Georgien - Jahresbericht 2018

Anwaltskolloquium unter Mitwirkung von Rechtsanwalt Dr. Frank Engelmann; Dr. Anja Teschner, Vize-Präsidentin LG Berlin; David Asatiani, Präsident der Anwaltskammer Georgiens; Teresa Thalhammer, IRZ, und Rechtsanwalt Lascha Kalandadze (v.l.n.r.)
Anwaltskolloquium unter Mitwirkung von Rechtsanwalt Dr. Frank Engelmann; Dr. Anja Teschner, Vize-Präsidentin LG Berlin; David Asatiani, Präsident der Anwaltskammer Georgiens; Teresa Thalhammer, IRZ, und Rechtsanwalt Lascha Kalandadze (v.l.n.r.)

Strategische Rahmenbedingungen

Rechtspolitische Ausgangslage

Georgien verfolgt weiterhin das Ziel der europäischen Integration und befindet sich bereits in der Umsetzung der Assoziierungsagenda, die im Rahmen des Assoziierungsabkommens zwischen Georgien und der EU definiert wurde. In zahlreichen Bereichen wie etwa dem Vergabewesen, Zoll und Handel, Recht des geistigen Eigentums oder dem Gesellschaftsrecht wurden bereits Papiere zu nötigen Gesetzesänderungen entwickelt oder Gesetzesreformen initiiert, um die Annäherung an EU-Recht zu erreichen. Diese Fortschritte und auch die Effekte des boomenden Tourismus machen sich jedoch in der wirtschaftlichen Situation weiter Bevölkerungsteile kaum bemerkbar.

Folglich war die innenpolitische Situation in Georgien im Berichtsjahr von Turbulenzen geprägt. Ausgelöst durch einen umstrittenen Fall in der Strafjustiz, der in der Bevölkerung für große Empörung sorgte, trat im Frühjahr unter anderem der Hauptstaatsanwalt zurück. Wegen anhaltender Proteste und aufgrund innerparteilicher Differenzen legte schließlich auch Premierminister Kwirikaschwili vom regierenden Parteibündnis „Georgischer Traum“ sein Amt nieder. Sein Nachfolger ist der vormalige Finanzminister Mamuka Bakhtadze, der das Kabinett umbildete und die Ressorts reduzierte, im Übrigen aber noch keine weitgehenden Reformschritte einleitete. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Regierung nahm weiterhin spürbar zu, und die politische Zerrissenheit des Landes wurde erneut im Rahmen der Präsidentschaftswahlen im Oktober 2018 deutlich. Obwohl diesem politischen Amt aufgrund einer tiefgreifenden Verfassungsreform keine tragende Rolle mehr zukommt, wurde der Wahlkampf erbittert und unter teils fragwürdiger Zuhilfenahme von Mitteln der öffentlichen Verwaltung geführt. Aus der Stichwahl Ende November ging schließlich Salome Surabischwili als Gewinnerin hervor, die politisch im Lager der Regierungspartei steht.

Mit der Inauguration der Präsidentin trat die im März verabschiedete Verfassungsreform in Kraft. Mit dieser Reform wird der Übergang in ein parlamentarisches Regierungssystem vollzogen. Eine wichtige Neuerung betrifft dabei die Ernennung der oder des Vorsitzenden des Obersten Gerichts, die bislang durch den Staatspräsidenten erfolgte, künftig jedoch Aufgabe des Obersten Justizrats sein wird. Seit dem Rücktritt der früheren Vorsitzenden Prof. Dr. Nino Gvenetadze im August 2018 war die Stelle vakant und wurde wegen der bevorstehenden Verfassungsreform bewusst nicht mehr durch den Präsidenten besetzt, um in dieser Übergangszeit keine Fakten zu schaffen. Dieser Posten ist für die georgische Justiz auch deshalb so zentral, weil der oder die Gerichtsvorsitzende zugleich auch den Vorsitz im Obersten Justizrat, also dem Selbstverwaltungsorgan der Justiz, innehat.

