Georgien - Länderbericht 2017

Fachgespräch zur Neuregelung des Art. 136 des georgischen Strafprozessgesetzes im Rechtsausschuss des georgischen Parlaments: Prof. Dr. Nino Gvenetadze, Präsidentin des Obersten Gerichts von Georgien; Eka Beselia, Vorsitzende des Rechtsausschusses; Dr. Wolfgang Bär, Richter am Bundesgerichtshof (Präsidium v.l.n.r.)
Fachgespräch zur Neuregelung des Art. 136 des georgischen Strafprozessgesetzes im Rechtsausschuss des georgischen Parlaments: Prof. Dr. Nino Gvenetadze, Präsidentin des Obersten Gerichts von Georgien; Eka Beselia, Vorsitzende des Rechtsausschusses; Dr. Wolfgang Bär, Richter am Bundesgerichtshof (Präsidium v.l.n.r.)

Rechtspolitische Ausgangslage

Georgien ist Teil der Östlichen Partnerschaft der EU und befindet sich weiterhin auf einem Kurs der Demokratisierung und wirtschaftlichen Modernisierung. Das Land strebt eine Integration in die europäische und transatlantische Gemeinschaft an. Das EU-Parlament, die Europäische Kommission und weitere internationale Akteure loben Georgien für die anhaltend positive Entwicklung und beabsichtigen eine noch engere Zusammenarbeit. Infolge der Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens hat das EU-Parlament Ende März 2017 grünes Licht für den Wegfall des Visazwangs für georgische Staatsangehörige gegeben, die seither ohne Visum in die EU reisen dürfen.

Am 21. Oktober 2017 fanden in Georgien Regionalwahlen statt, die die Regierungskoalition „Georgischer Traum“ gewann. Gleichwohl ist die Verfassungsreform, die von der Regierung im Berichtsjahr angestoßen wurde, im Land nicht unumstritten, insbesondere was die Neuregelung des Wahlrechts oder die Abschaffung der Direktwahl des Staatspräsidenten betrifft. Der Verfassungsreformprozess ist noch nicht abgeschlossen, in 2018 soll die neue Verfassung jedoch in Kraft treten.

Konzeption

Der inhaltliche Schwerpunkt der Beratungen der IRZ in Georgien liegt hauptsächlich auf strafrechtlichen Themen. Die Unterstützung richtete sich im Berichtsjahr an das Oberste Gericht, die georgische Anwaltskammer und den Anwaltsverein, an die Hauptstaatsanwaltschaft, an den Rechtsausschuss des georgischen Parlaments, an das Trainingszentrum für Strafvollzug (PPTC) und an die Staatliche Universität Tiflis. Die Kooperation besteht in der Begleitung von Gesetzesreformen, der Unterstützung von Rechtsanwendern durch Fortbildung und der Stärkung von Berufsvertretungen.

Mit dem georgischen Justizministerium steht die IRZ in engem Kontakt, um bei den gesetzgeberischen Schritten zur Annäherung des nationalen Rechts an EU-Normen zu unterstützen.

Zudem war die IRZ im Berichtsjahr an der Implementierung von drei EU-Projekten beteiligt (s. u.).

Tätigkeitsschwerpunkte 2017

Verfassungsrecht/Menschenrechte und deren Durchsetzbarkeit

  • Drei Fortbildungsveranstaltungen für georgische Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte zur Anwendung der EMRK und zum Europarecht in Tiflis

Zivil- und Wirtschaftsrecht

  • Vortrags- und Diskussionsveranstaltung zum Thema „Mediation in • Arbeitsbesuch einer Delegation der Anwaltskammer Georgiens in Berlin zum Thema „Arbitrage/Mediation“
  • Runder Tisch zu zivilprozessualen Fragen bei Streitigkeiten im Handelsund Gesellschaftsrecht in Kooperation mit dem georgischen Anwaltsverein in Tiflis

