Vorstellung des Handbuchs zur Verfassungsbeschwerde in Tirana: Dr. Arta Vorpsi, Rechtsberaterin am albanischen Verfassungsgericht; Professor Dr. Jan Bergmann, Senatsvorsitzender am Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg; Dr. Vitore Tusha, Verfassungsrichterin am albanischen Verfassungsgericht; Frank Hupfeld, IRZ (v.l.n.r.)
Vorstellung des Handbuchs zur Verfassungsbeschwerde in Tirana: Dr. Arta Vorpsi, Rechtsberaterin am albanischen Verfassungsgericht; Professor Dr. Jan Bergmann, Senatsvorsitzender am Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg; Dr. Vitore Tusha, Verfassungsrichterin am albanischen Verfassungsgericht; Frank Hupfeld, IRZ (v.l.n.r.)

Rechtspolitische Ausgangslage

Im Juni 2017 fanden in Albanien Parlamentswahlen statt. Der seit September 2013 amtierende Ministerpräsident Edi Rama wurde im Amt bestätigt. Den Wahlen vorausgegangen war eine politische Krise, die über mehrere Monate andauerte. Die Oppositionspartei PD (Demokratische Partei Albaniens) und ihre Anhängerinnen und Anhänger blockierten über mehrere Monate hinweg einen Platz in der Innenstadt von Tirana, um ihren Unmut über die Politik Ramas zum Ausdruck zu bringen und die Regierung zum vorzeitigen Rücktritt zu bewegen. Gründe für die Proteste lieferten u. a. Teile der geplanten Justizreform, die eine von der EU geforderte Voraussetzung darstellt für die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit Albanien, das seit 2014 den offiziellen EU-Kandidatenstatus besitzt. Die albanische Justizreformstrategie, die im Sommer 2016 durch die Annahme einer Gesetzesänderung für eine Modifikation der albanischen Verfassung gebilligt wurde, umfasst so gut wie alle Teile der Justiz. Im Vordergrund stehen jedoch die sogenannten Überprüfungen von Richterinnen und Richtern sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälten. Durch das neu verabschiedete „Vetting Law“ (Zuverlässigkeitsprüfung) sollen die persönliche Befähigung und die Einkommensverhältnisse der Justizbediensteten überprüft sowie festgestellt werden, ob es Verbindungen zur organisierten Kriminalität gibt. Dies bildet einen wichtigen Aspekt für das Vorhaben der Regierung, das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung und das Justizsystem zu stärken, das u.a. aufgrund der weit verbreiteten Korruption geschädigt ist.

Konzeption

Die IRZ berät Albanien seit 2000 bei der Reformierung und Konsolidierung des Rechtsstaats und führt in diesem Zusammenhang Veranstaltungen in den Bereichen Justizorganisation, Gesetzgebung sowie Aus- und Fortbildung für Juristinnen und Juristen durch. Dies erfolgte sowohl in direkter Kooperation mit Institutionen wie dem Verfassungsgericht, dem Obersten Gericht und der Magistratenschule als auch im Rahmen von EU-finanzierten Projekten. Oftmals wurden dabei bestimmte Teilbereiche, die durch die EU-Projekte nicht abgedeckt werden konnten, durch die bilaterale Zusammenarbeit aufgefangen oder weiter vertieft. Die IRZ war in der Vergangenheit sowohl an den EU-Justizreformprojekten EURALIUS I und EURALIUS II beteiligt und implementierte als federführende Organisation seit September 2014 das Folgeprojekt EURALIUS IV (s. auch u. EU-Projekte).

In den letzten Jahren lag der Schwerpunkt der Zusammenarbeit der IRZ mit Albanien insbesondere im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit, die 2013 in Albanien eingeführt wurde. Die 2017 neu eingeführte Verfassungsbeschwerde ist ebenfalls Bestandteil einer vertieften Beratung durch die IRZ. So entstand 2017 in deutsch-albanischer Co-Autorenschaft ein Handbuch zur Verfassungsbeschwerde, das einen praxisnahen Überblick gibt über die rechtliche Einordnung der Verfassungsbeschwerde sowie konkrete Schemata zur Prüfung derselben und zukünftig sowohl der aktuellen Richterschaft und Rechtsanwaltschaft als auch zukünftigen Kolleginnen und Kollegen als Nachschlagewerk für die tägliche Praxis dienen soll.