Konzeption

Die IRZ widmet sich in Georgien weiterhin der fachlichen Begleitung und der Umsetzung von Reformvorhaben im Strafrecht. Diese erfolgt in Kooperation mit dem Rechtsausschuss des Parlaments, sofern es um die Begutachtung von Gesetzesvorhaben geht, sowie mit den relevanten Akteuren aus der Justiz, in erster Linie dem Obersten Gericht und weiteren Gerichten, der Hauptstaatsanwaltschaft Georgiens und der georgischen Anwaltskammer. Daneben umfasst die Zusammenarbeit den gezielten Fachaustausch zwischen den Angehörigen dieser Partnerinstitutionen und ihren deutschen Kolleginnen und Kollegen, um aktuelle Rechtsfragen und Entwicklungen vergleichend zu diskutieren. Daher sind auch die Kooperationen mit der Staatlichen Universität Tiflis und den Rechtsfakultäten weiterer Universitäten, aber auch mit dem Trainingszentrum für Strafvollzug wichtige Bausteine der Projektarbeit.

Tätigkeitsschwerpunkte 2018

Verfassungsrecht / Menschenrechte und deren Durchsetzbarkeit

  • Nationaler Moot Court im Verfassungsrecht für georgische Jurastudierende in Batumi
  • Publikation zum Antidiskriminierungsrecht

Zivil- und Wirtschaftsrecht

  • Anwaltskolloquium in Kooperation mit der Bundesrechtsanwaltskammer zu Versäumnisurteil, Beweislast und weiteren zivilprozessualen Themen in Tiflis

Öffentliches Recht

  • „@mediasocieties Georgia 2018“: Heranführung georgischer Medienakteure an europäisches Medienrecht (gefördert durch das Auswärtige Amt)

Rechtspflege

  • Arbeitsbesuch einer Delegation des Stadtgerichts Tiflis (Gerichtsverwaltung) in Düsseldorf zur Planung von Gerichtsgebäuden
  • Training of Trainers für Ausbilderinnen und Ausbilder des georgischen Trainingszentrums für Strafvollzug
  • Gesetzgebungsberatungen für den Rechtsausschuss des georgischen Parlaments zu diversen geplanten Neuregelungen der georgischen Strafprozessordnung
  • Mitwirkung an Fachgesprächen der Deutschen Sektion der Internationalen Juristen-Kommission e. V. im Rahmen einer Studienreise nach Georgien

Strafrecht und Strafvollzugsrecht

  • Konferenz zum Thema häusliche Gewalt (Umsetzung Istanbuler Konvention) in Kooperation mit der Staatlichen Universität Tiflis
  • Zwei praxisbezogene Schulungen zu europäischen Standards im Rahmen von Ermittlungsmethoden und Untersuchungshaft
  • Fortbildung für Staatsanwältinnen und Staatsanwälte zur Korruptionsbekämpfung und Korruptionsermittlung in Tiflis
  • Lehrgänge zur methodischen Abfassung von erstinstanzlichen Strafurteilen in Zusammenarbeit mit der Richterschule / Weiterentwicklung des (Formular-) Handbuchs für Richter und Staatsanwälte
  • Konferenz zur geplanten Reform des Betäubungsmittelstrafrechts in Tiflis
  • Online Fachpublikation „Deutsch-georgische Strafrechtszeitschrift“

Von der Europäischen Union finanzierte Projekte

EU-Technical-Assistance-Projekt: Support to the Independence, Accountability and Efficiency of the Judiciary in Georgia

Seit Oktober 2016 ist die IRZ als Partner an diesem EU-finanzierten Projekt in Georgien beteiligt. Während der 41-monatigen Laufzeit unterstützt ein Konsortium unter der Leitung von Human Dynamics den Obersten Gerichtshof, den Obersten Justizrat, das Verfassungsgericht und diverse weitere Gerichte bei der Steigerung der Unabhängigkeit, Effizienz und Unparteilichkeit der georgischen Justiz.

