Armenien – Jahresbericht 2021

Trainingsmaßnahme
Trainingsmaßnahme

Strategische Rahmenbedingungen 

Rechtspolitische Ausgangslage 

Auch im Berichtsjahr waren die Auswirkungen des 2020 wieder entfachten Konflikts mit Aserbaidschan um die Berg-Karabach-Region spürbar. Das am 9. November 2020 durch Premierminister Nikol Paschinyan unterzeichnete Waffenstillstandsabkommen mit Aserbaidschan, das weitgehend auf Ablehnung in der armenischen Bevölkerung stieß, führte zwar zur Einstellung der Kampfhandlungen, im Nachgang der Unterzeichnung kam es allerdings zu Demonstrationen und Ausschreitungen. Die Opposition und das Militär machten den Regierungschef für die militärische Niederlage und die Gebietsverluste verantwortlich und forderten den sofortigen Rücktritt. Infolge der Rücktrittsforderungen wurden vorgezogene Parlamentswahlen am 20. Juni 2021 durchgeführt, bei denen die Partei des amtierenden Regierungschefs Nikol Pashinyan mit seiner Partei Bürgervertrag überraschend mit knapp 54 % stärkste Kraft geworden ist. Den Vorwurf der Opposition, wonach es zu Wahlfälschungen gekommen sei, konnten internationale Beobachter (etwa die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa – OSZE), trotz der begrenzten Zeit für die Umsetzung der jüngsten Änderungen des Wahlgesetzes, nicht bestätigen. Seit Anfang August 2021 ist Karen Andreasyan, der unter anderem von 2011 bis 2016 Ombudsmann der Republik Armenien war, als neuer Justizminister im Amt.

Konzeption

Die bisherigen Beratungen, die im bilateralen Kontext traditionell überwiegend im Bereich des Strafrechts und des Strafvollzugsrecht erfolgten, konnten in 2021 durch weitere Themen ergänzt werden, was teils auch die Einbeziehung neuer Partner zur Folge hatte. So wurde die Zusammenarbeit mit dem Ombudsmann-Büro, das als unabhängiges Organ die Menschenrechte und Grundfreiheiten des einzelnen Bürgers schützen soll, aufgenommen. Die Schulungen im Strafvollzugsbereich wurden regional erweitert und für vier weitere Justizvollzugsanstalten durchgeführt. Ziel ist es, einen einheitlichen Standard im Strafvollzug gemeinsam mit dem armenischen Partner zu etablieren. Neben der bilateralen Zusammenarbeit mit Armenien implementiert die IRZ in Federführung das EU-Grant-Projekt „Consolidation of the Justice System in Armenia“, sodass ein ganzheitlicher, thematisch breit aufgestellter Ansatz in der Zusammenarbeit mit Armenien gewährleistet ist und die Reformen in größerem Umfang begleitet werden können.

Tätigkeitsschwerpunkte 2021

Zivil- und Wirtschaftsrecht

  • Seminar mit dem Deutschen Wirtschaftsverband in Armenien zu praxisrelevanten Fragen hinsichtlich der verschiedenen Gesellschaftsformen nach deutschem Recht und Unternehmensgründungen in Deutschland (Hybridveranstaltung)

Verfassungsrecht/Menschenrechte und deren Durchsetzbarkeit

  • Seminar in Kooperation mit dem Ombudsmann-Büro zum Thema „Rechte und Schutz von psychisch erkrankten Personen in Strafvollzugseinrichtungen und im Maßregelvollzug“ (Hybridveranstaltung)
  • Seminar in Kooperation mit dem Kassationsgericht zum Thema „Der Begriff der strafrechtlichen Verfolgung im Kontext der Europäischen Menschenrechtskonvention: Möglichkeiten der Wiederaufnahme eines Verfahrens nach gütlicher Einigung oder nach Abgabe einer einseitigen Erklärung“ in Tsaghkadzor (Hybridveranstaltung) Rechtspflege
  • Seminar in Kooperation mit dem Obersten Justizrat zum Thema „Disziplinarrechtliche Verantwortung der Richterinnen und Richter; Voraussetzungen zur Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen Richterinnen und Richter, Grundlagen des deutschen Disziplinarrechts“ (Hybridveranstaltung)

Straf- und Strafvollzugsrecht

  • Zwei Auftaktseminare zur Vorbereitung von Workshops an zwei weiteren Justizvollzugsanstalten in Armenien im Rahmen des Projekts „Entwicklung von maßgeschneiderten Konzepten an Justizvollzugsanstalten in Armenien“ (Hybridveranstaltung)
  • Fachgespräch mit Psychologinnen und Psychologen im Strafvollzug zu den Themen „Suizidprävention und Prävention von Selbstverletzungen“ (online)

Aus- und Fortbildung

  • Seminar mit der Justizakademie zum Thema „Einziehung des illegal erworbenen Vermögens“ (online)
  • Durchführung eines landesweiten Moot-Courts zum Straf- und Strafprozessrecht in Kooperation mit der Staatlichen Universität Eriwan in Aghveran (Hybridveranstaltung)

Von der Europäischen Union finanziertes Projekt 

EU Grant „Consolidation of the Justice System in Armenia”

Die IRZ führt dieses Projekt seit Juni 2020 in Federführung durch, als Partner wirken „Expertise France“ und die lettische Gerichtsverwaltung mit. Mit einem Gesamtvolumen von 2,2 Millionen Euro widmet sich das Projekt noch bis Juni 2022 der Gesamtkonsolidierung der armenischen Justizreform. Das Projekt konnte nach knapp einem Jahr fast ausschließlich digitaler Durchführung im Juni 2021 den Aufbau einer lokalen Bürostruktur abschließen. Das Team vor Ort mit zwei internationalen und drei nationalen Langzeitexpertinnen und -experten wird dank der positiven Entwicklung hinsichtlich der COVID-19 Pandemie auch durch zahlreiche lokale wie internationale Kurzzeiteinsätze unterstützt.