Tätigkeitsschwerpunkte 2017

Verfassungsrecht/Menschenrechte und deren Durchsetzbarkeit

  • Seminar zum Thema „Die Verfassungsbeschwerde in deutscher Theorie und Praxis“ in Zusammenarbeit mit dem Verfassungsgericht der Republik Albanien in Tirana
  • Follow-up-Seminar zum Thema „Die Verfassungsbeschwerde in deutscher Theorie und Praxis“ in Zusammenarbeit mit dem Verfassungsgericht der Republik Albanien in Tirana
  • Erstellen eines Handbuchs zum Thema „Die Verfassungsbeschwerde Ein Handbuch für Praktiker aus deutscher und albanischer Perspektive“ für die Richterschaft und Bedienstete am Verfassungsgericht sowie für Anwältinnen und Anwälte in Albanien
  • Vorstellung des Handbuchs „Die Verfassungsbeschwerde – Ein Handbuch für Praktiker aus deutscher und albanischer Perspektive“ mit Vertretern der Richterschaft und Rechtsanwaltschaft in Tirana
  • Seminar „Finding, understanding and citing the case law of European Court of Human Rights and the European Court of Justice. Practical instructions for helping judges, prosecutors and students of the School of Magistrates“ in Zusammenarbeit mit der Magistratenschule in Tirana
  • Teilnahme eines deutschen Landesverfassungsrichters an der internationalen Konferenz “Europeanization of constitutional law and constitutionalization of European law – challenges for the future” anlässlich des 25-jährigen Bestehens des albanischen Verfassungsgerichts in Tirana
  • Seminar für Angehörige des Obersten Gerichts zum Asylrecht und zum gemeinsamen europäischen Asylsystem (GEAS) in Tirana
  • Seminar zur EMRK und EGMR-Rechtsprechung für die Richterschaft sowie Bedienstete des Obersten Gerichts in Tirana

Rechtspflege

  • Teilnahme einer Juristin und eines Juristen an der „IRZ Sommerschule Deutsches Recht“ in Bonn

Öffentliches Recht

  • Studienreise einer Delegation des Obersten Gerichts der Republik Albanien (Verwaltungskammer) zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig und zum Oberverwaltungsgericht in Bautzen

Von der Europäischen Union finanziertes Projekt

EU-Grant-Projekt: Consolidation of the Justice System in Albania (EURALIUS IV/EURALIUS IV – 2017)

Seit Herbst 2014 führt die IRZ federführend in Albanien das von der EU finanzierte Projekt „Consolidation of the Justice System in Albania“ (EURALIUS IV/EURALIUS IV – 2017) durch. Konsortialpartner sind das „Centre for International Legal Cooperation” (CILC/Niederlande) und die „Agency for Economic Development” (AED/Österreich). Das Projekt setzt die Arbeit der drei Vorgängerprojekte fort, an denen die IRZ als Juniorpartner in Phase I und II beteiligt war.

Ziel des Projekts, welches Ende Februar 2018 endet, ist die in Albanien laufende Justizreform und deren Implementierung zu unterstützen. Nach einer Vertragsänderung hat das Projekt nunmehr ein Gesamtvolumen von rund 5,6 Mio. Euro. Die budgetäre Aufstockung wurde seitens des Vertragsgebers, der EU-Delegation Tirana, initiiert, um eine noch intensivere Begleitung der Reformen durch ein seit Anfang 2017 vergrößertes Beratungsteam vor Ort in Tirana zu ermöglichen. Derzeit sind somit über 20 internationale und nationale Rechtsexpertinnen und -experten in Vollzeit inklusive des Teams für die Projektverwaltung mit der Unterstützung der Reformbemühungen befasst. Flankiert wird die Arbeit vor Ort, wie in allen EU-Projekten üblich, durch Kurzzeitexpertinnen und -experten.

Begünstigte Institutionen sind laut Projektvertrag neben dem Justizministerium das Parlament, der Hohe Justizrat und der Oberste Gerichtshof, die Staatsanwaltschaft, die Magistratenschule sowie die Anwalts- und Notarkammern. Hinzu kommen sukzessive die nach der im Sommer 2016 verabschiedeten Verfassungsänderung neu errichteten bzw. neu zu errichtenden Justizinstitutionen.

Die EU unterhält bereits seit dem Jahr 1992 Beziehungen zu Albanien. 2008 unterzeichneten die EU und Albanien das Finanzierungsabkommen für das Instrument der Heranführungshilfe („Instrument for Pre-Accession Assistance“, IPA – seit 2015 IPA II). Im aktuellen EU-Haushaltsplan verfügt das IPA-II-Programm für Albanien für den Zeitraum von 2014 bis 2020 über ein Finanzvolumen von insgesamt rund 650 Mio. Euro. Das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Albanien trat im April 2009 in Kraft und im Juni 2014 hat die EU Albanien als Anerkennung für eingeleitete Reformen den Status eines Beitrittskandidaten gewährt. Im Hinblick auf den Beitritt fordert die EU unter anderem eine Justizreform, an der die IRZ im Rahmen des EURALIUS-IV-Projekts seit Herbst 2014 maßgeblich mitarbeitet.

