Albanien - Jahresbericht 2019

Während des Steering-CommitteeMeetings des EU-Projekts EURALIUS V. Vorne Mitte: EURALIUS V-Teamleiterin Dr. Agnes Bernhard, rechts daneben: Dr. Stephen Stork, EU-Delegation Albanien
Während des Steering-CommitteeMeetings des EU-Projekts EURALIUS V. Vorne Mitte: EURALIUS V-Teamleiterin Dr. Agnes Bernhard, rechts daneben: Dr. Stephen Stork, EU-Delegation Albanien

Strategische Rahmenbedingungen

Rechtspolitische Ausgangslage

Seit Mitte 2014 ist Albanien offiziell Beitrittskandidat der EU. Bereits im April 2018 empfahl die EU-Kommission, Beitrittsverhandlungen mit Albanien aufzunehmen und so die Fortschritte zu würdigen, die bis dahin in vielen Bereichen gemacht worden waren. Dennoch konnte die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen auch im Berichtsjahr noch nicht erfolgen, da nicht alle EU-Mitgliedstaaten diesem Schritt zustimmten. In Albanien ist die Enttäuschung darüber groß, steht doch der Beitritt des Landes (wie auch der Nordmazedoniens) im Mittelpunkt der Westbalkan-Strategie der EU, die im Kern eine engere Anbindung Albaniens an die EU vorsieht, um so zur weiteren Stabilisierung und Aussöhnung der Region beizutragen. Seit Jahren ist Albanien intensiv damit befasst, Reformen – vor allem im Justizbereich – umzusetzen, um das Land näher an eine mögliche EUMitgliedschaft heranzuführen.

Innenpolitisch stand die Regierung unter Ministerpräsident Edi Rama 2019 zudem stark unter Druck. Studentenproteste in der ersten Jahreshälfte forderten u.a. mehr Mitsprache im Universitätsbetrieb, eine Halbierung der Studiengebühren und deutliche Verbesserungen der Wohnsituation. Die Proteste zeigten Wirkung, und die Regierung lenkte zumindest teilweise ein.

Hinzu kam, dass die Opposition Anfang des Jahres 2019 ihre Parlamentsmandate niederlegte, um gegen die aus ihrer Sicht korrupte Regierung, der sie Wahlmanipulation und Verbindungen zum organisierten Verbrechen vorwirft, zu protestieren. Die Blockade hatte teils gewaltsame Ausschreitungen zur Folge, auch kam es seitens der Opposition zu einem Boykott der Kommunalwahlen im Sommer. Die Regierung, die mit absoluter Mehrheit im Parlament regiert, zeigte sich davon unbeeindruckt, zu Neuwahlen des Parlaments kam es nicht.

Die rechtspolitische Situation Albaniens wird zudem dadurch verschärft, dass zentrale Institutionen wie das Verfassungsgericht und das Oberste Gericht derzeit nicht arbeitsfähig sind. Durch das Vetting-Verfahren mit seiner umfassenden Überprüfung des Justizpersonals, insbesondere der Richterinnen und Richter sowie der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte hinsichtlich ihrer fachlichen Eignung, ihrer finanziellen Verhältnisse und ihrer persönlichen Integrität, sind viele Stellen bei den Gerichten vakant und werden nur langsam nachbesetzt.

Konzeption

Die IRZ berät Albanien seit 2000 sowohl in direkter bilateraler Kooperation mit Institutionen wie dem Verfassungsgericht, dem Obersten Gericht und der Magistratenschule als auch im Rahmen EU-finanzierter Projekte. Oftmals konnten durch die bilaterale Zusammenarbeit Teilbereiche, die durch EU-finanzierte Projekte nicht abgedeckt werden konnten, aufgefangen oder weiter vertieft werden.

Leider konnte die IRZ 2019 ihre Zusammenarbeit mit den Hauptpartnern Oberstes Gericht und Verfassungsgericht aufgrund der oben beschriebenen Situation nicht fortsetzen. Gleichwohl bildete das Verfassungsrecht thematisch einen Schwerpunkt der Tätigkeit der IRZ in Albanien. So fanden in den Regionen Albaniens Fortbildungsseminare für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte zur Einführung und Anwendung der Verfassungsbeschwerde statt.

