Armenien – Jahresbericht 2022

EU-Botschafterin Andrea Wiktorin (l.) und stellvertretende Justizministerin Yeranuhi Tumanyants (r.) bei der Abschlusskonferenz über Justizreform und Zugang zum Recht im Rahmen des Grant Projektes zur Konsolidierung des Justizsystems in Armenien.
EU-Botschafterin Andrea Wiktorin (l.) und stellvertretende Justizministerin Yeranuhi Tumanyants (r.) bei der Abschlusskonferenz über Justizreform und Zugang zum Recht im Rahmen des Grant Projektes zur Konsolidierung des Justizsystems in Armenien.

Strategische Rahmenbedingungen

Rechtspolitische Ausgangslage

Armenien sieht sich nicht erst seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine in einem außen- wie auch innenpolitisch schwierigen Spannungsfeld zwischen einem pro-westlichen Reformkurs auf der einen Seite und der Abhängigkeit von Russland als „Sicherungsmacht“ in Bergkarabach, wo Russland seit 2020 für die Einhaltung des Waffenstillstandsabkommens zwischen Aserbaidschan und Armenien sorgen soll, auf der anderen Seite. Strategisch wichtige Wirtschaftssektoren befinden sich zudem in der Hand russischer Investoren. Vor diesem Hintergrund hat sich Armenien nach Beginn des Ukraine-Krieges nur sehr zurückhaltend geäußert und in internationalen Gremien nicht eindeutig positioniert. Die Spannungen im Verhältnis mit den Nachbarländern Aserbaidschan und der Türkei blieben weiterhin bestehen, auch wenn zuletzt im Rahmen von Gesprächen auf höchster Ebene versucht wurde, diese abzubauen.

Trotz der innen- wie außenpolitischen Spannungen setzt die Regierung Armeniens weiterhin auch auf die Annäherung an die Europäische Union und führt entsprechende Reformen hinsichtlich der Einführung von EU-Standards durch.

Konzeption

Die IRZ unterstützt den Prozess der EU-Rechtsharmonisierung und engagiert sich in Armenien sowohl im Rahmen von EU-geförderten Projekten – wie zuletzt in dem EU-Grant-Projekt „Consolidation of the Justice System in Armenia“, das im August 2022 beendet wurde, und aktuell in einem Twinning-Projekt im Bereich Korruptionsprävention – als auch in mit Zuwendungen des Bundesministeriums der Justiz finanzierten Projekten. Die Beratungen im Rahmen dieser Finanzierung liegen traditionell überwiegend im Bereich des Straf- und Strafvollzugsrechts. Das neue armenische Strafvollzugsgesetz, welches die IRZ beratend begleitete, trat im Sommer 2022 in Kraft. In diesem Zusammenhang berät die IRZ seit Ende 2021 zudem eine Arbeitsgruppe, die den Bau einer neuen Justizvollzugsanstalt in Eriwan plant, hinsichtlich der Einhaltung europäischer Vollzugsstandards.

Tätigkeitsschwerpunkte 2022

Verfassungsrecht/Menschenrechte und deren Durchsetzbarkeit

  • Fachliche Beratung des Büros der Ombudsfrau bei der Erstellung des jährlichen Berichts zum Thema „Rechte und Schutz von Jugendlichen und Menschen mit Behinderung“ (mehrere Beratungsgespräche, zum Teil im Online-, Hybrid- und Präsenzformat sowie schriftliche Stellungnahmen zu fachlichen Fragestellungen)

Straf- und Strafvollzugsrecht

  • Mehrere Fachgespräche mit der Arbeitsgruppe des Justizministeriums, die den Bau einer neuen Justizvollzugsanstalt in Eriwan plant, hinsichtlich der Einhaltung europäischer Vollzugsstandards (zwei im Hybridformat und drei im Präsenzformat)
  • Studienreise nach Deutschland im Rahmen der fachlichen Beratungen der Arbeitsgruppe des Justizministeriums hinsichtlich der praktischen Umsetzung von europäischen Vollzugsstandards
  • Workshop an der Justizvollzugsanstalt Vanadzor zu modernen ­Vollzugskonzepten

Aus- und Fortbildung

  • Herbstschule in Zusammenarbeit mit der Rechtsfakultät der Staatlichen Universität Eriwan im Strafrecht und Strafprozessrecht

Von der Europäischen Union finanzierte Projekte:

EU-Twinning-Projekt „Fostering integrity and preventing ­corruption in the public sector in Armenia“

Seit Juni 2022 führt die IRZ in Zusammenarbeit mit dem Justizministerium der Republik Lettland und der lettischen Antikorruptionsbehörde (KNAB) als Juniorpartner ein 24-monatiges EU-Twinning-Projekt zugunsten der Korruptionspräventionskommission (Corruption Prevention Commission, CPC) Armeniens durch.