Die IRZ ist durch die Entsendung von Kurzzeitexpertinnen und Kurzzeitexperten, vor allem aber durch ihre georgische Langzeitexpertin, Lali Ckhetia, mit dem Themenschwerpunkt Europäische Menschenrechtsstandards an dem Projekt beteiligt. Ziel ist es, georgische Richterinnen und Richter für die Bedeutung der EMRK zu sensibilisieren und zu erreichen, dass diese die Rechtsprechung des EGMR bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. Hierfür wurde der Zugriff auf bedeutende EGMR-Urteile erleichtert, die sich nunmehr – teilweise ins Georgische übersetzt – in einer Datenbank finden. Hinzu kamen Seminare für Richterinnen und Richter, um eine Bezugnahme auf die Urteile des EGMR methodisch zu trainieren.

Zahlreiche Aktivitäten im Berichtsjahr richteten sich daneben an juristisches Personal der Gerichte (Assistentinnen und Assistenten der Richter sowie Angehörige des wissenschaftlichen Dienstes), da deren Kompetenzen für die Qualität der Rechtsprechung von hoher Relevanz sind, was in der Vergangenheit zu wenig berücksichtigt wurde.

Eine wichtige Reform des vergangenen Jahres war die Einführung eines IT-Systems zur Geschäftsverteilung bei Gericht, ähnlich dem Geschäftsverteilungsplan eines Gerichts in Deutschland. Hintergrund für dieses elektronische Geschäftsverteilungssystem ist es, mögliche Einflussnahmen bei der Zuteilung von Verfahren innerhalb der Gerichte zu unterbinden und damit die Unabhängigkeit der Justiz in Georgien zu stärken. Das System trat am 31. Dezember 2017 für ganz Georgien in Kraft und wird generell für gut und sinnvoll befunden. Noch bestehen allerdings viele zum Teil technische Probleme, deshalb wird das System weiter evaluiert und verbessert.

EU-Technical-Assistance-Projekt: Facility for the Implementation of the Association Agreement in Georgia

Die IRZ implementierte seit Juli 2015 unter Federführung des belgischen Partners IBF dieses EU-Projekt in Georgien mit einem Budget von 2 Millionen Euro, das im Dezember 2018 seinen offiziellen Abschluss fand.

Der hauptbegünstigte Partner, die georgische Regierungskommission für EU-Integration, wurde durch das Projekt bei der Umsetzung der bilateralen Abkommen der EU mit Georgien (Assoziierungsabkommen, Freihandelsabkommen, Abkommen zur Visa-Liberalisierung und Assoziierungsagenda) begleitet. Ein weiteres Ziel des Projekts war die Umsetzung von institutionellen Reformen, welche im Rahmen der Implementierung der bilateralen Abkommen erforderlich sind. Außerdem unterstützte das Projekt die Weiterentwicklung und Umsetzung der Kommunikations- und Informationsstrategie der georgischen Regierung im Zusammenhang mit den bilateralen Abkommen zwischen der EU und Georgien.

  • Insgesamt wurden im Rahmen der Komponente 1 zehn verschiedene Schulungsaktivitäten, Workshops oder sonstige Veranstaltungen durchgeführt, unter anderem zu Betrugsbekämpfungsmaßnahmen, zu den Bereichen Kultur, Notfallmanagement, Öffentlichkeitsarbeit und Präsentation, Außenhilfeinstrumente und zur Außenpolitik Georgiens.
  • Im Rahmen der zweiten Projektkomponente fanden eine Reihe von Schulungen zur praktischen Umsetzung des Legal-Assessment-Handbuchs und der Leitlinien für Georgien statt, mit dem Ziel, das Wissen über den Prozess der rechtlichen Annäherung durch sektorspezifische Aktivitäten zum Kapazitätsaufbau zu konsolidieren.
  • Im Rahmen der Aktivitäten unter Komponente 3 (Umsetzung der Kommunikations- und Informationsstrategie von EU und Georgien) wurde eine landesweite Info-Kampagne implementiert. Das Projekt war zudem bei der Ausarbeitung des Aktionsplans für die Kommunikationsstrategie 2018 über die Mitgliedschaft Georgiens in der EU und der NATO für 2017 bis 2020 beteiligt.