Gleichzeitig wurde die Zusammenarbeit mit der Magistratenschule, der in der momentanen Situation eine zentrale Stellung bei der Aus- und Fortbildung des juristischen Nachwuchses zukommt, deutlich intensiviert. So bot die IRZ gemeinsam mit der Magistratenschule Fortbildungsveranstaltungen zu unterschiedlichen Themen an.

Darüber hinaus wird im Rahmen eines durch das Auswärtige Amt geförderten Projekts ein elektronischer Kommentar aufgebaut, der allen albanischen Rechtsanwenderinnen und Rechtsanwendern einen niederschwelligen und kostenlosen Zugriff auf juristische Kommentare ermöglicht. Die Kommentare selbst werden dabei von albanischen Autorinnen und Autoren verfasst und von deutschen Expertinnen und Experten zur Sicherung eines einheitlichen Qualitätsstandards vor der Veröffentlichung überprüft. Dieses Projekt findet in Zusammenarbeit mit dem EURALIUS V-Projekt statt.

Tätigkeitsschwerpunkte 2019

Verfassungsrecht/Menschenrechte und deren Durchsetzbarkeit

  • Fortbildung für Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in Zusammenarbeit mit der Magistratenschule zum Thema „Verfassungs- vs. Verwaltungsgerichtsbarkeit“ in Tirana
  • Fortbildungen für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in Zusammenarbeit mit der Rechtsanwaltskammer zum Thema „Anwendung der Verfassungsbeschwerde“ in Durres und Korca

Öffentliches Recht

  • Seminar zum Verwaltungsrecht in Zusammenarbeit mit der Magistratenschule in Tirana
  • Seminar zum Asylrecht in Zusammenarbeit mit der Magistratenschule in Tirana

Straf- und Strafvollzugsrecht

  • Seminar für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte zur Strafprozessordnung mit der Rechtsanwaltskammer in Tirana
  • Seminar zum Thema „Strafrecht und EGMR-Rechtsprechung“ in Zusammenarbeit mit der Magistratenschule in Tirana

Aus- und Fortbildung

  • Kick-off-Veranstaltung zum E-Kommentar in Zusammenarbeit mit der Magistratenschule in Tirana
  • Schulung für Autorinnen und Autoren zum Verfassen von E-Kommentaren in Zusammenarbeit mit der Magistratenschule in Tirana

Von der Europäischen Union finanziertes Projekt

EU-Grant-Projekt: EURALIUS V “Consolidation of the Justice System in Albania“

Seit April 2018 setzt die IRZ federführend das EU-finanzierte EURALIUS VProjekt, welches sich an das von der IRZ erfolgreich umgesetzte EURALIUS IV-Projekt anschließt, um.

EURALIUS V hat ein Gesamtvolumen in Höhe von 7,5 Millionen Euro und eine 36-monatige Laufzeit bis März 2021. Die Konsortialpartner sind identisch zum Vorgängerprojekt, also das “Centre for International Legal Cooperation” (CILC/Niederlande) und die “Agency for Economic Development” (aed/Österreich). Neu hinzu kam der „Consiglio Superiore della Magistratura“ (CSM) aus Italien.

Teamleiterin vor Ort ist abermals Dr. Agnes Bernhard aus Österreich. Während im EURALIUS IV-Projekt die gesetzlichen Grundlagen der laufenden Justizreform erarbeitet wurden, konzentriert sich EURALIUS V intensiv auf die Gesamtkonsolidierung der Reformmaßnahmen. Schwerpunkte hierbei bilden u.a.:

  • Kapazitätsbildungsmaßnahmen für neu errichtete Selbstverwaltungsinstitutionen der Justiz,
  • Strategien zum effektiven Abbau beträchtlicher Fallrückstände am Obersten Gerichtshof,
  • Unterstützung der Sonderstaatsanwaltschaften und der Gerichte für Antikorruption sowie
  • flankierende IT-Maßnahmen für den gesamten Justizsektor.

