet die IRZ zudem einige Programme in modifizierter Form in den Transfersprachen Englisch bzw. Französisch an, um auch Rechtsanwenderinnen und Rechtsanwender ohne Deutschkenntnisse zu erreichen.
Traditionelle multilaterale Programme Hospitationsprogramm für Notarinnen und Notare
Gemeinsam mit der Bundesnotarkammer führte die IRZ in der Zeit vom 25. Juni bis 11. Juli 2023 den nunmehr 20. Jahrgang des im Jahr 2000 ins Leben gerufenen Notarhospitationsprogramms durch. An der deutschsprachigen Veranstaltung nahmen fünf Notarinnen und Notare sowie sechs Notarassessorinnen und Notarassessoren aus Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Polen, Rumänien, Tschechien, der Ukraine und Ungarn teil.
Im Rahmen eines einwöchigen Einführungsseminars standen die Rolle der Notarin bzw. des Notars in der vorsorgenden Rechtspflege in Deutschland, der Zugang zum Amt sowie Fragen zur berufsständischen Vertretung auf nationaler und internationaler Ebene im Fokus. Ferner wurden Themen wie Immobilienrecht, Kreditsicherung durch Grundpfandrechte, Geldwäscheprävention, Familien- und Erbrecht, Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Internationales Privatrecht in der notariellen Praxis erörtert und die Vorteile und Herausforderungen der Digitalisierung des Notariats diskutiert. In Ergänzung zu Vorträgen und Diskussionen besuchten die Teilnehmenden das Notariat Dr. Rabl und Dr. Gassen in Bonn, wo unter anderem Fragen der Büroorganisation thematisiert wurden.
Im Anschluss an diese Einführungswoche absolvierten die Gäste einen einwöchigen Hospitationsaufenthalt in einem deutschen Notariat. Dort hatten sie Gelegenheit, den Berufsalltag ihrer deutschen Kolleginnen und Kollegen näher kennenzulernen und sich fachlich intensiv auszutauschen.
Abschließend kehrten die Hospitierenden zu einem eintägigen Auswertungsseminar nach Bonn zurück. Für die Gäste war insbesondere die Praxisphase eine sehr wertvolle fachliche Erfahrung und auch in menschlicher Hinsicht in hohem Maße bereichernd.
Hospitationsprogramm für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte
Zwischen dem 27. August und dem 28. September 2023 führte die IRZ gemeinsam mit der Bundesrechtsanwaltskammer und dem Deutschen Anwaltverein das multilaterale deutschsprachige Hospitationsprogramm für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte durch. Dieser 29. Jahrgang bestand aus zwölf Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten aus elf verschiedenen Ländern.
Erstmalig fand im Berichtsjahr die Einführungswoche der Hospitation in Berlin statt, wofür die Bundesrechtsanwaltskammer und der Deutsche Anwaltverein ihre Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt hatten. Die Hospitierenden erhielten durch Vertreterinnen und Vertreter der Bundesrechtsanwaltskammer und des Deutschen Anwaltvereins sowie durch praktizierende Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte einen Einblick unter anderem in das anwaltliche Berufsrecht, die anwaltliche Selbstverwaltung, das Vertrags- und Unternehmensrecht, die internationale Schiedsgerichtsbarkeit, das Familienrecht, in das Beschwerdeverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und die Auswirkungen der Urteile auf die nationalen Rechtsordnungen. Einen ersten Einblick in die Praxis der deutschen Justiz brachte ein Besuch des Landgerichts Berlin, bei dem die Rolle der Richterschaft dargestellt und über den Ablauf eines Mediationsverfahrens informiert wurde.
An die Einführungswoche schloss sich für die Hospitantinnen und Hospitanten eine dreiwöchige Hospitationsphase in einer Anwaltskanzlei an. Dort hatten die Teilnehmenden Gelegenheit, die Arbeit der deutschen Rechtsanwaltschaft kennenzulernen. Nicht zuletzt aufgrund der mehrwöchigen Hospitationszeit wurden die Hospitantinnen und Hospitanten sehr intensiv in die Arbeit der jeweiligen Kanzlei eingebunden, konnten sich vertieft in Verfahren einarbeiten, nahmen an Mandantengesprächen und Gerichtsverhandlungen teil und standen in regem fachlichem Austausch mit den deutschen Kolleginnen und Kollegen. Auch die betreuenden Kanzleien schätzten den Aufenthalt der Hospitantinnen und Hospitanten als gewinnbringend ein, in einigen Fällen ist eine zukünftige Zusammenarbeit beabsichtigt.
