Vietnam - Jahresbericht 2017
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- Veröffentlicht: Freitag, 01. Juni 2018
Rechtspolitische Ausgangslage
Die IRZ realisiert seit 2010 Projekte im Rahmen des deutsch-vietnamesischen Rechtsstaatsdialogs, der 2008 zwischen dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und dem vietnamesischen Justizministerium aus der Taufe gehoben wurde. Ziel der Rechtsstaatsinitiative des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz ist es, durch ein besseres Verständnis der vietnamesischen Traditionen und Kultur einen gemeinsamen Beitrag zur Durchsetzung von rechtsstaatlichem Denken und Handeln zu leisten, das den effektiven Schutz der Menschenrechte einschließt. Zuletzt wurde im April 2015 ein neues Dreijahresprogramm erarbeitet mit einer Laufzeit bis April 2018.
Seit Inkrafttreten der neuen Verfassung am 1. Januar 2014 wurden in Vietnam Reformbemühungen zur Umsetzung menschenrechtlicher Garantien in Gang gesetzt. Vor diesem Hintergrund setzte die IRZ im Rahmen ihrer intensiven bisherigen Kooperation mit den Partnerinstitutionen Maßnahmen zur Förderung eines Dialogs zu Rechtsstaatlichkeit und unabhängiger Justiz als elementare Bestandteile des Menschenund Grundrechtsschutzes um. Die 2015 erarbeiteten Änderungen der vietnamesischen Strafprozessordnung und des Strafgesetzbuchs, deren Umsetzung zum 1. Januar 2018 erfolgt ist, bestätigen die Tendenz, den Grundrechten mehr Geltung verschaffen zu wollen.
Konzeption
Ein Fokus der IRZ liegt weiterhin auf der Stärkung der Grund- und Menschenrechte in Vietnam. Mit dem langjährigen Partner, dem Vietnamesischen Institut für Menschenrechte (VIMR), wurde auch im Berichtsjahr die seit 2011 bestehende Kooperation fortgeführt, die mit Mitteln des Auswärtigen Amtes gefördert wird. Den Schwerpunkt bildete die Umsetzung von verfassungsrechtlichen Vorgaben im Straf- und Strafprozessrecht. Dazu erhielten die Teilnehmer anlässlich einer Studienreise einen umfassenden Einblick in die deutsche Praxis. Außerdem fand ein Besuch beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg statt, um die zentrale Institution zur Durchsetzung der Europäischen Menschenrechtskonvention vorzustellen. Ergänzend wurde eine dreitägige Veranstaltung in Can Tho unter Beteiligung deutscher Experten gemeinsam mit Juristinnen und Juristen aus Praxis und Wissenschaft sowie von staatlichen Institutionen aus Vietnam organisiert. Im Mittelpunkt standen dabei die deutschen Erfahrungen bei der Implementierung von demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen in einem Strafjustizsystem, in dem Menschenrechte und Grundfreiheiten einen hohen Stellenwert genießen.
Die Rechtsanwaltskammer ist ein langjähriger Partner, mit dem in jüngster Vergangenheit die Zusammenarbeit intensiviert wurde. Von anhaltendem Interesse ist die institutionelle Selbstverwaltung, die bei den Projekten im Berichtsjahr thematisiert wurde. Außerdem bildeten die Regelungen der neuen vietnamesischen Strafprozessordnung einen Schwerpunkt. Grund ist, dass das novellierte Verfahrensrecht die Rechte der Strafverteidigung detaillierter, konkreter und weitergehender als bisher fasst. So können hier die erstmals geregelte Unschuldsvermutung oder die Anforderungen an eine Pflichtverteidigung als bedeutend genannt werden. Da schon im Geltungsbereich der alten Strafprozessordnung Verstöße durch die Strafverfolgungsbehörden oder durch die Gerichte keine Folgen nach sich zogen, ist die Wahrnehmung der durch die neuen Bestimmungen eingeräumten Rechte umso bedeutsamer. Sie stellt aber auch eine bemerkenswerte Herausforderung dar.
Der reformierten Strafprozessordnung wurde auch ein Workshop mit der Justizakademie gewidmet. Bei dieser zentralen Ausbildungseinrichtung mit praxisorientiertem Fokus für angehende Mitglieder der Richterschaft, der Staatsanwaltschaft, der Rechtsanwaltschaft, des Notariats sowie für andere juristische Berufsträgerinnen und -träger besteht in diesem Bereich ein besonderer Bedarf. Im Einzelnen ging es bei der Veranstaltung um besondere Untersuchungsmethoden und die neuen Regelungen wurden mit Blick auf die deutsche Erfahrung rechtsvergleichend diskutiert.