Hauptziele der Reform sind eine wirksamere Korruptionsbekämpfung sowie die Steigerung der Unabhängigkeit und Effizienz der Gerichtsbarkeit. Die Reformbestrebungen umfassen sieben Reformsäulen: Verfassung, allgemeine Gerichtsbarkeit, Strafgerichtsbarkeit, juristische Ausbildung, freie juristische Berufe, Korruptionsbekämpfung und Finanzen.

In der ersten Phase der Reform wurde durch das EURALIUS-IV-Projektteam eine Analyse der aktuellen Situation des Justizsystems erstellt. Hierauf aufbauend wurde ein Strategiepapier samt Aktionsplan erarbeitet mit dem Ziel, die in der Analyse festgestellten Defizite zu adressieren. Unmittelbar nach dem Beginn des EURALIUS-IV-Projekts hat das albanische Parlament eine Justizreformkommission eingerichtet, in welcher Projektlangzeitexpertinnen und -experten in Arbeitsgruppen zu verschiedenen Gesetzesvorhaben vertreten waren.

Ab Herbst 2015 arbeiteten die Expertengruppen und das Parlament an einem umfassenden Paket von rund 40 Gesetzen samt Verfassungsänderung. In die Verfassungsänderungen sowie in die Erarbeitung des Gesetzes zur Überprüfung der Richterschaft und der Staatsanwaltschaft („VettingLaw“, s. auch o. unter „Rechtspolitische Ausgangslage“) wurde die Venedig-Kommission des Europarats einbezogen.

Der von der Venedig-Kommission begutachtete Gesetzesentwurf für eine Verfassungsänderung aller Justizkapitel, an dem EURALIUS IV über Monate mitgearbeitet hatte, wurde am 22. Juli 2016 einstimmig vom albanischen Parlament verabschiedet. Die neue Verfassung ebnete den Weg für eine tiefgreifende und umfassende Justizreform, die die Neuordnung des gesamten Gerichts- und Justizwesens einleitete.

Die Verfassungsänderungen beziehen sich im Wesentlichen auf das Verfassungsgericht‚ die Gerichte sowie die Staatsanwaltschaft. Das albanische Parlament hat in der Zeit zwischen August 2016 bis Mitte April 2017 mehrere Gesetzespakete verabschiedet, u. a. das sogenannte „VettingGesetz“, das Gesetz zur Organisation des Verfassungsgerichts, das Statusgesetz für die Richterschaft und die Staatsanwaltschaft, die Gesetze zur Organisation des Gerichtswesens bzw. der Staatsanwaltschaft, die Zivilprozessordnung, die Strafprozessordung und das Strafgesetzbuch sowie eine Verwaltungsgerichtsordnung. Weitere Änderungen betreffen z. B. die Neuorganisation des Justizministeriums, die Bereiche Strafrechtspflege und Korruptionsbekämpfung.

Das bisher verabschiedete Reformpaket ist ein Meilenstein für Albanien in Richtung EU-Beitritt und hat die Reformbemühungen merklich angefeuert.

Das Nachfolgeprojekt EURALIUS V, welches 2018 beginnen soll, wurde von der IRZ in Federführung im Herbst 2017 beworben. Sollte der Zuschlag an das IRZ-geführte Konsortium gehen, wäre die IRZ für weitere drei Jahre an der Umsetzung der Justizreform mit einem vergrößerten Expertenteam maßgeblich beteiligt.

Der Fokus wird in Zukunft auf der Umsetzung der Reform liegen, wobei das Monitoring des Aufbaus von neuen Justizinstitutionen sowie kapazitätsbildende Maßnahmen für die neuen, aber auch für bestehenden Institutionen von zentraler Bedeutung sein werden.

Ausblick

Die IRZ wird die Zusammenarbeit mit dem Verfassungsgericht, dem Obersten Gericht und der Magistratenschule in Albanien 2018 fortsetzen. Insbesondere im Bereich der neu eingeführten Verfassungsbeschwerde ist angedacht, vor Ort weitere Fortbildungsveranstaltungen durchzuführen. Einen neuen Tätigkeitsbereich könnte 2018 der Strafvollzug bilden.

Überdies hat sich die IRZ auf das EU-Projekt „Consolidation of the Justice System in Albania – EURALIUS V“ beworben, das eine Laufzeit von mindestens 36 Monaten hat. Mit einer Entscheidung seitens der EU ist Anfang 2018 zu rechnen.