Im Rahmen des eintägigen Auswertungsseminars in Bonn brachten die Teilnehmenden ein sehr positives Feedback zum Ausdruck. Sie empfanden insbesondere den länderübergreifenden Austausch mit den deutschen Anwältinnen und Anwälten sowie mit den Hospitationskolleginnen und Hospitationskollegen als sehr hilfreich für ihre eigene Arbeit und beabsichtigen, diese Kontakte auch zukünftig beizubehalten.
Multilaterales Hospitationsprogramm für deutschsprachige Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter
Die IRZ bietet gemeinsam mit dem Bund Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen sowie den Landesjustizverwaltungen seit 2013 im Zweijahresturnus ein Hospitationsprogramm für Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter mit guten Deutschkenntnissen an.
Nachdem das Programm 2021 pandemiebedingt ausfallen musste, konnte es im Berichtsjahr in der Zeit vom 24. Oktober bis 7. November durchgeführt werden. Es nahmen neun Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter aus Bulgarien, Georgien, Polen, Tschechien und Ungarn teil.
In einem dreitägigen Einführungsseminar in Bonn erhielten die Teilnehmenden einen ersten Überblick über das deutsche Verwaltungsrecht, die Verwaltungsgerichtsbarkeit, den Verwaltungsprozess, die Gerichtsorganisation, das Richterrecht und die Berufsverbände. Den Abschluss bildete ein Besuch beim Oberverwaltungsgericht Koblenz.
Im Anschluss an das Einführungsseminar reisten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu einer einwöchigen Praxisphase in ihre jeweiligen Hospitationsorte. Die fachlichen Betreuerinnen und Betreuer vor Ort, von denen manche auch Gastgeberin und Gastgeber der Hospitantinnen und Hospitanten waren, hatten – teilweise in Zusammenarbeit mit der Landesjustizverwaltung – für ihren Gast ein vielfältiges Fachprogramm zusammengestellt. Somit konnten die Hospitierenden die Gelegenheit wahrnehmen, die Arbeitsweise der Gerichte kennenzulernen, an Gerichtsverhandlungen, Besprechungen und Sitzungen teilzunehmen sowie sich mit den deutschen Kolleginnen und Kollegen zu Rechtsfragen intensiv auszutauschen.
Im abschließenden Auswertungsseminar in Bonn brachten die Hospitantinnen und Hospitanten zum Ausdruck, dass der Einblick in die deutsche Justiz sowie der rechtsvergleichende Austausch sowohl mit den deutschen und ausländischen Kolleginnen und Kollegen wichtige Erkenntnisse ermöglichte und ihnen Impulse für ihre berufliche Zukunft gab.
Hospitationsprogramm für englischsprachige Zivil- und Handelsrichterinnen und Zivil- und Handelsrichter
In der Zeit vom 21. November bis 5. Dezember 2023 führte die IRZ gemeinsam mit dem Deutschen Richterbund und den Landesjustizverwaltungen das Hospitationsprogramm für englischsprachige Zivil- und Handelsrichterinnen und Zivil- und Handelsrichter durch.
Der Teilnehmerkreis des 6. Jahrgangs dieses Programms setzte sich aus insgesamt elf Richterinnen und Richtern aus Albanien, Armenien, Bosnien und Herzegowina, Georgien, Jordanien, Kasachstan, Kosovo, Nordmazedonien und der Ukraine zusammen.
Die Teilnehmenden erhielten in einem dreitägigen Einführungsseminar in Bonn einen Überblick über das deutsche Zivilrecht, das Zivilprozessrecht, die gerichtsinterne Mediation, das Verhältnis der nationalen Gerichtsbarkeit zum Europäischen Gerichtshof sowie über das Richterrecht nebst Richteraus- und -fortbildung.
In Kleingruppen von jeweils drei Personen konnten die Teilnehmenden sodann an verschiedenen Gerichten eine Woche lang an Verhandlungen und Sitzungen teilnehmen. Die sie betreuenden deutschen Kolleginnen und Kollegen standen den Hospitierenden zu Fachgesprächen vor Ort zur Verfügung, sodass ein reger Austausch zustande kam, der sowohl von den Hospitierenden als auch von den deutschen Kolleginnen und Kollegen als bereichernd empfunden wurde.
Im Anschluss an die Praxisphase fand noch das abschließende Auswertungsseminar in Bonn statt, bei dem die Teilnehmenden sich sehr positiv über die gemachten Erfahrungen und ihre neu geknüpften Kontakte äußerten und beides als wertvoll für ihre weitere berufliche Tätigkeit im Heimatland ansahen.