Das übergeordnete Ziel dieses Projekts ist die Förderung der Integrität und die Verhinderung von Korruption im öffentlichen Sektor in Armenien. Konkret zielt das Projekt darauf ab, Aufklärungs- und Sensibilisierungsprogramme zur Korruptionsbekämpfung zu entwickeln und umzusetzen. Gleichzeitig werden institutionelle Kapazitäten aufgebaut, um die Integrität im öffentlichen Sektor des Landes zu stärken. Darüber hinaus soll die Umsetzung der Antikorruptionsstrategie vorangetrieben werden, insbesondere durch den Ausbau der Überwachungsaufgaben, die von der Abteilung für die Entwicklung und Überwachung der Antikorruptions­politik am armenischen Justizministerium übernommen werden.

Das Projekt besteht aus vier Komponenten:

Die erste Komponente des Projekts zielt auf den Ausbau der institutionellen Kapazitäten des CPC zur Entwicklung und Unterstützung bei der Umsetzung von Programmen zur Korruptionsbekämpfung (Integrität) und zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit in Armenien ab. Die Expertinnen und Experten der IRZ arbeiten an der Entwicklung von Programmen für das allgemeine Bildungssystem, das Hochschulsystem sowie an einem System zur gezielten Weiterbildung von Regierungsbeamten und Regierungsbeamtinnen.

Darüber hinaus werden in der zweiten Komponente strategische Kommunikations- und Kooperationsmechanismen eingerichtet, um die Kommunikation des CPC mit der Zivilgesellschaft und den Medien sowie mit externen Interessengruppen und der Öffentlichkeit zu verbessern. Diese Komponente konzentriert sich auch auf die Weiterbildung der Mitarbeitenden des CPC im Bereich Öffentlichkeitsarbeit.

Bei der dritten Komponente des Projekts steht die Unterstützung des armenischen Justizministeriums bei der Umsetzung seiner Antikorruptionsstrategie im Fokus. Dies beinhaltet sowohl die Unterstützung bei der Entwicklung der Antikorruptionspolitik und des rechtlichen Rahmens als auch die Entwicklung einer Überwachungsmethodik für die Umsetzung dieser Strategie. Parallel dazu soll die Umsetzung der internationalen Verpflichtungen zur Korruptionsbekämpfung nachhaltig gestärkt werden.

Die vierte und letzte Komponente des Projekts fördert die Entwicklung von Integritätsmaßnahmen für Staatsbetriebe und öffentliche Einrichtungen. Die Expertinnen und Experten der IRZ werden eine Bewertung der Korruptionsbekämpfung in staatlichen Unternehmen durchführen und einen Plan zur Verbesserung der Unternehmensintegrität in Armenien entwickeln.

EU-Grant-Projekt „Consolidation of the Justice System in ­Armenia“

Im August 2022 schloss die IRZ dieses EU-Vorhaben, das sich der Gesamtkonsolidierung der armenischen Justizreform widmete, nach über zwei Jahren Laufzeit erfolgreich ab. Als Partner wirkten „Expertise France“ und die lettische Gerichtsverwaltung mit.

Trotz der zunächst widrigen Projektumstände, die einen rein digitalen Projektstart im Sommer 2020 erforderten, konnte das Projekt in der relativ kurzen Laufzeit im Rahmen von drei Projektkomponenten die laufende Justizreform im Land maßgeblich voranbringen. So unterstützte das Projekt zum einen eine Reihe von Gesetzesreformen und Gesetzesinitiativen, die – gerade bei einfachen Sachverhalten – zu schnelleren Zivil- und Verwaltungsprozessentscheidungen beitragen sollen. Dies wird als essenziell für die Entlastung der Gerichte und eine schnellere Erreichung von Rechtsfrieden erachtet. Hierzu trägt auch die Förderung von alternativen Streitbeilegungsmethoden bei, der sich das Projekt widmete. So beriet das Expertenteam das Justizministerium maßgeblich bei wichtigen Änderungen des Mediationsgesetzes, unterstützte bei der Ausarbeitung eines Ausbildungskonzepts für künftige Mediatorinnen und Mediatoren und führte für diese einen ersten Intensivkurs durch. Ein weiterer Fokus lag auf der Einrichtung eines nationalen Schiedsgerichtszentrums, zu dem das Projekt auf expliziten Wunsch des Justizministeriums umfassend beriet, um valide rechtliche und praktische Rahmenbedingungen unter Berücksichtigung europäischer Best Practices zu schaffen.