Die diversen Projektaktivitäten resultierten in Empfehlungen und Gesetzentwürfen, etwa zur Vereinfachung von Verwaltungsverfahren oder hinsichtlich der Modernisierung der Zivilprozessordnung. Wichtiges Beratungsthema ist zudem die Sicherung der Integrität innerhalb der Justiz, insbesondere der Staatsanwaltschaft. Hierzu wurde eine umfangreiche Analyse zu Integritätsstandards vorgelegt. Eine erste Studienreise einer hochrangigen Delegation bestehend aus Mitgliedern der Korruptionspräventionskommission sowie des Obersten Justizrates ermöglichte einen Erfahrungsaustausch bezüglich der Integritätsprüfung von Richterinnen und Richtern sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälten. Daneben wurde im Rahmen des Projekts ein Handbuch über die Grundlage für Disziplinarmaßnahmen im Bereich der Staatsanwaltschaft verfasst, das in englischer und armenischer Sprache veröffentlicht werden soll.

Innerhalb der Fortbildungskomponente analysierte das Projekt zunächst grundlegend das bestehende Fortbildungswesen und die sich daraus ergebenden Bedürfnisse der verschiedenen Berufsgruppen des armenischen Justizsektors (Richterschaft, Staatsanwaltschaft, Anwaltschaft sowie nicht richterliches Personal der Gerichte). Auf dieser Grundlage wurden unter anderem die Trainingsmethodologie optimiert und zielgerichtete Lehrpläne entwickelt. Gezielte und bedarfsorientierte Trainingsmaßnahmen im Rahmen des Projekts erreichten 2021 bis zu 800 Teilnehmende.

Wichtige projektinterne Meilensteine waren zudem im Januar (digital) sowie im Juli (hybrid) die turnusmäßigen Steuerungstreffen; deren Ziel ist es, die Entwicklungen und Fortschritte des Projekts vorzustellen und mit den Partnern zu diskutieren. Neben den deutschen und armenischen Projektverantwortlichen und Verantwortlichen der EU-Delegation in Armenien nahmen auch Vertreterinnen und Vertreter zentraler Akteure des armenischen Justizsystems, darunter die stellvertretende Justizministerin Kristinne Grigoryan, teil. Alle Beteiligten zeigten sich mit den bisher erreichten Ergebnissen sehr zufrieden. Im Zuge des Treffens im Juni 2021 wurde auch die unterjährige Restrukturierung der Projektplanung beschlossen. Auf dieser Basis trägt das Projekt weiterhin zielgerichtet zur Förderung der umfassenden armenischen Justizreform bei. Dabei werden bis zum Projektende voraussichtlich weitere unterschiedliche Formate wie Studienreisen, innovative Trainingsmethoden und die Einführung von digitalen Systemen neben der regulären Beratung durch die Projektexpertinnen und -experten zur Anwendung kommen.

EU-Technical-Assistance-Projekt „Development and Introduction of E-Justice Solutions in Armenia“

Die IRZ ist seit November 2021 unter der Federführung des französischen Partners SOFRECO an der Implementierung des Projekts „Development and Introduction of E-Justice Solutions in Armenia“ beteiligt. Das Projekt ist auf 24 Monate angelegt und hat ein Volumen von knapp 1.270.000 Euro. Ziel des Projekts ist die Entwicklung eines einheitlichen E-Justiz-Systems, das die Digitalisierung des gesamten Papierumlaufs im Justizsystem, einschließlich der externen Kommunikation und der internen Arbeitsabläufe, gewährleisten soll. Das Justizministerium und das Ministerium für High-Tech-Industrie stehen als begünstigte Behörden im Mittelpunkt. Inhaltlich knüpft das Projekt zum Teil an das EU-Grant-Projekt „Consolidation of the Justice System in Armenia“ an, welches die IRZ federführend seit Juni 2020 in Armenien implementiert.

Die Inhalte des Projekts lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Aufbau einer modernen und effizienten Justiz durch Modernisierung der betrieblichen Abläufe, einschließlich der Umwandlung, Optimierung und Digitalisierung von Prozessen
  • Förderung eines einheitlichen Datenbereichs für die öffentliche Verwaltung, in dem alle Informationen für alle beteiligten Behörden verfügbar sind
  • Förderung des Vertrauens der Öffentlichkeit in das elektronische Umfeld
  • Steigerung der Effizienz bei der Bearbeitung von Rechtsstreitigkeiten und anderen Verfahren durch Beschleunigung verschiedener Prozesse und Senkung der Kosten

Ausblick

Die Zusammenarbeit mit den armenischen Partnern im straf- und strafvollzugsrechtlichen Bereich sowie die neue Kooperation mit dem Ombudsmann sollen fortgesetzt, vertieft und regional erweitert werden. Darüber hinaus bildet auch 2022 die Fortbildung von juristischem Nachwuchs einen wichtigen Schwerpunkt der Zusammenarbeit mit Partnern wie der Staatlichen Universität Eriwan und der Justizakademie. Durch die Fortsetzung der Zusammenarbeit im Rahmen des Grant-Projekts werden die Reformen auch im Jahr 2022 weiterhin in größerem Umfang begleitet.