Vietnam – Jahresbericht 2023

Strategische Rahmenbedingungen

Rechtspolitische Ausgangslage

Das politische System mit dem Machtmonopol der Kommunistischen Partei besteht unverändert fort, sorgt für Stabilität und wurde zu Beginn des Jahres auch nicht durch den Rücktritt des Staatspräsidenten und von zwei stellvertretenden Ministerpräsidenten im Zusammenhang mit Korruptionsvorwürfen – ein einmaliger Vorgang – infrage gestellt. Im März übernahm Vo Van Thuong das Amt des Staatspräsidenten.

Die seit 2021 weiterentwickelte Strategie zum Aufbau und zur Vervollkommnung des sozialistischen Rechtsstaats bis 2030 mit Vision bis 2045 prägt die staatlichen Programme und die daraus resultierenden Vorgaben für die Regierungsinstitutionen. Ziele sind: Verbesserung des Mechanismus zur Kontrolle der Staatsmacht, Stärkung der Verwaltungsreform, Aufbau eines schlanken, effizient arbeitenden Staatsapparats und Beschleunigung der Justizreform.

Bis 2045 wird der Status eines High Income Country gemäß Klassifikation der Weltbank angestrebt. Dies wird unterstützt durch die sukzessive Integration in das globale Handels- und Investitionssystem, was zu einer stärker marktorientierten Wirtschaft führt. Die entsprechenden Reformen umfassen die Teilprivatisierung von Staatsbetrieben, die Liberalisierung des Handels und die zunehmende Anerkennung privater Eigentumsrechte.

Konzeption

Die IRZ führt ihre Projekte innerhalb des deutsch-vietnamesischen Rechtsstaatsdialogs durch, den das Bundesministerium der Justiz mit dem vietnamesischen Justizministerium 2009 vereinbarte. 2022 zeichneten die beiden Ministerien das fünfte Dreijahresprogramm, in dem die Themenfelder Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte erfreulicherweise stärkere Schwerpunkte als je zuvor erfahren. Das Programm enthält nun ein dediziertes Kapitel rund um den Pakt für bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) und – neben der Fortsetzung wichtiger Themenschwerpunkte aus dem vierten Dreijahresprogramm (unter anderem Stärkung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, Jugendstrafrecht, Folterverbot, Stärkung der Rechte transgeschlechtlicher Menschen, Todesstrafe) – neue Themenschwerpunkte wie nachhaltige und faire Lieferketten und Zugang zur Justiz. Ferner werden geopolitische Fragen beispielsweise mit neuem Themenschwerpunkt Seerecht / Internationaler Seegerichtshof (ITLOS) berücksichtigt. Bei einem Besuch in Hanoi brachte die Staatssekretärin im Bundesministerium der Justiz, Dr. Angelika Schlunck, ihre Anerkennung für die langjährige Kooperation zum Ausdruck. Mit Justizminister Le Thanh Long tauschte sie sich über die rechtsstaatliche Perspektive und die Erwartungen für die Inhalte der gemeinsamen Projekte aus. In den Gesprächen beim Obersten Volksgericht ging es um die Unabhängigkeit der Justiz und justizielle Reformen wie E-Justice. Gegenstand des Treffens in der Hanoi Law University war die langjährige Zusammenarbeit im Rechtsstaatsdialog zur juristischen akademischen Ausbildung.

Vor dem Hintergrund der langfristig angelegten rechtspolitischen Vorhaben ergibt sich ein breites Spektrum der internationalen Rechtsberatung. Dazu setzt die IRZ Maßnahmen mit verschiedenen Partnern aus dem jährlichen Arbeitsprogramm um. Einen Schwerpunkt bildeten mehrere Beratungen sowie eine Studienreise zum Jugendstrafrecht, für das eine Modernisierung bestehender strafrechtlicher Regelungen und die Verabschiedung eines eigenen Jugendgerichtsgesetzes geplant ist. In mehreren Workshops mit dem Obersten Volksgericht und der Obersten Volksstaatsanwaltschaft wurde der Gesetzesentwurf des Jugendgerichtsgesetzes diskutiert sowie Ziele des Jugendstrafrechts und alternativer Sanktionierung (Diversion) erörtert. Der von der IRZ erstellte Schulungsfilm „Raub einer Weste und seine Folgen: eine Hauptverhandlung im Jugendstrafverfahren“ konnte die Besonderheiten des Jugendstrafrechts, insbesondere die Beteiligung der Jugendgerichtshilfe und die Rechtsfolgen von Straftaten, anschaulich vermitteln. Die Kooperationspartner werden den Film zukünftig für die Weiterbildung in den eigenen Akademien einsetzen.

