Armenien – Jahresbericht 2020

Abschlusskonferenz des Pilotprojekts zum Thema „Praktische Fragen im Vollzug: Entwicklung von maßgeschneiderten Konzepten für die dringendsten Fragen an vier Justizvollzugsanstalten“ in Eriwan: Artak Haratyunyan, Erster stellv. Leiter des Strafvollzugsdepartments im Justizministerium; IRZ-Experte Thomas Müller, Leitender Regierungsdirektor, Anstaltsleiter der Justizvollzugsanstalt Karlsruhe; Arpine Sarsgyan, Leiterin der Abteilung für Strafvollzugspolitik im Justizministerium; IRZ-Experte Heinz Brüche, Ausbildungsleiter im Bildungszentrum Justizvollzug Baden-Württemberg; Nelly Tumasyan, IRZ-Projektkoordinatorin in Armenien (v.r.n.l.)
Abschlusskonferenz des Pilotprojekts zum Thema „Praktische Fragen im Vollzug: Entwicklung von maßgeschneiderten Konzepten für die dringendsten Fragen an vier Justizvollzugsanstalten“ in Eriwan: Artak Haratyunyan, Erster stellv. Leiter des Strafvollzugsdepartments im Justizministerium; IRZ-Experte Thomas Müller, Leitender Regierungsdirektor, Anstaltsleiter der Justizvollzugsanstalt Karlsruhe; Arpine Sarsgyan, Leiterin der Abteilung für Strafvollzugspolitik im Justizministerium; IRZ-Experte Heinz Brüche, Ausbildungsleiter im Bildungszentrum Justizvollzug Baden-Württemberg; Nelly Tumasyan, IRZ-Projektkoordinatorin in Armenien (v.r.n.l.)

Strategische Rahmenbedingungen 

Rechtspolitische Ausgangslage 

Seit der Samtenen Revolution in 2018 stehen insbesondere im Justizbereich ehrgeizige Reformpläne im Mittelpunkt der Regierungsarbeit von Premierminister Nikol Pashinyan. Zentrale Vorhaben sind dabei der Aufbau stabiler demokratischer Institutionen, die Bekämpfung von Korruption sowie Reformen in den Bereichen Strafrecht, Strafvollzugs- und Strafprozessrecht sowie Verfassungsrecht.

Auch wenn Reformen mit hohem Tempo umgesetzt werden und die Regierung viel dafür tut, die Bevölkerung von den notwendigen Reformen zu überzeugen, sind diese Umbrüche nicht immer unumstritten. Insbesondere das Verfassungsgericht stand im Jahr 2020 in der Kritik, da die Mehrzahl seiner Richterinnen und Richter nach der mittlerweile nicht mehr gültigen Verfahrensweise auf Lebenszeit ernannt worden war. Anfängliche Versuche, die Richterinnen und Richter durch Anreize zur Amtsniederlegung zu bewegen, scheiterten. In einem für Anfang April 2020 vorgesehenen Referendum sollte über eine Änderung der Verfassung abgestimmt werden, die eine sofortige Entlassung von sieben der neun Richterinnen und Richter ermöglicht hätte. Aufgrund des Ausbruchs der COVID-19-Pandemie wurde das Referendum jedoch abgesagt, sodass letztendlich das Parlament, in dem die Regierungspartei über eine absolute Mehrheit verfügt, die Verfassungsänderung verabschiedete. Drei Verfassungsrichter mussten ihr Amt sofort niederlegen und wurden ersetzt, weitere Entlassungen werden folgen. Das Amt des Präsidenten wurde dem bisherigen Amtsinhaber entzogen, er blieb aber als Richter im Amt.

Neben der Justizreform haben die Bewältigung der COVID-19-Pandemie und der Konflikt in Bergkarabach die Innen- und Außenpolitik im Berichtsjahr maßgeblich geprägt. Es bleibt abzuwarten, inwiefern diese beiden Krisen Auswirkungen auf den eingeschlagenen Reformkurs haben werden.

Konzeption

Die bisherigen Beratungen, die im bilateralen Bereich traditionell überwiegend im Bereich des Strafrechts und des Strafvollzugsrechts erfolgten, konnten 2020 durch Themen wie beispielsweise das Notarrecht ergänzt werden. Somit kam es zur Aufnahme neuer Partner, wie des 2018 gegründeten Obersten Justizrats.

Die Reformen im Strafvollzugsbereich werden durch Trainings und Workshops an Justizvollzugsanstalten bereits in Vertiefungsphasen durch deutsche Expertise unterstützt. Leider konnten diese praxisorientierten Maßnahmen für zwei neue Justizvollzugsanstalten aufgrund der COVID19-Pandemie nur eingeschränkt online fortgesetzt werden.

Gemeinsam mit der Staatlichen Universität Eriwan legt die IRZ einen Fokus auf die Fortbildung des juristischen Nachwuchses. Durch ein vom Auswärtigen Amt finanziertes Projekt wurden Studierende beispielsweise durch die Teilnahme an einer Herbstschule im Hybridformat zu den Themen Menschenrechte, Europarecht, Verfassungsrecht und Medienrecht durch deutsche Expertinnen und Experten geschult.

