Georgien – Jahresbericht 2020

Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei der Online-Konferenz zum Thema „Berufsethik und berufliche Herausforderungen der Mediation“ am 20. Oktober 2020 in Tiflis
Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei der Online-Konferenz zum Thema „Berufsethik und berufliche Herausforderungen der Mediation“ am 20. Oktober 2020 in Tiflis

Strategische Rahmenbedingungen 

Rechtspolitische Ausgangslage 

Auf Grundlage des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und Georgien wurden bereits viele Reformen im Justizbereich auf den Weg gebracht. Innenpolitisch stand Georgien dennoch auch im Jahr 2020 vor großen Herausforderungen. Eine politische Einigung auf eine lange diskutierte Wahlrechtsreform konnte erst Anfang März 2020 erzielt werden. Dem vorausgegangen waren Proteste, nachdem die vorgesehene Einführung des vollen Verhältniswahlrechts im November 2019 zunächst im Parlament gescheitert war. Die erzielte Einigung sieht weiterhin ein gemischtes Wahlsystem vor, jedoch werden künftig nur noch 30, statt bisher 73, von 150 Abgeordneten mittels eines Direktmandats in das georgische Parlament gewählt. Folglich werden die großen Parteien aufgrund ihrer höheren Chancen auf Direktmandate bei der Sitzverteilung im Parlament nicht mehr ganz so stark bevorzugt wie zuvor. Ende Oktober 2020 konnte die Parlamentswahl auf dieser Grundlage durchgeführt werden. Als Wahlsieger ging dennoch erneut die Partei „Georgischer Traum“ hervor, die zum dritten Mal in Folge mit absoluter Mehrheit regieren kann.

Unmittelbar nach dem erzielten Durchbruch im März 2020 stand die weitere innenpolitische Entwicklung – wie auch die Durchführung der Wahl – unter dem Eindruck der COVID-19-Pandemie. Georgien konnte jedoch durch einen vergleichsweise strengen und frühen Lockdown, der auf einem breiten, parteiübergreifenden Konsens basierte, die COVID19-Pandemie zunächst erfolgreich eindämmen.

Im März 2020 konnte zudem endlich die seit eineinhalb Jahren vakante Stelle der/des Vorsitzenden des Obersten Gerichts mit Nino Kadagidze nachbesetzt werden. Sie wurde ebenfalls zur Vorsitzenden des Obersten Justizrats, des Selbstverwaltungsorgans der Justiz, gewählt.

Konzeption 

Die IRZ hat im Berichtsjahr den Schwerpunkt Strafrecht um weitere Rechtsgebiete, vor allem in den Bereichen Zivil- und Wirtschaftsrecht sowie Rechtspflege, erweitert. Enge Kooperationen bestehen insbesondere mit dem Obersten Gericht, der Hauptstaatsanwaltschaft, dem Justizministerium und dem Rechtsausschuss des georgischen Parlaments. Hierbei stehen die Rechtsangleichung sowie der Fachaustausch im Vordergrund.

Im Jahr 2020 konnte zudem die Zusammenarbeit mit den Berufsverbänden, allen voran mit der Rechtsanwaltskammer, intensiviert werden. Aber auch neu gegründete Berufsvereinigungen, wie zum Beispiel die Vereinigung der georgischen Mediatorinnen und Mediatoren, wurden im Hinblick auf die Verabschiedung eines Mediationsgesetzes in den Fachaustausch einbezogen.

Zwei regelmäßig erscheinende Publikationen, die den bilateralen wissenschaftlichen Austausch zwischen Georgien und Deutschland zum Ziel haben, runden die Zusammenarbeit mit Georgien ab.

Tätigkeitsschwerpunkte 2020

Verfassungsrecht/Menschenrechte und deren Durchsetzbarkeit 

  • Online-Moot-Court im Verfassungsrecht für Studierende der Rechtswissenschaften

Zivil- und Wirtschaftsrecht

  • Online-Rundtischgespräch und Erarbeitung eines Gesetzesentwurfs zum Thema „Wirtschaftsrechtliche Streitigkeiten vor der Kammer für Handelssachen“ mit der georgischen Rechtsanwaltskammer in Zusammenarbeit mit der Bundesrechtsanwaltskammer
  • Zwei Online-Seminare mit dem georgischen Justizministerium zur Umsetzung des „Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung“ und des „Haager Kinderschutzübereinkommens“ sowie zur Mediation in Kindschaftsverfahren
  • Beratung des Rechtsausschusses bei der Erarbeitung eines neuen Gesetzentwurfs zum Verbraucherschutz
  • Online-Seminar in Kooperation mit dem georgischen Anwaltsverein G. L. I. P. (Georgian Lawyers for Independent Profession) zum Verbraucherschutz
  • Online-Tagung zum Arbeitsrecht und fachliche Unterstützung des Obersten Gerichts in zivilrechtlichen Fragen durch eine deutsche Expertin oder einen deutschen Experten
  • Fachpublikation „Deutsch-Georgische Zeitschrift für Rechtsvergleichung“