Die Zusammenarbeit mit der Rechtsanwaltschaft erfolgte gemeinsam mit der Bundesrechtsanwaltskammer und widmete sich der Strafverteidigung, ein konstant aktueller Themenkomplex. Die Ausübung der Rechte von Strafverteidigerinnen und Strafverteidigern gelingt nicht im vollen Umfang, die Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden ist häufig herausfordernd.

Hervorzuheben sind auch die erstmals durchgeführten Evaluierungsgespräche zum Dreijahresprogramm 2019 bis 2022. Dazu hatten das Bundesministerium der Justiz und das vietnamesische Justizministerium die beteiligten vietnamesischen und deutschen Partner eingeladen, um über ihre Erfahrungen zu berichten und Anregungen für die Zukunft auszutauschen. Die Projektpartner nutzten diesen Dialog, um zu den unterschiedlichen Modalitäten zur Implementierung der Projekte offen zu diskutieren.

Tätigkeitsschwerpunkte 2023

Zivil- und Wirtschaftsrecht

  • Präsenz-Workshop zum neuen Gesetz zur Gesundheitsversorgung mit dem Center for Consulting on Legal and Policy on Health and HIV/ AIDS (CCLPHH) einschließlich Austausch zum Gesetzgebungsprojekt zur Stärkung der Rechte für transgeschlechtliche Menschen, Hanoi.

Öffentliches Recht

  • Präsenz-Vorlesung zum Verfassungs- und Verwaltungsrecht mit der Vietnam National University (VNU), Hanoi

Rechtspflege

  • Studienreise nach Berlin zum anwaltlichen Berufsrecht und zu Aspekten der Strafverteidigung und des Strafvollzugs mit der vietnamesischen Rechtsanwaltskammer in Zusammenarbeit mit der Bundesrechtsanwaltskammer

Straf- und Strafvollzugsrecht

  • Präsenz-Seminar zum Verhaltenskodex/zu den Regelungen zur Integrität für Beamtinnen und Beamte und zur Gesetzgebung unter Berücksichtigung von Korruptionsprävention, in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium der Justiz, Hanoi
  • Präsenz-Workshop zur Berufspraxis der Strafverteidigung, insbesondere bei ausländischen Mandanten, mit der Rechtsanwaltskammer Hanoi in Zusammenarbeit mit der Bundesrechtsanwaltskammer, Hanoi
  • Präsenz-Workshop zum Ausbau der Kompetenzen für Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger in Wirtschaftsstrafsachen mit der Justizakademie in Zusammenarbeit mit der Bundesrechtsanwaltskammer, Hanoi
  • Präsenz-Workshop zu Aspekten der Strafverfolgung und Aufsicht von Strafverfahren unter Einbeziehung menschenrechtlicher Garantien für weibliche und jugendliche Straftäter – einschließlich Vorgaben für Verhöre – mit der Obersten Volksstaatsanwaltschaft, Hanoi.
  • Präsenz-Workshop zum Jugendstrafrecht unter Einbeziehung des Schulungsfilms „Raub einer Weste und seine Folgen – eine Hauptverhandlung im Jugendstrafverfahren“ mit dem Obersten Volksgericht in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium der Justiz, Hanoi
  • Landesweite Konferenz (Präsenzformat) zum Jugendstrafrecht unter Einbeziehung des Schulungsfilms zum Jugendstrafverfahren mit dem Obersten Volksgericht; landesweite Übertragung an alle Gerichte mit ca. 11.000 erreichten Personen, Hanoi
  • Studienreise nach Berlin zum Jugendstrafrecht mit den Schwerpunkten Beweisrecht, Prozessvertretung Minderjähriger und alternative Sanktionierung für die Justizakademie.

Aus- und Fortbildung

  • Online-Training für die Justizakademie im Rahmen des Juristennachwuchsprogramms zur internationalen Integration: Managementfähigkeiten und Kanzleimarketing für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in Zusammenarbeit mit der Bundesrechtsanwaltskammer

Ausblick

Mit der Verabschiedung eines neuen Arbeitsplans durch das deutsche und das vietnamesische Justizministerium wird die IRZ die bestehenden Beratungen fortsetzen. Themenschwerpunkte sollen wirtschaftsrechtliche

Beratungen, Reformen in der Gerichtsorganisation, Tagungen zum Jugendstrafrecht, zu anwaltlicher Ethik sowie ein internationaler Erfahrungsaustausch zur perspektivischen Abschaffung der Todesstrafe sein.