Neben den bilateralen Aktivitäten wird seit 2020 ein Grant-Projekt der EU implementiert. Dieses hat die weitere Konsolidierung der Justiz in Armenien zum Ziel. Die bilateralen Aktivitäten werden mit den Aktivitäten des Grant-Projekts abgestimmt, um Doppelungen zu vermeiden und Synergien zu nutzen.

Tätigkeitsschwerpunkte 2020

Rechtspflege

  • Beratung der Notarkammer als Hybridveranstaltung zu notarrechtlichen Fragen, Digitalisierung und Geldwäscheprävention
  • Online-Seminar mit der Anwaltskammer zur Pressearbeit der Anwältinnen und Anwälte und zur Anwältin oder zum Anwalt in der Öffentlichkeit
  • Hybrid-Seminar mit dem Obersten Justizrat der Republik Armenien „Einstellungsverfahren für neue Richterinnen und Richter“ und „Richterliche Immunität“ in Tsaghkadzor

Straf- und Strafvollzugsrecht

  • Zwei Workshops und eine Abschlusskonferenz zu praktischen Fragen des Strafvollzugs, zur Entwicklung maßgeschneiderter Konzepte für Justizvollzugsanstalten in Armenien – Vertiefungsphase an den Justizvollzugsanstalten Sevan und Artik
  • Zwei Hybrid-Workshops an zwei weiteren Justizvollzugsanstalten im Rahmen eines neuen Pilotprojekts im Strafvollzug zu dem oben genannten Thema
  • Hybrid-Seminar mit dem Sonderermittlungsdienst „Rückführung von illegal erworbenem Vermögen aus dem Ausland, Geldwäsche u.a.“ in Tsaghkadzor

Aus- und Fortbildung

  • Zwei Online-Gastvorlesungen an der Juristischen Fakultät der Universität Eriwan zum Strafvollzug
  • Durchführung eines landesweiten Hybrid-Moot-Courts zum Strafrecht und Strafprozessrecht in Kooperation mit der Staatlichen Universität Eriwan
  • Online-Seminar für angehende und aktive Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte zum Thema „Vermutungen und Beweislast im Strafprozess“ in Kooperation mit der Justizakademie
  • Vier jeweils einwöchige Herbstschulen im Hybridformat für Studierende zu den Themen „Menschenrechte, Europa-, Verfassungs- und Medienrecht“, finanziert durch das Auswärtige Amt

Von der Europäischen Union finanziertes Projekt 

EU-Grant-Projekt: „Consolidation of the Justice System in Armenia“

Seit Juni 2020 implementiert die IRZ dieses EU-Grant-Projekt federführend in Armenien. In Partnerschaft mit der französischen Organisation Justice Cooperation International (JCI) und der lettischen Gerichtsverwaltung widmet sich das Projekt mit einem Gesamtvolumen von 2,2 Millionen Euro bei einer Laufzeit von 24 Monaten der Gesamtkonsolidierung der armenischen Justizreform.

Nach dem Zuschlag im Februar 2020 musste der Projektstart aufgrund der COVID-19-Pandemie auf Juni verlegt werden. Seit diesem Zeitpunkt arbeitet das Projekt mit zwei internationalen und zwei nationalen Langzeitexpertinnen und Langzeitexperten weitgehend online. Der herausfordernde Aufbau einer digitalen Büro- und Projektinfrastruktur wie auch die überwiegende virtuelle Kontaktaufnahme mit Partnern und Institutionen ist gelungen.

Das Projekt legt einen besonderen Schwerpunkt auf die Begleitung und Durchführung der Justizreformstrategie „Strategy for Judicial and Legal Reforms 2019–2023“, die im Herbst 2019 durch das armenische Parlament verabschiedet wurde. In der Kooperation mit zahlreichen Akteuren des armenischen Justizsektors, schwerpunktmäßig des Justizministeriums und der Justizakademie, werden neben den Zielgruppen der Richterschaft, Staatsanwaltschaft und Anwaltschaft auch nicht richterliches Personal der Gerichte und zivilgesellschaftliche Akteure angesprochen.

Als übergeordnetes Ziel gilt es, das Vertrauen der armenischen Bevölkerung in das Justizsystem zu erhöhen. Folglich wird eine Stärkung der Integrität, Transparenz und Effizienz des Justizsystems verfolgt. Zu den zentralen Maßnahmen zählen daher die Unterstützung in der erfolgreichen Umsetzung der angestrebten Reform, die Bekämpfung von Korruption und die umfassende Verbesserung der juristischen Aus- und Fortbildung. Eine weitere Komponente ist zudem die Etablierung eines umfassenden Systems des Gerichtsmonitorings und der Integritätsprüfung von Richterinnen und Richtern sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälten.

Ausblick

Die Kooperation mit den armenischen Partnern auf dem Gebiet des Strafrechts und Strafvollzugsrechts soll ebenso fortgesetzt werden wie die Zusammenarbeit im Bereich der Bewährungshilfe. Darüber hinaus wird auch 2021 die Fortbildung des juristischen Nachwuchses einen wichtigen Schwerpunkt bilden. Durch die Implementierung des Grant-Projekts besteht zudem die Möglichkeit, 2021 die Reformen in größerem Umfang zu begleiten.