Die Fortbildungskomponente stand ebenfalls im Fokus der Beratungen. Basierend auf einer umfassenden Bedarfsanalyse unterstützte das Projekt die armenische Justizakademie dabei, die Konzeption, Gestaltung, Umsetzung und Evaluierung seines Fortbildungsprogramms für Justizangehörige gemäß europäischen Maßstäben zu professionalisieren. Maßgebliches Ergebnis dieser intensiven beratenden Zusammenarbeit war ein praxisorientiertes Trainingshandbuch, das in Englisch und Armenisch vorliegt und noch während des Projekts durch die Akademie Anwendung fand. Flankierend dazu war das Projekt verantwortlich für die Durchführung von über 100 Trainingsveranstaltungen, von denen insgesamt rund 3.000 Teilnehmende aus allen juristischen Berufsgruppen profitierten. Besonders relevant wurden dabei Aktivitäten für die Richterinnen und Richter des Verfassungsgerichts sowie des Insolvenzgerichts erachtet, da diesen äußerst selten ein Fortbildungsangebot gemacht wird.

Die Stärkung der Berufsethik und Integrität von Richter- und Staatsanwaltschaft waren auch Gegenstand des Projekts, insbesondere in Form von Beratungen zu Verhaltensregeln von Berufsträgern im Hinblick auf politische Betätigung, Annahme von Geschenken, Interessenkonflikten, Umgang mit (sozialen) Medien sowie zum Bereich der Disziplinarmaßnahmen gegen Angehörige von Richter- und Staatsanwaltschaft im Spannungsfeld von disziplinarischer Verantwortlichkeit und persönlicher Unabhängigkeit. Die Erkenntnisse und Ergebnisse der Beratungen flossen in ein weiteres Handbuch ein, das den armenischen Berufsvertretungen und auch den Praktikerinnen und Praktikerin selbst dabei helfen soll, die entsprechenden Normen im Licht internationaler Standards zu lesen und auszulegen.

Weitere wichtige Projektinhalte waren etwa die Modernisierung und Digitalisierung innerhalb der Justiz, die Untersuchung der Arbeit von Gerichten gemäß Council of Europe European Commission for the efficiency of justice (CEPEJ-Standards zur Schaffung von mehr Transparenz, die Reform des Ordnungswidrigkeitengesetzes sowie die Unterstützung des neu gebildeten Antikorruptionsgerichts bzw. dessen künftiger Richterschaft. Neben dem Kernteam, bestehend aus dem Team-Leader, zwei Langzeitexpertinnen und einem Langzeitexperten, kamen in 60 Missionen insgesamt 32 lokale und 27 europäische Expertinnen und Experten zum Einsatz – überwiegend vor Ort in Armenien. Dass sich dieser Aufwand lohnte, bestätigte die äußerst positive Resonanz seitens der Projektbegünstigten, die die enge, kollegiale und transparente Kooperation zwischen den lokalen Akteuren und dem Projektteam als außergewöhnlich bezeichneten.

EU-Technical-Assistance-Projekt „Development and Introduction of E-Justice Solutions in Armenia“

Unter Federführung des französischen Partners SOFRECO ist die IRZ seit November 2021 an der Implementierung des EU-Projekts „Development and Introduction of E-Justice Solutions in Armenia“ beteiligt. Das Projekt ist auf 24 Monate angelegt und hat ein Volumen von knapp 1.270.000 Euro. Ziel des EU-Projekts ist die Entwicklung einer einheitlichen E-Justiz-Plattform, welche die Digitalisierung des gesamten Papierumlaufs im armenischen Justizsystem sicherstellen soll. Darüber hinaus soll die im Rahmen des Projekts vorgesehene Einrichtung eines E-Justiz-Portals die Justiz den Menschen näherbringen und den Justizsektor transparenter und effizienter gestalten, während gleichzeitig die Kosten für Gerichtsverfahren gesenkt werden. Das E-Justiz-Portal wird nicht nur den Zugang zu den bestehenden Systemen im Justizsektor fördern, sondern auch neue, durch das Projekt geschaffene E-Dienste ermöglichen.

Dabei stehen das Justizministerium und das Ministerium für Hightech-Industrie der Republik Armenien sowie der Oberste Justizrat und die Staatsanwaltschaften als begünstigte Behörden im Mittelpunkt der Projektarbeit.

Mitte April 2022 fand in Eriwan eine gemeinsam mit dem armenischen Justizministerium organisierte Veranstaltung unter Beteiligung des stellvertretenden armenischen Justizministers und der EU-Delegation in Armenien statt, bei der das E-Justiz-Portal den potenziellen Nutzern vorgestellt wurde.

Ausblick

Die Zusammenarbeit mit den armenischen Partnern im straf- und strafvollzugsrechtlichen Bereich sowie die Kooperation mit dem Büro der Ombudsfrau sollen fortgesetzt, vertieft und regional erweitert werden. Im Rahmen des EU-Twinning-Projekts zur Korruptionsprävention werden eine Vielzahl von Maßnahmen auch im Jahr 2023 umgesetzt. Darüber hinaus bildet auch die Fortbildung von juristischem Nachwuchs weiterhin einen wichtigen Schwerpunkt der Zusammenarbeit der IRZ mit Partnern wie der Staatlichen Universität Eriwan und der Justizakademie.

Den gesamten Jahresbericht 2022 finden Sie auf unserer Website unter Mediathek – Jahresberichte.