Insgesamt deckt die EURALIUS V-Projektarbeit laufend mehr als zehn begünstigte Institutionen ab: Das Parlament, das Justizministerium, den Richterrat, den Staatsanwälterat, den Ernennungsrat, das Oberste Gericht, die Magistratenschule sowie die Kammern der freien Berufe sind nur einige davon.

Das Projekt ist insgesamt in fünf Teams organisiert, die jeweils individuelle Institutionen betreuen. Jedes Team wird von ein bis zwei internationalen Expertinnen und Experten geleitet und durch zahlreiche nationale Kolleginnen und Kollegen bereichert. Die Teams haben folgende Zuständigkeiten:

  • Team 1: Parlament und Justizministerium
  • Team 2: Neue Justizbehörden Richter-, Staatsanwälte- und Ernennungsrat sowie Justizinspektorat
  • Team 3: Gerichte und Staatsanwaltschaftsorganisation, Freie Juristische Berufe
  • Team 4: IT im Justizwesen, u.a. mit dem Ziel der Einführung eines einheitlichen Fallverwaltungssystems
  • Team 5: Aus- und Fortbildung von Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten sowie Justizbediensteten

Die folgenden exemplarisch aufgeführten Maßnahmen bilden Schwerpunkte zur Umsetzung der im Rahmen des Vorgängerprojekts EURALIUS IV miterarbeiteten Reformgesetzgebung:

  • Unterstützung bei der Ausarbeitung von Verordnungen, Richtlinien, Erlassen, Handbüchern und Gutachten zu Rechtsfragen
  • Kommentierung von Gesetzentwürfen
  • Entwicklung von IT-Programmen
  • Unterstützung bei der Instandhaltung von IT-Systemen
  • Ausarbeitung von Ausschreibungsunterlagen für ein neues IT-Fallverwaltungssystem
  • Neustrukturierung der Magistratenschule
  • Überarbeitung der Curricula u.v.m.

Erfreulich ist, dass die IRZ die Magistratenschule im Rahmen ihrer bilateralen Arbeit mit Beratungsleistungen zusätzlich unterstützen kann, die vertraglich im Rahmen von EURALIUS V nicht abgedeckt werden.

Das EURALIUS V-Projekt konnte 2019 diverse Ziele erreichen. Zum einen wurden die letzten Gesetze des im Rahmen des Vorgängerprojekts EURALIUS IV miterarbeiteten Reformgesetzespakets verabschiedet. Darüber hinaus wurden der Ernennungsrat und die Sonderstaatsanwaltschaft für Antikorruption errichtet, und es gab Fortschritte bei der Ernennung von Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichtern.

Für das anstehende letzte Projektjahr liegen die Schwerpunkte unter anderem bei der Unterstützung des Verfassungsgerichts sowie des Obersten Gerichtshofs, um deren Funktionsfähigkeit wiederherzustellen. Letzterer wird zudem dabei unterstützt, eine Strategie zum effektiven Abbau der beträchtlichen Fallrückstände zu entwickeln und umzusetzen. Einen weiteren Schwerpunkt wird die Beratung der Sonderstaatsanwaltschaften und Gerichte für Antikorruption bilden. Vor dem Hintergrund der laufenden Vetting-Verfahren und der damit einhergehenden Reduzierung der Anzahl der Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte stellen die vorgenannten Maßnahmen eine Herausforderung für das gesamte albanische Justizsystem dar.

Ausblick

Die IRZ wird die bilaterale Zusammenarbeit mit dem Verfassungsgericht und dem Obersten Gericht, sobald diese wieder arbeitsfähig sind, nach Möglichkeit 2020 fortsetzen. Für das kommende Jahr hat die IRZ zudem eine deutliche Ausweitung der Aktivitäten mit der Magistratenschule zum Ziel. Geplant ist u.a. der weitere Ausbau des E-Kommentars, der allen Juristinnen und Juristen einen freien Zugang zu aktueller Rechtsprechung sowie Kommentaren zu Gesetzen ermöglichen wird. Darüber hinaus rückt das Thema Vermögensabschöpfung in den Mittelpunkt der Beratungen, erste Kontakte zu den relevanten Institutionen in Albanien sind bereits geknüpft.

Zudem wird sich die IRZ weiterhin intensiv im Rahmen von EURALIUS V in Albanien engagieren.