Weitere Aktivitäten zum Strafrecht wurden mit dem Ministerium für Öffentliche Sicherheit in Hanoi durchgeführt. Themen waren die mit der neuen Strafprozessordnung eingeführte Pflicht zur Videovernehmung sowie Opferrechte und Zeugenschutz. Die Teilnehmer gehörten den Abteilungen an, die die Aufsicht über verschiedene polizeiliche Ermittlungsbehörden innehaben.
Die Jugendgerichtsbarkeit war Gegenstand eines Seminars mit dem Obersten Volksgericht. Diese spezielle Justiz befindet sich in Vietnam noch in den Anfängen – es gibt erst ein Jugendgericht in Ho-Chi-Minh-Stadt. Die Bestrebungen zum Ausbau einschließlich einer gezielten Richterfortbildung werden seit einiger Zeit verstärkt verfolgt und wurden lebhaft mit den deutschen Richterkollegen diskutiert. Darüber hinaus leistete die IRZ Unterstützung für einen Arbeitsbesuch in Berlin, bei dem sich die Delegation unter Leitung der stellvertretenden Gerichtspräsidentin mit Themen zur Gerichtsorganisation befasste.
Im Bereich Zivil-/Familienrecht konnte die IRZ in diesem Jahr erstmalig die nichtstaatliche Organisation „Center for Consulting on Legal and Policy on Health“ mit einem Workshop zur Beratung für das Transgendergesetz unterstützen. Hintergrund war, dass zu Beginn des Jahres 2017 neue Regelungen des Zivilgesetzbuchs in Kraft traten, die einen stärkeren Schutz von Grundrechten vorsehen, indem für Transgender ein eigenes Gesetz vorgesehen ist.
Tätigkeitsschwerpunkte 2017
Verfassungsrecht/Menschenrechte und deren Durchsetzung
- Rechtsvergleichende Konferenz zu den verfassungsrechtlichen Implikationen für das Straf- und Strafprozessrecht; gefördert durch das Auswärtige Amt (AA) in Can Tho
- Studienreise einer Delegation des Vietnamesischen Instituts für Menschenrechte (VIMR) nach Frankfurt/M. und Straßburg/Frankreich; gefördert durch das Auswärtige Amt (AA)
Straf- und Strafvollzugsrecht
- Workshop zu besonderen Untersuchungsmethoden gemäß dem novellierten Strafprozessrecht mit der Justizakademie in Hanoi
- Workshop zu ausgewählten Aspekten des novellierten Strafrechtsgesetzes (rechtsvergleichend zum deutschen Strafrecht) mit der vietnamesischen Rechtsanwaltskammer in Hanoi und Can Tho
- Workshop zu Regelungen zum Opferschutz innerhalb des Strafverfahrens und Einsatz von Videotechnologie in Strafverfahren unter besonderer Berücksichtigung von Beweissicherung und Opferschutz mit dem Ministerium für Öffentliche Sicherheit in Hanoi
- Workshop zur Verbesserung der Effektivität und Leistungsfähigkeit von Familien- und Jugendgerichten mit dem Obersten Volksgericht in Hanoi
Zivilrecht
- Workshop für die Beratung zum Transgendergesetzvorhaben mit dem Center on Legal and Policy on Health in Hanoi
Rechtspflege
- Studienreise zu ausgewählten Aspekten des Rechts der juristischen Berufe (Fachanwaltsmodell, Organisation von Rechtsanwaltskanzleien etc.) mit der vietnamesischen Rechtsanwaltskammer nach Berlin
- Kooperation mit der vietnamesischen Rechtsanwaltskammer und Teilnahme am 3. Internationalen Anwaltsforum mit vietnamesischen Kammervertretern nach Berlin
- Studienreise zur Gerichtsorganisation, Richterbesoldung und -ernennung mit dem Obersten Volksgericht nach Berlin
Aus- und Fortbildung
- Entsendung von zwei vietnamesischen Studentinnen zur „IRZ-Sommerschule Deutsches Recht“ nach Bonn
- Fachübersetzung des Strafgesetzbuchs und Strafprozessrechts aus dem Vietnamesischen ins Deutsche
Ausblick
Die IRZ strebt an, auf den bisher thematisierten Rechtsgebieten wie Strafrecht, Strafverfahrensrecht und Gerichtsorganisation mit den entsprechenden Kooperationspartnern weiter tätig zu sein. Mit dem geplanten Inkrafttreten des novellierten materiellen und prozessualen Strafrechts wird es weiterhin viel Beratungsbedarf in der Rechtsanwendung geben, insbesondere mit Blick auf die systematische Bearbeitung. Hierfür greift die IRZ auf bewährte Formate mit den Projektpartnern zurück, um die jeweilige Perspektive aus verschiedenen juristischen Berufen differenziert zu vertiefen.