Online-Fachgespräch zum Verbraucherschutz während der COVID-19-Pandemie mit Frau Dr. Dorothee Weckerling-Wilhelm, Referatsleiterin im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz
Online-Fachgespräch zum Verbraucherschutz während der COVID-19-Pandemie mit Frau Dr. Dorothee Weckerling-Wilhelm, Referatsleiterin im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz

Strategische Rahmenbedingungen 

Rechtspolitische Ausgangslage 

Rund zehn Jahre nach der Revolution hat Tunesien zwar bedeutende Fortschritte hin zu einem demokratischen Rechtsstaat erreicht, politische Stabilität ist allerdings noch nicht eingekehrt. Bei den Präsidentschaftswahlen im September und Oktober 2019 setzte sich überraschend der parteilose, politisch nicht etablierte Verfassungsrechtler Kais Saied durch. Die Parlamentswahlen im Oktober 2019 führten zudem zu einer starken Fragmentierung des Parlaments. Dies erschwerte die Regierungsbildung und es kam erst im Februar 2020 zu einer Einigung auf ein neues Kabinett.

Präsident Saied führte die von der vorherigen Regierung angestoßenen Reformen in den Bereichen Demokratieförderung und Rechtsstaatlichkeit und für wirtschaftlichen Aufschwung fort. Die Bekämpfung von Korruption und Terrorismus bleibt oberste Priorität. Doch auch die Wirtschaftskrise ist noch nicht überwunden und führte zu Sparmaßnahmen, Steuererhöhungen und Stellenabbau im öffentlichen Dienst.

Der Ausbruch der COVID-19-Pandemie hat Tunesien zusätzlich wirtschaftlich zurückgeworfen. Im Frühjahr reagierte die tunesische Regierung zur Eindämmung der Pandemie frühzeitig mit Reisebeschränkungen, der Einstellung öffentlicher Dienstleistungen und Beschränkungen des öffentlichen Lebens. Der Einbruch des Tourismus und die Einstellung der Produktion vieler Unternehmen bedeutet den Verlust vieler Arbeitsplätze. Auch die Justiz trafen die Einschränkungen unvorbereitet. Viele Gerichte, Behörden und andere öffentliche Einrichtungen waren nicht oder nur stark eingeschränkt arbeitsfähig. Dies erschwerte den Bürgerinnen und Bürgern über Wochen den Zugang zu Recht und Justiz. Zudem erließ die Regierung im Frühjahr, als das Parlament pandemiebedingt nicht tagen konnte, zahlreiche Verordnungen mit Gesetzeskraft, was politische und juristische Debatten über eine mögliche Gefährdung der parlamentarischen Demokratie auslöste.

Ungeachtet der schwierigen Rahmenbedingungen und trotz zahlreicher Regierungswechsel wird jedoch in Tunesien der rechtspolitische und gesellschaftliche Reformprozess mit großem Engagement fortgesetzt.

Konzeption 

Die bilateralen Projektaktivitäten zur Unterstützung der Rechtsreform in Tunesien, die die IRZ im Jahr 2011 begonnen hat, basieren aktuell auf der Anfang 2017 geschlossenen gemeinsamen Absichtserklärung zur Zusammenarbeit zwischen dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und dem Justizministerium der Republik Tunesien. Im Rahmen dieser Absichtserklärung wurden von der IRZ in den Jahren 2017 bis 2020 bereits zwei Arbeitsprogramme umgesetzt. Entsprechend diesen Arbeitsprogrammen ist neben dem tunesischen Justizministerium der Hohe Justizrat ein zentraler Projektpartner der IRZ. Je nach Sachgebiet sind zudem die vorläufige Kommission zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzentwürfen (IPCCPL), das Verwaltungsgericht, die Notarkammer und die Anwaltskammer, die Strafvollzugsdirektion, das Zentrum für Justizwesen und rechtliche Studien (CEJJ) wie auch die Nationale Institution zur Korruptionsbekämpfung (INLUCC) und die Verbraucherschutzvereinigung wichtige Partner der Zusammenarbeit in Tunesien.

