Albanien – Jahresbericht 2020

Dr. Jutta Kemper (linke Seite, Mitte) begrüßt die albanische Delegation um den stellv. Innenminister Besfort Lamallari (gegenüber) im Zuge der Studienreise zum Thema „Vermögensabschöpfung“ im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz.  Berlins Polizeivizepräsident Marco Langner (rechts) überreicht dem albanischen stellv. Innenminister Besfort Lamallari (links) nach dem Fachaustausch zum Thema „Vermögensabschöpfung“ ein Gastgeschenk.
Dr. Jutta Kemper (linke Seite, Mitte) begrüßt die albanische Delegation um den stellv. Innenminister Besfort Lamallari (gegenüber) im Zuge der Studienreise zum Thema „Vermögensabschöpfung“ im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Berlins Polizeivizepräsident Marco Langner (rechts) überreicht dem albanischen stellv. Innenminister Besfort Lamallari (links) nach dem Fachaustausch zum Thema „Vermögensabschöpfung“ ein Gastgeschenk.

Strategische Rahmenbedingungen 

Rechtspolitische Ausgangslage 

Im März 2020 hat der Europäische Rat beschlossen, Beitrittsverhandlungen mit Albanien zu eröffnen. Albanien wurde zugleich aufgefordert, vor der ersten Regierungskonferenz, die formal den Beginn der Beitrittsverhandlungen darstellt, weitere Angleichungsprozesse einzuleiten. So sollte unter anderem die Wahlrechtsreform in Übereinstimmung mit den Empfehlungen des Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR), der Menschenrechtsinstitution der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), umgesetzt werden. Mitte des Jahres haben sich daher unter Vermittlung der EU, der USA und Großbritanniens die Parteien des Parlaments übergreifend auf eine Reform des Wahlrechts geeinigt. Wenig später folgten weitere Änderungen am Wahlsystem, die ebenfalls einer Verfassungsänderung bedurften. Eine Einigung im sogenannten Politischen Rat, einem Allparteiengremium, das sich auf Änderungen im Wahlrecht verständigen soll, wurde bei der Abstimmung im Parlament nicht abgewartet. Dieses Vorgehen wurde von der EU kritisiert.

Weitere Voraussetzungen für den Beginn der Beitrittsverhandlungen betreffen die Umsetzung der Justizreform, insbesondere die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Obersten Gerichts und des Verfassungsgerichts, die seit Jahren nicht beschlussfähig sind. Grund dafür ist die Durchführung eines sogenannten Vetting-Verfahrens, das alle albanischen Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte hinsichtlich ihrer fachlichen Eignung, Integrität und Vermögensverhältnisse überprüft. Im Zuge dessen kam es zu zahlreichen Vakanzen in der Justiz. Im Laufe des Jahres konnten immerhin am Obersten Gericht und am Verfassungsgericht so viele Richterinnen und Richter ernannt werden, dass jeweils eine Kammer ihre Arbeit wiederaufnehmen konnte. Aber das Verfahren der Nachbesetzung, insbesondere am Verfassungsgericht, verlief nicht unproblematisch.

Darüber hinaus hat Albanien mit der Einrichtung der neuen Behörde SPAK (Struktura e Posaçme Anti-Korrupsion/Special Anti-Corruption Structure) spezialisierte Strukturen zur Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität errichtet.

Konzeption

Die COVID-19-Pandemie hatte zunächst erhebliche Auswirkungen auf die Zusammenarbeit mit den albanischen Partnerinstitutionen. Doch es gelang schnell, die Kooperation auf digitale Formate umzustellen. Dabei beriet die IRZ in bilateralen Projekten, finanziert durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und das Auswärtige Amt, sowie im Rahmen des EU-finanzierten Projekts EURALIUS V. Bei der Konzeption und Umsetzung der Projekte wird darauf Wert gelegt, dass es zu keinen Doppelungen in der Zusammenarbeit kommt.

Die Kooperation mit der Magistratenschule, der eine zentrale Rolle bei der Aus- und Fortbildung des juristischen Nachwuchses zukommt, ist für die IRZ von großer Bedeutung. Gemeinsam wurde ein E-Kommentar entwickelt und es wurden albanische Juristinnen und Juristen fortgebildet.

Die Verfassungsbeschwerde, die 2016 nach deutschem Vorbild in Albanien eingeführt wurde, stellt einen thematischen Schwerpunkt der Zusammenarbeit mit der Rechtsanwaltskammer dar.

Im Berichtsjahr unterstützte die IRZ auch die neue Behörde SPAK sowie weitere relevante Akteure mit fachlicher Expertise im Hinblick auf die europarechtlichen Regelungen. Erfreulicherweise konnte nach Jahren des Stillstands die Zusammenarbeit mit dem Obersten Gericht erneut aufgenommen werden.