Rechtspflege

  • Online-Fachgespräch „Berufsethik und berufliche Herausforderungen der Mediation“ in Zusammenarbeit mit der Bundesrechtsanwaltskammer und der Assoziation der georgischen Mediatorinnen und Mediatoren
  • Online-Seminar zur Rechtsanwaltsvergütung mit der georgischen Rechtsanwaltskammer in Zusammenarbeit mit der Bundesrechtsanwaltskammer

Straf- und Strafvollzugsrecht

  • Online-Workshop zur Kommentierung des georgischen Strafgesetzbuchs
  • Online-Seminar für die Hauptstaatsanwaltschaft zu EU-Standards im Rahmen von Ermittlungshandlungen und Untersuchungshaft
  • Online-Seminar mit dem Anwaltsverein G. L. I. P. zum Thema „Verdeckte Ermittlungen“
  • Online-Training mit der Sulkhan-Saba-Orbeliani-Universität „Abfassung erstinstanzlicher Strafurteile und Strafzumessung“
  • Online-Seminar mit der ALFG (Association of Law Firms of Georgia) „Veränderung des rechtlichen Gesichtspunkts im Strafverfahren“
  • Fachpublikation „Deutsch-Georgische Strafrechtszeitschrift“

Von der Europäischen Union finanziertes Projekt 

EU-Technical-Assistance-Projekt: „Support to the Independence, Accountability and Efficiency of the Judiciary in Georgia“

Von Oktober 2016 bis Ende Februar 2020 wirkte die IRZ als Partner an diesem 41-monatigen Projekt in Georgien mit. Die IRZ unterstützte den Obersten Justizrat, das Verfassungsgericht und diverse Gerichte bei der Steigerung der Unabhängigkeit, Effizienz und Unparteilichkeit der georgischen Justiz. Das Projekt wurde um weitere zwölf Monate bis einschließlich Februar 2021 verlängert und richtet sich nun ausschließlich an den Obersten Justizrat.

Das Projekt sieht vor, dass die internen Verfahrensvorschriften des Obersten Justizrats auf ihre Kompatibilität mit den nationalen Rechtsvorschriften und internationalen Standards überprüft und weitere notwendige Regularien entwickelt werden.

Mit der sogenannten vierten Welle der Justizreformen in Georgien wurden neue Verpflichtungen und klare Verfahren eingeführt, die vom Obersten Justizrat unter anderem einzuhalten sind:

  • Rechtzeitige Veröffentlichung von Informationen zu den Sitzungen,
  • Veröffentlichung von Entwürfen normativer Rechtsakte,
  • aktualisierte Regeln für die Auswahl der Mitglieder,
  • neue Regeln für die Ernennung und Auswahl der/des Vorsitzenden,
  • erweiterter Geltungsbereich der Klausel „Interessenkonflikt“.

Das Projekt stimmt sich mit den Mitgliedern des Obersten Justizrats eng ab, um Kapazitäten zu entwickeln und die Prozesse zu verbessern. Beispielhaft kann etwa die Sitzungsvorbereitung genannt werden. Hier ist vorgesehen, dass alle wichtigen Initiativen, die auf der Tagesordnung stehen, bei Bedarf durch Statistiken, Analysen und Studien ergänzt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, arbeitet das Team gemeinsam mit Kurzzeitexpertinnen und Kurzzeitexperten in Arbeitsgruppen, im Praxisaustausch mit vergleichbaren Organen der EU-Mitgliedstaaten sowie in Schulungen und Workshops mit dem Begünstigten zusammen.

Ausblick 

Die Zusammenarbeit soll auch 2021 über den bisherigen Schwerpunkt des Strafrechts hinaus vertieft werden. Dabei könnte insbesondere die Zusammenarbeit mit dem georgischen Justizministerium um weitere Themen erweitert werden. Daneben soll das Oberste Gericht durch einen deutschen Experten, der als ständiger Ansprechpartner für Fachfragen zur Verfügung steht, beraten werden.

Nach der in 2020 erfolgten Parlamentswahl soll nun in 2021 auch wieder der Rechtsausschuss des Parlaments bei Gesetzesreformen und Gesetzentwürfen gezielt unterstützt werden, so zum Beispiel im Verbraucherschutzrecht. Ebenso sollen die unterschiedlichen juristischen Berufsvereinigungen durch einen gezielten Fachaustausch hinsichtlich konkreter Gesetzesvorhaben und -initiativen begleitet werden.

Darüber hinaus erwägt die IRZ eine engere Kooperation mit der Richterschule und den Universitäten, um die nachhaltige Ausbildung von Juristinnen und Juristen zu fördern.