Schwerpunkt „Fortbildungsprogramm Naher Osten“
Vor dem Hintergrund der nachhaltigen Förderung der internationalen rechtlichen Zusammenarbeit mit den IRZ-Partnerstaaten und insbesondere der Unterstützung des juristischen Nachwuchses aus dem Nahen Osten konzipierte die IRZ im Jahr 2016 eine Seminarreihe speziell für arabischsprachige geflüchtete Juristinnen und Juristen, die sie seitdem jährlich durchführt. Der Kreis der Teilnehmenden wurde sukzessive erweitert.
Hintergrund und Ziel des Fortbildungsprogramms ist es, einen Beitrag zur gesellschaftlichen und beruflichen Integration der Zielgruppe in Deutschland zu leisten.
Zweitägige Online-Seminarreihe zum Thema „Staatsangehörigkeitsrecht und Einbürgerungsverfahren“
Da migrationsrechtlich relevante Themen wie das Staatsangehörigkeits-, Aufenthalts- und Asylrecht sowie das allgemeine Verwaltungs- und Verwaltungsprozessrecht für die Juristinnen und Juristen aus dem Nahen Osten besonders wichtig sind, konzipierte die IRZ 2023 eine Seminarreihe speziell zu diesen juristischen Feldern.
Der erste Teil fand im April 2023 zum Thema „Verwaltungs- und Verwaltungsprozessrecht“ statt. Es wurden unter anderem die Handlungsformen der Verwaltung, insbesondere der Verwaltungsakt und seine Bekanntgabe, die Differenzierung zwischen Tatbestand und Rechtsfolge einer Norm, die gebundenen Entscheidungen und die Ermessensentscheidungen sowie die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (insbesondere in Form der Untätigkeitsklage) behandelt. Den zweiten Teil der Seminarreihe hielt die IRZ im September zum Thema Staatsangehörigkeitsrecht und Einbürgerungsverfahren ab. Hierbei informierten sich die Teilnehmenden über das Staatsangehörigkeitsrecht, die Ermessenseinbürgerung und die Anspruchseinbürgerung, die Tatbestandsvoraussetzungen und die geplante Einbürgerungsreform, die 2024 in Kraft treten soll.
Online-Seminar „Einführung in den Menschenrechtsschutz“
Am 9. Juni 2023 fand das Online-Seminar „Einführung in den Menschenrechtsschutz“ statt, bei dem die Teilnehmenden das internationale Menschenrechtsschutzsystem und dessen Umsetzung in Europa und Deutschland kennenlernten. Außerdem wurden verschiedene Mechanismen zur Kontrolle der Einhaltung von internationalen Menschenrechtsverpflichtungen besprochen. Seminare wie diese sollen außerdem den (potenziellen) künftigen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern – im Falle einer Rückkehr in ihre Heimatländer – helfen, das erworbene Wissen für den Aufbau des Rechtsstaats zu verwenden.
Fünftägige Lehrveranstaltung für Juristinnen und Juristen aus dem Nahen Osten in Berlin
Vom 31. Juli bis zum 4. August 2023 hieß die IRZ 16 Juristinnen und Juristen aus dem Nahen Osten in Berlin willkommen. Während der fünftägigen Präsenzveranstaltung wurden neue Kenntnisse im Bereich des Arbeitsrechts, des Aufenthalts- und Asylrechts sowie zu den Grundprinzipien eines funktionierenden Rechtsstaates und Soft Skills für Juristinnen und Juristen vermittelt. Die Gruppe besuchte zudem den deutschen Bundestag und führte ein Fachgespräch mit einem Referenten aus einem Abgeordnetenbüro.
Neben den Fachvorträgen lag in diesem Jahr ein besonderer Fokus auf der beruflichen Orientierung. So organisierte die IRZ ein Fachgespräch mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und dem Bundesministerium der Justiz zu möglichen Berufschancen für die Gruppe. Zusätzlich durchliefen die Teilnehmenden ein Bewerbungstraining und konnten sich individuelles Feedback zu ihren Lebensläufen einholen.
Hospitation für Juristinnen und Juristen aus der Region des Nahen Ostens
Auch im Jahr 2023 konnten acht ausgewählte Teilnehmende die Möglichkeit einer Hospitation in einer Anwaltskanzlei, einer Rechtsabteilung eines Unternehmens oder einer Behörde, wie beispielsweise dem Bundesministerium der Justiz, nutzen. Je nach Interessensgebiet absolvierten die Hospitierenden ihr Praktikum in den Fachbereichen Asyl-, Arbeits-, Familien- und Handelsrecht.
Alle Veranstaltungen wurden aus Mitteln der institutionellen Zuwendung des Bundesministeriums der Justiz finanziert.