Deutsches Zivilprozessrecht: Inspiration für aktive Prozessleitung

Prof. Dr. Marko Knežević, Online zugeschaltet
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Bosnien und Herzegowina

Die lange Dauer der Gerichtsverfahren in Bosnien und Herzegowina, insbesondere im Zivilrecht, ist Hauptkritikpunkt der Europäischen Union im Rechtsbereich. Trotz verschiedenster Gesetzesreformen in den letzten Jahren hat sich die Situation diesbezüglich nicht wesentlich gebessert.

Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Sie reichen von Reformen ohne einheitliches Konzept, die zu hybriden Gesetze führten, über missverständliche gesetzliche Formulierungen bis hin zu Unsicherheiten hinsichtlich der Rollenverständnisse von Richterinnen und Richtern. In einzelnen Fällen können zudem strukturelle Rahmenbedingungen, unterschiedliche Grade der Vorbereitung sowie Herausforderungen bei der materiellen Prozessleitung eine Rolle spielen.

Diese komplexe Ausgangssituation veranlasste die IRZ, das bosnisch–herzegowinische Forum für Zivilrecht und das Zentrum für die Edukation der Richter und Staatsanwälte der Föderation Bosnien und Herzegowina im November in Sarajevo hierzu einen regionalen Workshop durchzuführen.

Richterinnen und Richter, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sowie Forschende diskutierten insbesondere, ob das Gericht eine aktive Rolle übernehmen oder sich auf die Funktion eines Schiedsrichters, der primär auf die Einhaltung der Verfahrensvorschriften zu achten hat, beschränken sollte.

Dabei wurde deutlich, dass, entgegen einem weitverbreiteten Missverständnis in der Praxis der Nachfolgestaaten Jugoslawiens, die Abschaffung des früheren Offizialprinzips hinsichtlich der Bestimmung möglicher Beweise nicht dazu führte, dass die Gerichte nun in allen Bereichen passiv sein müssen. Viele der Teilnehmenden begrüßten eine aktivere Prozessleitung durch die Richterinnen und Richter, waren allerdings unsicher, inwieweit diese mit den jeweils geltenden Rechtsvorschriften (noch) in Einklang zu bringen sei. Deshalb forderten einige eine Reform der Zivilprozessordnungen beider Entitäten in Bosnien und Herzegowina aus dem Jahr 2003. Dadurch sollte, analog der Reform im Jahre 2003 in Deutschland, die aktive Rolle der Richterschaft gestärkt werden.

In diesem Zusammenhang wurde darauf hingewiesen, dass sich das deutsche Recht hierfür als Inspiration bestens eigne, wobei insbesondere der § 139 ZPO in seiner jetzigen Fassung als „Magna Carta des Zivilprozessrechtes“ herausgestellt wurde.