Tätigkeitschwerpunkte 2020

Verfassungsrecht, Menschenrechte und deren Durchsetzbarkeit 

  • Online-Fortbildungen zum Thema „Anwendung der Verfassungsbeschwerde“ für die Rechtsanwaltschaft in den Regionen Vlora, Elbasan und Shkodra in Zusammenarbeit mit der Rechtsanwaltskammer

Zivil- und Wirtschaftsrecht

  • Online-Seminar zum Erbrecht, gemeinsam mit der Bundesnotarkammer und der albanischen Notarkammer
  • Online-Seminar zur Eigenart der Zivilverfahren vor dem Obersten Gericht gemeinsam mit dem Obersten Gericht

Öffentliches Recht

  • Online-Seminar zur Abgrenzung zwischen der Zivil- und der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Kooperation mit der Magistratenschule
  • Online-Seminar zum Verwaltungsverfahrensgesetzbuch in Zusammenarbeit mit der Magistratenschule

Strafrecht und Strafvollzugsrecht

  • Studienreise nach Berlin zum Thema „Vermögensabschöpfung“ in Zusammenarbeit mit dem albanischen Justizministerium, dem Innenministerium, der Staatsanwaltschaft sowie der Agentur für die Verwaltung beschlagnahmter Vermögenswerte
  • Online-Rundtischgespräche zur Vermögensabschöpfung in Kooperation mit dem Justizministerium, dem Innenministerium, der Staatsanwaltschaft sowie der Agentur für die Verwaltung beschlagnahmter Vermögenswerte
  • Erstellung eines Handbuchs zur Vermögensabschöpfung

Aus- und Fortbildung

  • Aufbau eines E-Kommentars in Zusammenarbeit mit der Magistratenschule und EURALIUS V
  • Online-Seminar „Anwaltschaft in der Öffentlichkeit“ gemeinsam mit der Rechtsanwaltskammer

Von der Europäischen Union finanziertes Projekt 

EU-Grant-Projekt: EURALIUS V „Consolidation of the Justice System in Albania“

Seit April 2018 setzt die IRZ federführend das EU-finanzierte EURALIUS V-Projekt um (Volumen: 7,5 Millionen Euro, Laufzeit: 36 Monate bis März 2021, vorbehaltlich einer Verlängerung bis ca. Dezember 2021). Konsortialpartner des über 30 Expertinnen und Experten und mehr als zehn Institutionen umfassenden Projekts sind:

Centre for International Legal Cooperation (CILC/Niederlande), Agency for Economic Development (aed/Österreich) und Consiglio Superiore della Magistratura (CSM/Italien).

Trotz erheblicher Auswirkungen der COVID-19-Pandemie konnte das EURALIUS V-Projekt seine Arbeit – unter großem Einsatz des gesamten Teams – lückenlos fortführen.

EURALIUS V konzentriert sich auf die Gesamtkonsolidierung der im Vorgängerprojekt EURALIUS IV erarbeiteten gesetzlichen Grundlagen der Justizreform mit den Schwerpunkten:

  • Entwicklung einer Übergangsstrategie mit dem Ziel der Kompensation personeller Auswirkungen der laufenden Vetting-Verfahren sowie Unterstützung der Umsetzung der Übergangsstrategie
  • Kapazitätsbildungsmaßnahmen für neu errichtete Selbstverwaltungsinstitutionen der Justiz
  • Strategien zum effektiven Abbau von Fallrückständen am Obersten Gericht
  • Unterstützung der Sonderstaatsanwaltschaften und der Gerichte für Antikorruption sowie
  • Flankierende IT-Maßnahmen für den gesamten Justizsektor

Hervorzuheben ist die Erarbeitung einer sogenannten „Transition Matrix“, die Übergangsstrategien zur weiteren effektiven Gestaltung der Arbeit der Gerichte und Staatsanwaltschaften bis zu deren voller personeller Wiederbesetzung anbietet, was vor dem Hintergrund der durch das laufende Vetting-Verfahren reduzierten Anzahl der Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte von großer Bedeutung ist. Die letzte Phase des Projekts konzentriert sich auf die Sicherstellung der Nachhaltigkeit umgesetzter Maßnahmen sowie auf den Wissenstransfer an die albanischen Institutionen.

Ausblick

Albanien bleibt auch 2021 ein wichtiger Partner für die IRZ, insbesondere im Hinblick auf die Beitrittsverhandlungen und die damit verbundenen notwendigen Reformen. Für 2021 ist daher geplant, neben der Fortsetzung des EURALIUS V-Projekts, welches eventuell bis Ende 2021 verlängert wird, auch bilateral die Zusammenarbeit mit dem Obersten Gericht zu vertiefen. Daneben sollen die Aktivitäten im Bereich der Vermögensabschöpfung weiter intensiviert und die Aus- und Fortbildung von Juristinnen und Juristen mit der Magistratenschule fortgesetzt werden. Zudem soll die Kooperation mit der Rechtsanwaltskammer um weitere Themen ergänzt werden. Gleiches gilt für die Zusammenarbeit mit der albanischen Notarkammer.