Armenien - Jahresbericht 2018
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- Veröffentlicht: Mittwoch, 10. Juli 2019
Strategische Rahmenbedingungen
Rechtspolitische Ausgangslage
Im Berichtsjahr befand sich Armenien in einem umfassenden Wandel. Die Ende 2015 durch ein Referendum beschlossene weitreichende Verfassungsänderung beinhaltet den Wechsel von einem Präsidialsystem zu einem parlamentarischen System, wodurch die Exekutivmacht vom Präsidenten auf den Regierungschef übergeht und das Parlament größere Kompetenzen bekommt. Demgegenüber verbleiben dem Präsidenten vor allem repräsentative Aufgaben. Der neue Präsident, Armen Sarkissjan, wurde am 2. März 2018 von der Nationalversammlung gewählt und trat sein Amt am 9. April 2018 an
Sein Vorgänger, der langjährige Staatspräsident Sersch Sargsjan, wurde am 17. April 2018 zum Ministerpräsidenten ernannt, obwohl er kurz zuvor ausgeschlossen hatte, nach der Verfassungsreform für das Amt des Premierministers zu kandidieren. Seine Wahl zum Premierminister löste tagelange massenhafte Demonstrationen und Streiks aus, an denen u. a. auch Angehörige des Militärs beteiligt waren. Diese friedliche Protestbewegung gilt als die größte in Armenien seit Ende der 1980er Jahre. Unter dem Druck dieser Demonstrationen trat Sersch Sargsjan am 23. April 2018 als Regierungschef zurück, und der Führer der Protestbewegung, Nikol Paschinjan, wurde am 8. Mai vom Parlament zum neuen Ministerpräsidenten gewählt. Dieser friedliche Regierungswechsel in Armenien wird inzwischen als „Samtene Revolution“ bezeichnet.
Der neue Regierungschef hat dem Volk vor allem Aufklärung von Korruptionsvorfällen und Korruptionsbekämpfung sowie Verbesserung der wirtschaftlichen Lage versprochen. Um sich hierfür zu legitimieren, wurden am 10. Dezember 2018 Parlamentsneuwahlen durchgeführt. Das Bündnis von Nikol Paschinjan „Mein Schritt“ erreichte mit 70,2 Prozent die absolute Mehrheit, wobei die Wahlbeteiligung mit knapp 49 % unerwartet niedrig lag.
Konzeption
Das Strafrecht steht auch weiterhin im Mittelpunkt der Zusammenarbeit der IRZ mit Armenien. Die Beratungen zu einem grundlegend neuen Strafvollzugsgesetz konnten noch nicht abgeschlossen werden, da wegen der oben geschilderten politischen Umwälzungen im Land die Arbeit an allen Gesetzgebungsprojekten faktisch zum Erliegen gekommen war.
Unabhängig von dieser Gesetzesreform besteht im armenischen Strafvollzug ein akuter Reformbedarf. Anknüpfend an frühere Beratungen wurden daher an ausgewählten Justizvollzugsanstalten bereits Veranstaltungen zur Entwicklung von maßgeschneiderten Konzepten zur individuellen Vollzugsplanung, Schaffung von Arbeitsmöglichkeiten oder auch Fragen der medizinischen Versorgung durchgeführt und sollen intensiv fortgesetzt werden.
Neben dem strafrechtlichen Thema hat die IRZ auch die Beratungen der Civil Act Registration Agency des armenischen Justizministeriums zum neuen Gesetz zur Umsetzung des Haager Kindesentführungsübereinkommens übernommen, dessen Annahme in Kürze erwartet wird. Weitere Partner der Zusammenarbeit sind neben dem Justizministerium das Kassationsgericht, die Justizakademie, die Anwaltskammer, die Anwaltsschule, die Notarkammer, das Strafvollzugsdepartment und der Sonderermittlungsdienst Armeniens sowie die Staatliche Universität Eriwan.
Tätigkeitsschwerpunkte 2018
Zivil- und Wirtschaftsrecht
- Abschließende Beratung zum Gesetzentwurf zur Umsetzung des Haager Kindesentführungsübereinkommens (HKÜ) in Armenien, Eriwan
Rechtspflege
- Tagung für die armenische Notarkammer zu praxisbezogenen aktuellen Fragen in Kooperation mit der Bundesnotarkammer in Aghveran
- Training of Trainers: Unterrichtsmethodik für Dozentinnen und Dozenten der armenischen Justizakademie in Tsaghkadzor
- Auftaktgespräche zur Bestandsaufnahme im Bereich der Bewährungshilfe zur gemeinsamen Entwicklung eines Trainingskonzepts für armenische Bewährungshelferinnen und Bewährungshelfer in Eriwan, Ashtarak (Provinz Aragazotn) und Karbi
- Seminar für die armenische Rechtsanwaltskammer zum Umgang mit Medien und Öffentlichkeitsarbeit in Kooperation mit der Bundesrechtsanwaltskammer in Eriwan
Straf- und Strafvollzugsrecht
- Gastvorlesung zum Jugendstrafrecht an der rechtswissenschaftlichen Fakultät, Staatliche Universität Eriwan
- Kolloquium mit der Strafkammer des Kassationsgerichts zum Thema „Zwangsmaßnahmen während des Strafverfahrens, deutsche Praxis, Rechtsprechung des EGMR“ in Tsagkhadzor
- Fortsetzung der Unterstützung des Justizministeriums der Republik Armenien bei der Erarbeitung des Entwurfs eines neuen Strafvollzugsgesetzes
- Fortbildungsseminar für den Sonderermittlungsdienst Armeniens zu Ermittlungsmethoden in Fällen von Korruption, illegaler Bereicherung von Amtspersonen und Vermögensabschöpfung in Tsaghkadzor
Aus- und Fortbildung
- Teilnahme der Präsidentin der armenischen Notarkammer sowie eines Notars an der multilateralen praxisorientierten Fortbildung für englischsprachige Notare / Notarassessoren der IRZ in Bonn
- Teilnahme eines armenischen Juristen an der achten „IRZ-Sommerschule Deutsches Recht“ in Bonn
- Teilnahme von vier armenischen Juristinnen an der IRZ-Herbstakademie zum Zivilrecht und Grundrechtsschutz in Bonn
- Teilnahme eines armenischen Richters am multilateralen Hospitationsprogramm für Zivil- und Handelsrichter
- Moot Court im Strafrecht, gerichtet an die Studierenden aller Universitäten landesweit in Aghveran
Ausblick
Ein wichtiger Themenkreis in der Zusammenarbeit mit dem armenischen Justizministerium wird auch 2019 die Reform des Strafvollzugsgesetzes und dessen praktische Anwendung sein. Im Bereich des Strafvollzugs sind die Fortsetzung und Intensivierung der konkreten Beratungen in einzelnen Vollzugsanstalten vorgesehen. Ebenso wird die fachliche Begleitung der kürzlich eingeführten Bewährungshilfe fortgesetzt.
Die Unterstützung der Staatlichen Universität Eriwan wird durch die umfassende Beratung bei der Einführung einer fallbezogenen Unterrichtsmethodik und Entwicklung von Lehrmaterial für mehr Praxisbezug in der Lehre erweitert werden.