Tunesien - Jahresbericht 2017
- Details
- Veröffentlicht: Freitag, 01. Juni 2018
Rechtspolitische Ausgangslage
Sechs Jahre nach der Revolution hat Tunesien zwar wesentliche Fortschritte hin zu einem demokratischen Rechtsstaat gemacht, allerdings hat es noch immer nicht seine politische Stabilität gefunden. Sieben neue Regierungen, im Durchschnitt alle acht Monate eine, gab es seit der Revolution. Erst Anfang August 2016 verlor Premierminister Habib Essid nach 18 Monaten Regierungszeit ein Misstrauensvotum im Parlament. Das Land befindet sich auch deshalb in einer kritischen wirtschaftlichen und politischen Phase.
Die neue Regierung sieht daher vor, sich vorrangig an drei Leitlinien zu orientieren: Sicherheit und Durchsetzung des Rechtstaates, Verankerung der Demokratie und Fortsetzung der wirtschaftlichen Entwicklung sowie Umsetzung der dafür notwendigen Projekte. Die neue Regierung hat angekündigt dringende Reformen umzusetzen, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, neue Arbeitsplätze zu schaffen und eine bessere Kommunikation mit der Bevölkerung herzustellen. Der Kampf gegen Korruption und Terrorismus hat nach wie vor höchste Priorität. Sollte die Wirtschaftskrise in dem nordafrikanischen Land im kommenden Jahr noch nicht überwunden sein, dürften drastische Sparmaßnahmen, höhere Steuern und ein Stellenabbau im öffentlichen Dienst unvermeidbar sein.
Trotz der schwierigen politischen Rahmenbedingungen treiben die tunesischen Behörden sowie die tunesische Zivilgesellschaft den rechtspolitischen und gesellschaftlichen Reformprozess stetig weiter voran. Daher scheint sich – trotz zahlreicher Regierungswechsel – der allgemeine Eindruck zu bestätigen, dass mit großem Engagement und Ernsthaftigkeit am Demokratisierungsprozess gearbeitet wird.
So sind im Justizbereich mittlerweile die Wahlen zum Hohen Justizrat erfolgt, nun folgt dessen Aufbau. Der Hohe Justizrat regelt nach drei Jahren intensiv und kontrovers geführter Diskussionen die Stellung und die Unabhängigkeit der Justiz im tunesischen Staatsgefüge. Seiner Gründung folgen nun gemäß der neuen Verfassung von 2014 die Gründung und der Aufbau des Verfassungsgerichts, das zusätzliche Sicherheit für die Rechtsstaatlichkeit sowie für die Freiheiten und Rechte der Bürgerinnen und Bürger schaffen wird. Nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Einrichtung eines Verfassungsgerichts, wozu intensiv von deutscher Seite beraten wurde, kann das Verfassungsgericht nun formal seine Arbeit aufnehmen. So stehen jetzt im Zentrum des Interesses vorrangig Fragen, die die Einrichtung der Institution als solche betreffen. Dies beinhaltet insbesondere die Verfahrens- und Geschäftsabläufe im Gericht, die Gerichtsverwaltung wie auch Fragen der Finanzierung. Hierzu besteht erheblicher Beratungsbedarf.
Auch die Verwaltungsgerichtsbarkeit durchläuft weiterhin einen intensiven Reformprozess, der die Erstellung und Verabschiedung eines Verwaltungsgerichtsgesetzes zum Ziel hat. Dieser Prozess befindet sich bereits in der Abschlussphase, so dass Anfang 2018 mit der Vorstellung des entsprechenden Gesetzentwurfs zu rechnen sein wird.
Konzeption
Bereits seit 2011 führt die IRZ im Rahmen der institutionellen Zuwendung bilaterale Projekte zur Rechtsreform mit tunesischen Partnern durch. Mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes ist die IRZ seit 2012 im Rahmen des Programms „Transformationspartnerschaften“ in Tunesien aktiv. Seitdem hat sich die IRZ als anerkannter Akteur im Bereich der internationalen rechtsstaatlichen Zusammenarbeit fest etabliert. Die Arbeit der IRZ in Tunesien wird neben den Zuwendungen des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz auch weiterhin durch die Projektförderung des Auswärtigen Amtes unterstützt. Deshalb kann die IRZ im Zeitraum 2017 bis 2019 ein Folgeprojekt zur Förderung der Justizreform in Tunesien umsetzen.