Rechtspflege

  • Konferenz der Memorandumgruppe der Richterassoziationen aus Armenien, Aserbaidschan, Estland, Kasachstan, Moldau, Polen und der Ukraine in Tiflis

Straf- und Strafvollzugsrecht

  • Fachgespräche der Präsidentin des Obersten Gerichts von Georgien, Prof. Dr. Nino Gvenetadze, am Oberlandesgericht Bremen und Landgericht Bremen sowie Teilnahme an einer Podiumsdiskussion auf Initiative der Juristischen Gesellschaft Bremen e.V.
  • Konferenz zu strafrechtlichen Sanktionen und Strafzumessung in Tiflis
  • Fachgespräch zur Neuregelung des Art. 136 des georgischen Strafprozessgesetzes (Anforderung von Computerdaten) im Rechtsausschuss des georgischen Parlaments in Tiflis
  • Erarbeitung eines (Formular-) Handbuchs für den Strafprozess für die Richterschaft in Kooperation mit dem Obersten Justizrat Georgiens
  • Schulungen zu europäischen Standards im Rahmen von Ermittlungshandlungen und Untersuchungshaft für die Hauptstaatsanwaltschaft Georgiens
  • Fortsetzung der Beratungen des Obersten Gerichts von Georgien und des Obersten Justizrats zur elektronischen Geschäftsverteilung
  • Schulungsreihe für Strafvollzugspersonal zum Umgang mit besonderen Gruppen von Gefangenen (Frauen, Minderjährigen etc.)
  • Online-Fachpublikation „Deutsch-georgische Strafrechtzeitschrift“ (www.dgstz.de) zur Veröffentlichung von wissenschaftlichen Beiträgen, Tagungsberichten und Rechtsprechung. Diese Publikation dient dem Rechtsvergleich und der besseren Vernetzung zwischen deutschen und georgischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in allen Bereichen des Strafrechts und soll einen Überblick über alle deutschgeorgischen Projekte in diesem Kontext geben

Aus- und Fortbildung

  • Teilnahme von zwei georgischen Jurastudentinnen an der „IRZSommerschule Deutsches Recht“ in Bonn
  • Nationaler Moot Court im Verfassungsrecht für georgische Jurastudierende in Batumi

Von der Europäischen Union finanzierte Projekte

EU-Technical-Assistance-Projekt: Legislative Impact Assessment, Drafting and Representation

Seit April 2015 wird dieses Projekt mit einem Budget von knapp 2 Mio. Euro in einem internationalen Konsortium unter Federführung der belgischen Firma IBF durchgeführt. Es hätte eigentlich im Oktober 2017 enden sollen, wurde jedoch bis April 2018 verlängert, um einige wichtige Aktivitäten zu Ende zu bringen. Hauptbegünstigter ist das georgische Justizministerium.

Inhaltlich ist das Projekt in drei Komponenten aufgegliedert, die unterschiedliche Ziele verfolgen: Gesetzgebungsprozesse zu verbessern, das Justizministerium verstärkt mit dem Völkerrecht, den Menschenrechten und Schiedsgerichtsverfahren vertraut zu machen und die Weiterentwicklung eines Zentrums für Übersetzungen von georgischen Gesetzestexten in die englische Sprache zu fördern.

Ein wichtiges Ergebnis des Projekts ist ein Handbuch sowie Richtlinien über die systematische Rechtsangleichung an EU-Recht, das der Experte der IRZ entwickelt hat, und das künftig ein verbindliches Instrument im Gesetzgebungsprozess Georgiens darstellen wird. Im Rahmen einer Konferenz in Tiflis im Juni 2017 wurde dieses Instrument den Regierungsvertretern vorgestellt. Seine Anwendung auf Fachebene wird bereits durch entsprechende Schulungen begleitet.