EU-Technical-Assistance-Projekt: Legislative Impact Assessment, Drafting and Representation

Im August 2018 wurde dieses seit April 2015 laufende EU-Projekt erfolgreich abgeschlossen. In dem internationalen Konsortium unter der Federführung von IBF aus Belgien war neben der IRZ ebenfalls CILC aus den Niederlanden als Juniorpartner beteiligt. Die Projektlaufzeit betrug vierzig Monate, und das Budget belief sich auf ca. 2 Millionen Euro.

Hauptbegünstigter war das georgische Justizministerium unter Mitwirkung weiterer staatlicher Institutionen Georgiens. Das Projekt war gegliedert in die drei folgenden Komponenten:

  1. Stärkung der Kapazitäten der in Entscheidungsprozessen und Gesetzgebung relevanten staatlichen Akteure, mit besonderem Schwerpunkt beim georgischen Justizministerium;
  2. Unterstützung des Justizministeriums in seinen repräsentativen Funktionen gegenüber internationalen Gerichten und Organisationen;
  3. Stärkung und Weiterentwicklung des Zentrums für Übersetzungen von georgischen Gesetzestexten in die englische Sprache bzw. von EURechtsakten, die Georgien betreffen, in die georgische Sprache.

Innerhalb der Projektkomponenten wurden über einhundert Aktivitäten durchgeführt. Darunter zahlreiche Trainings für Abgeordnete, Regierungsvertreterinnen und Regierungsvertreter sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Justizministeriums.

Neben der Erstellung von Leitlinien und einem Handbuch zur Annäherung der Rechtsvorschriften an den EU-Acquis, wurden im Rahmen des Projekts außerdem umfassende Methoden und Konzepte zur Gesetzesfolgenabschätzung und Richtlinien zur Verbesserung der Kapazitäten der Regierung in den Gesetzgebungs- und Entscheidungsprozessen entwickelt.

In dem Projekt wurden umfassende Schulungen und Trainings of Trainers zur Angleichung der Rechtsvorschriften und Gesetzentwürfe implementiert und zu verschiedenen Themenstellungen Strategiepapiere erstellt, die Einsichten und Empfehlungen zu den Grundzügen zukünftiger Reformen geben sollen.

Um eine Nachhaltigkeit der Projektergebnisse zu gewährleisten, ist es wünschenswert, dass die derzeitigen Bemühungen der Regierung fortgesetzt werden und dass im Rahmen des Projekts spezialisierte Trainerinnen und Trainer zukünftig als Multiplikatoren fungieren.

Ausblick

Es sollen einige wichtige Vorhaben, wie etwa die Erarbeitung eines Formularhandbuchs für die Richterschaft und Staatsanwaltschaft weiterverfolgt werden, um sie zu einem guten Abschluss zu bringen. Zudem wird erwogen, die bewährte Zusammenarbeit mit der Anwaltskammer auszubauen. So könnten etwa im Rahmen der anwaltlichen Ausbildung, für die die georgische Kammer verantwortlich ist und die derzeit grundlegend reformiert wird, Kurse deutscher Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte als fester Bestandteil integriert werden.

Im EU-Projekt zur Reform der Justiz steht eine Vielzahl von Aktivitäten an. So wird der Oberste Justizrat noch stärker bei der Umsetzung der Justizreformstrategie unterstützt werden, zudem soll die Justiz landesweit über die Inhalte und Bedeutung dieser Strategie informiert werden. Auch sollen die Gewinnung und Verwaltung des Personals in der Justiz durch einheitliche, klare Standards und Leitlinien auf eine neue Grundlage gestellt werden.