So wird die IRZ auch weiterhin durch Beratung und Wissensvermittlung am Stabilisierungsprozess in Tunesien mitwirken und kann im Rahmen dieses Ansatzes auch auf entsprechende Erfolge zurückblicken. So hatte die IRZ zum Beispiel maßgeblichen Anteil an der Entwicklung eines nationalen Dialogprozesses im Bereich des Strafvollzugs oder am Entwurf des tunesischen Verfassungsgerichtsgesetzes. Die IRZ setzt in ihrer Arbeit vor allem auf einen partnerschaftlichen, rechtsvergleichenden Ansatz und enge regelmäßige Kontakte zu allen Projektpartnern in Tunesien.
Tätigkeitschwerpunkte 2017
Zivil- und Wirtschaftsrecht
- Teilnahme des Präsidenten des tunesischen Kartellamtes an der 18. Internationalen Kartellkonferenz in Berlin
- Teilnahme des Präsidenten der tunesischen Rechtsanwaltskammer am 3. Internationalen Anwaltsforum in Berlin
Rechtspflege
- Konferenz zum Thema „Unabhängigkeit der Justiz“ in Tunis (gemeinsam mit dem tunesischen Hohen Justizrat)
Verfassungsrecht
- Teilnahme von zwei designierten Richtern des tunesischen Verfassungsgerichts an einer Regionalkonferenz in Amman/Jordanien zur Stellung des Verfassungsgerichts innerhalb der Justiz
Straf- und Strafvollzugsrecht
- Konferenz in Tunis zum Thema „Reform des Strafrechts in Tunesien“ (gemeinsam mit der tunesischen Kommission zur Reform des Strafrechts)
- Studienreise von Mitgliedern der tunesischen Kommission zur Reform des Strafrechts zum Thema „Reform der Strafprozessordnung“ nach Berlin
- Konferenz zum Thema „Internationale Zusammenarbeit im Strafrecht unter besonderer Berücksichtigung von Auslieferungsverfahren“ in Tunis
- Regionalkonferenz zum Thema „Jugendstrafanstalten, Haftbedingungen und Resozialisierung“ in Tunis
Von der Europäischen Union finanziertes Projekt
EU-Twinning-Projekt: Renforcement des institutions de l’administration pénitentiaire
Die IRZ implementiert derzeit als Juniorpartner unter Federführung der französischen Organisation Justice Coopération Internationale (JCI) das EU-Twinning-Projekt „Renforcement des institutions de l’administration pénitentiaire“ zur Reform des Strafvollzugs in Tunesien. Das Projekt begann im Oktober 2015 und wurde nunmehr bis Ende 2018 verlängert. Das Gesamtvolumen des Projekts beträgt 1,8 Mio. Euro. Die Projektpartner auf tunesischer Seite sind das Justizministerium, die Generaldirektion für Strafvollzug und Resozialisierung (DGPR) sowie die Nationale Hochschule für Strafvollzug und Resozialisierung (ENPR).
Die Hauptziele des Projekts sind der Aufbau der institutionellen Kapazitäten der Generaldirektion für Strafvollzug und Resozialisierung, die Unterstützung der Nationalen Hochschule für Strafvollzug und Resozialisierung bei der Entwicklung eines neuen Trainings- und Ausbildungsprogramms sowie die Ausarbeitung eines nationalen Konzepts für die schrittweise Einführung eines Bewährungshilfesystems in Tunesien. Die Umsetzung dieser drei Hauptkomponenten erfolgt im Rahmen von regelmäßigen Seminaren, Studienreisen und Schulungen in enger Zusammenarbeit mit den jeweiligen tunesischen Projektpartnern.
Die für das Projekt tätigen Expertinnen und Experten aus Frankreich, Deutschland und Spanien erarbeiten vor Ort gemeinsam mit den tunesischen Partnern Empfehlungen für die Verbesserung der Ausbildung der tunesischen Vollzugsbeamtenschaft und führen Seminare und Schulungen
in Tunesien durch. Das Expertenteam des Projektkonsortiums besteht im Wesentlichen aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der französischen Verwaltungshochschule für den Strafvollzug (ENAP), Expertinnen und Experten aus deutschen Landesjustizministerien sowie einem Praxisteam aus dem Strafvollzug mit langjähriger Erfahrung in der Leitung bzw. stellvertretenden Leitung von Justizvollzugsanstalten in Frankreich, Deutschland und Spanien.
Ausblick
Die IRZ plant, ihr Engagement in den oben genannten Themenfeldern 2018 fortzusetzen. Diese sind allesamt von großer Aktualität und bedürfen nachhaltiger Zusammenarbeit. Im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit steht vor allem die Implementierung des Anfang 2018 noch zu verabschiedenden Verwaltungsgerichtsgesetzes im Vordergrund. Hinsichtlich der Verfassungsgerichtsbarkeit sollen nach der Gründung des Verfassungsgerichts vor allem Fragen im Hinblick auf Aufbau und Organisation des Verfassungsgerichts in den Fokus rücken.