Auch wurde ein bedarfsgerechtes Trainingskonzept zu Gesetzgebungstechniken sowie zur politischen Entscheidungsfindung entwickelt, das im Rahmen von Schulungen für Beamte, Abgeordnete und Regierungsvertreter Anwendung findet. Dabei steht der Bereich der Gesetzesfolgenabschätzung als zentraler Bestandteil von qualitativer Gesetzgebung im Mittelpunkt, weshalb hierfür zusätzlich Trainer und Mentoren ausgebildet wurden. Weitere Aktivitäten waren etwa die Schulung von Beamten in Bezug auf die Vertretung Georgiens in internationalen Organisationen und Gerichten sowie Trainings zu Einzelfragen des Internationalen Privatrechts, die für die Beamten häufig von Relevanz sind.

EU-Technical-Assistance-Projekt: Facility for the Implementation of the Association Agreement in Georgia

Mit dem belgischen Partner IBF führt die IRZ bis Mai 2018 dieses Projekt mit einem Budget von 2 Mio. Euro durch. Der hauptbegünstigte Partner, die georgische Regierungskommission für EU-Integration, soll bei der Umsetzung der bilateralen Abkommen der EU mit Georgien (Assoziierungsabkommen, Freihandelsabkommen, Abkommen zur Visa-Liberalisierung und Assoziierungsagenda, die unter dem Begriff „Assoziierungsabkommen“ zusammengefasst werden) begleitet werden.

Das Jahr 2017 beinhaltete eine Vielzahl an Maßnahmen, die nur beispielhaft aufgeführt werden können. Zum einen legte das Projektteam Richtlinien für die Koordinierung, Planung und Überwachung von Regierungsprogrammen fest. Zudem wurden Grundsatzpapiere erstellt, die die georgischen Behörden bei der ordnungsgemäßen Planung, insbesondere der zeitgemäßen Umsetzung des Assoziierungsabkommens unterstützen sollen. Auch wurde ein Fahrplan an Maßnahmen zur Einrichtung eines Betrugsbekämpfungssystems diskutiert. Darüber hinaus blieb die EU-Außenhilfe weiterhin ein intensiver Projektbestandteil: Die Arbeiten zur Einrichtung des gemeinsamen Überwachungs- und Evaluierungssystems in Georgien konnten abgeschlossen und die Monitoring- und Evaluierungsrichtlinien für EU-finanzierte Programme/Projekte ausgearbeitet und mit dem Begünstigten abgestimmt werden. Informationen über die mögliche Teilnahme an EU-Projekten, die Verfügbarkeit von EU-Geldern und die Kriterien ihrer Vergabe wurden dem Projektpartner erläutert.

Auf dem Gebiet des Freihandelsabkommens wurden Aktivitäten zur Rechtsangleichung, zur Einführung von Reformmaßnahmen zur Beseitigung technischer Handelshemmnisse (TBT) sowie zur Förderung von Handelserleichterungen angeboten. Bei den beratenden Tagungen achtete man darauf, dass auch private Unternehmen hinzugezogen wurden, um geplante gesetzgeberische Maßnahmen transparent zu gestalten.

EU-Technical-Assistance-Projekt: Support to the Independence, Accountability and Efficiency of the Judiciary in Georgia

Seit Oktober 2016 ist die IRZ als Partner an einem weiteren EU-finanzierten Vertrag in Georgien beteiligt. Während der 32-monatigen Laufzeit unterstützt das Konsortium unter der Leitung des Beratungsunternehmens Human Dynamics (HD) den Obersten Gerichtshof, den Obersten Justizrat, die Justizakademie, das Verfassungsgericht und diverse Gerichte bei der Steigerung der Unabhängigkeit, Effizienz und Unparteilichkeit der georgischen Justiz. Inhaltlich schließt das Projekt teilweise an das ebenfalls von der IRZ und HD erfolgreich abgeschlossene Projekt „Support to the Reform of the Criminal Justice System in Georgia“ (2012–2015) an.