Neben den seit vielen Jahren kontinuierlich behandelten Schwerpunkten, wie zum Beispiel der Förderung der Unabhängigkeit der Justiz, wurden im Berichtsjahr zunehmend die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf das öffentliche Leben und die Justiz thematisiert. Damit rückten Themen wie die Digitalisierung der Justiz und der Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs in den Fokus der Zusammenarbeit.

Tätigkeitsschwerpunkte 2020

Verfassungsrecht, Menschenrechte und deren Durchsetzbarkeit 

  • Online-Erfahrungsaustausch „Staatliches Handeln in Krisenzeiten und das Verhältnismäßigkeitsprinzip – Auswirkungen auf Alltag und Justiz“ mit dem tunesischen Justizministerium und dem Zentrum für Justizwesen und rechtliche Studien (CEJJ)

Zivil- und Wirtschaftsrecht 

  • Online-Konferenz „Verhältnismäßigkeit der Beschränkungen durch COVID-19 und Auswirkungen auf das Vertragsrecht durch höhere Gewalt (Force Majeure)“
  • Online-Konferenz „Apostille, neue Technologien und die deutschtunesischen Beziehungen“ in Zusammenarbeit mit der tunesischen Notarkammer
  • Online-Expertengespräch „Verbraucher schützen – gute gesetzliche Vorgaben und Herausforderungen während der COVID-19-Pandemie“ für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der tunesischen Verbraucherschutzbehörde
  • Trinationaler Erfahrungsaustausch zum Haager Übereinkommen vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung im Online-Format mit den Justizministerien Tunesien und Marokko

Rechtspflege

  • Online-Konferenz „Digitalisierung der Justiz“ mit dem tunesischen Justizministerium
  • Online-Regionalkonferenz „Elektronischer Rechtsverkehr – Digitalisierung der Justiz“ in Kooperation mit der Bundesrechtsanwaltskammer
  • Unterstützung der Fachbibliothek des tunesischen Justizministeriums

Straf- und Strafvollzugsrecht

  • Erfahrungsaustausch in Tunis „Korruptionsbekämpfung im Sport Handhabe des Sportrechts“ mit der Nationalen Kommission zur Korruptionsbekämpfung in Tunesien
  • Online-Seminar „Reformen im tunesischen Strafrecht und Strafprozessrecht“ gemeinsam mit dem tunesischen Justizministerium

Aus- und Fortbildung

  • Entwicklung und Redaktion eines IRZ-Fachbereichsblogs für deutsches und afrikanisches Recht
  • Printmagazin „Juristische Blätter“ in Zusammenarbeit mit der Universität Tunis El Manar (Fakultät für Rechts- und Politikwissenschaften)

Ausblick

Die für 2021 vorgesehenen Aktivitäten zielen auch zukünftig darauf ab, die Umsetzung der Justizreform in Tunesien zu unterstützen und sich dabei weiterhin am aktuellen Reformbedarf zu orientieren, so auch im Zivil- und im Wirtschaftsrecht. Die interministerielle Zusammenarbeit zwischen dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und dem tunesischen Justizministerium wird durch ein weiteres Arbeitsprogramm für die Jahre 2021 bis 2022 fortgesetzt. Dieses sieht insbesondere die Zusammenarbeit in den Bereichen des Internationalen Privatrechts, des Straf- und Strafprozessrechts, der Korruptionsbekämpfung, des Verbraucherschutzes sowie der Unabhängigkeit der Justiz vor. Das Jahr 2020 zeigte deutlich, dass die Digitalisierung der Justiz auch in Tunesien flächendeckender und effektiver vorangebracht werden muss. Auch das Strafvollzugsrecht und die Verwaltungsgerichtsbarkeit bleiben im Fokus der Beratungen der IRZ.