Die IRZ ist durch die Entsendung von Kurzzeitexpertinnen und -experten, vor allem aber durch ihre georgische Langzeitexpertin mit dem Schwerpunkt „Europäische Menschenrechtsstandards“ intensiv an dem Projekt beteiligt. Diese Expertin führte bereits diverse Seminare und Workshops für Richterinnen und Richter sowie weitere Beschäftigte der Gerichte durch. Inhaltlich ging es dabei u. a. um für Georgien bedeutsame EGMR-Fälle sowie das EU-Recht. Doch wurden auch praktische Hilfestellungen für die tägliche juristische Recherche und zur Optimierung der juristischen Ausdrucksweise für das Schreiben von Urteilen angeboten. Sehr weit gediehen ist u. a. durch die Arbeit der IRZ-Expertin – gemeinsam mit der Abteilung für Menschenrechte innerhalb des Obersten Gerichtshofs – die Entwicklung einer Datenbank, die bedeutende EGMR-Urteile beinhaltet. Teilweise wurden diese auch in die georgische Sprache übersetzt. Auf diese Art und Weise soll das Verständnis für die Bedeutsamkeit der EMRK in Georgien weiter gesteigert und damit zugleich die Fähigkeit erhöht werden, diese Normen kompetent anzuwenden.

Zudem erarbeitete das Projekt zusammen mit dem Obersten Justizrat eine umfassende Strategie zur Justizreform 2017 bis 2022 sowie einen Aktionsplan zu deren Umsetzung für 2017 und 2018. Dieser beinhaltet etwa Seminare zur Steigerung der Effizienz der Justiz, gemeinsame Veranstaltungen für die Justiz und Anwaltschaft sowie Workshops für die öffentliche Finanzverwaltung.

Ausblick

Für das Jahr 2018 plant die IRZ eine Fortsetzung der bilateralen Zusammenarbeit mit allen bisherigen georgischen Partnerinstitutionen. Die Beratungen werden insbesondere auf dem Gebiet des Straf- und Strafprozessrechts fortgesetzt. Geplant ist insbesondere eine vertiefte Unterstützung der Richterschaft in Form von Kooperationen mit dem georgischen Obersten Gericht sowie dem Appellationsgericht Tiflis.

Die Zusammenarbeit mit der georgischen Anwaltschaft soll wegen deren Schlüsselfunktion als maßgebliches Bindeglied zwischen Bürgerschaft und Staat ebenfalls fortgesetzt werden. Nach den Vorstandswahlen innerhalb der georgischen Anwaltskammer im Dezember 2017 wird die IRZ auch mit den künftigen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern eng zusammenarbeiten und dabei wie bisher die Bundesrechtsanwaltskammer einbeziehen. Denn der praxisnahe fachliche Austausch mit deutschen Kolleginnen und Kollegen bleibt für die georgische Seite von großer Bedeutung. Auf Wunsch der Hauptstaatsanwaltschaft soll das Seminar zu verdeckten Ermittlungen und Untersuchungshaft, dessen hoher praktischer Nutzen von allen Beteiligten betont worden war, für weitere Teilnehmerkreise wiederholt werden. Angedacht ist zudem ein Projekt zum Medienrecht, einem gerade in Georgien äußerst relevanten Thema.

Zwei der drei EU-finanzierten Projekte in Georgien werden Anfang 2018 ihren Abschluss finden. Im an die Justiz gerichteten dritten EU-Projekt stehen in 2018 zahlreiche Aktivitäten zur Umsetzung des oben erwähnten Justizstrategie-Aktionsplans an, an denen die IRZ mitwirken wird. Beispielhaft seien hier Fortbildungen für die neu gewählten Mitglieder des Obersten Justizrats genannt, um diese über die konkreten Ziele und Inhalte des Strategiepapiers und Aktionsplanes genauestens zu informieren. Darüber hinaus wird das Projektteam mit dem Obersten Justizrat auch ein Evaluationssystem zur Durchsetzung des Aktionsplans erstellen.