Nordmazedonien - Jahresbericht 2019
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- Veröffentlicht: Mittwoch, 01. Juli 2020
Strategische Rahmenbedingungen
Rechtspolitische Ausgangslage
Das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen zwischen Nordmazedonien und der EU ist seit April 2004 in Kraft, seit Dezember 2005 besitzt das Land den Status eines EU-Beitrittskandidaten. Zwischen 2015 und Mai 2017 durchlebte Nordmazedonien eine große politische Krise, nachdem zehntausende von Abhörprotokollen bekannt wurden und es zu Massenprotesten kam. Nach einem Regierungswechsel und der Beilegung des Namensstreits mit Griechenland im Jahr 2019 hoffte das Land auf einen baldigen Beginn der Beitrittsverhandlungen mit der EU, der jedoch wegen Frankreichs Veto ausblieb. Daraufhin verkündete die gegenwärtige Regierungskoalition vorgezogene Neuwahlen, die im Laufe der Jahres 2020 stattfinden sollen.
Konzeption
Die IRZ begann ihre Aktivitäten in Nordmazedonien im Jahr 2000 im Rahmen des Stabilitätspakts für Südosteuropa und verstärkte sie erheblich in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts. Partner der IRZ in Nordmazedonien sind das Justizministerium, das Verfassungsgericht, die Akademie für Richterinnen, Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, die Regierungsvertreterin vor dem EGMR, die Nichtregierungsorganisation „Institut für Demokratie“ sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der juristischen Fakultät in Skopje. Vor Ort vergrößerte die IRZ in den vergangenen Jahren die Zielgruppe ihrer Aktivitäten und deren Nachhaltigkeit durch juristische Publikationen in der Landessprache. Auch konnten Maßnahmen zur Gesetzgebungsberatung erneut aufgenommen werden, da man nach der Regierungsbildung im Jahr 2017 zeitnah Kontakte zum personell umgestalteten Justizministerium aufgebaut hatte.
Auf den zweiten Bericht einer kritischen EU-Analyse des mazedonischen Rechtswesens reagierte die IRZ umgehend. Seitdem fördert sie den juristischen Nachwuchs verstärkt mit Maßnahmen, bei denen die richterliche Unabhängigkeit und die effektive Prozessleitung im Mittelpunkt stehen. Diese Veranstaltungen wurden mit Projektfördermitteln des Auswärtigen Amts bestritten.
Tätigkeitsschwerpunkte 2019
Verfassungsrecht/Menschenrechte und deren Durchsetzbarkeit
- Expertentagung am Verfassungsgericht zum möglichen Inhalt eines in Nordmazedonien noch nicht bestehenden Verfassungsgerichtsgesetzes
- Workshop zur Bedeutung der Verfassungsbeschwerde sowie zu den rechtlichen Verfahren und organisationstechnischen Voraussetzungen ihrer Einführung in das Recht Nordmazedoniens
- Beteiligung zweier Richter des Verfassungsgerichts von Nordmazedonien an der in Zusammenarbeit mit dem montenegrinischen Verfassungsgericht veranstalteten Konferenz „Gewaltenteilung und Gleichgewicht zwischen den Gewalten“ in Podgorica
- Beteiligung von Richtern des Verfassungsgerichts von Nordmazedonien an der regionalen Verfassungsgerichtskonferenz zum Thema „Die Religionsfreiheit in der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung“ in Teslić, Bosnien und Herzegowina
- Herausgabe des achten Newsletters „Aktuelle Information zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte mit Bezug zu Nordmazedonien“ auf Mazedonisch und Albanisch in Zusammenarbeit mit der mazedonischen Regierungsvertreterin vor dem EGMR
- Workshop „Einführung der Verfassungsbeschwerde in Mazedonien“ mit der Nichtregierungsorganisation „Institut für Demokratie“
- Mitherausgabe eines Policy-Papers zur Verfassungsbeschwerde mit der Nichtregierungsorganisation „Institut für Demokratie“
- Expertengespräch und Erfahrungsaustausch einer ehemaligen mazedonischen Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mit dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, dem Auswärtigen Amt sowie dem Institut für Ostrecht in Regensburg
Zivil- und Wirtschaftsrecht
- Weiterbildungsseminare an der Akademie für Richterinnen, Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte „Pavel Shatev“ in Skopje:
- „Anwendung des Gesetzes zum Schutz vor Belästigung am Arbeitsplatz/Mobbing und des Gesetzes zur Verhütung und zum Schutz vor Diskriminierung“
- „Die zivilrechtliche Haftung von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten aus der Sicht der deutschen Rechtsprechung“
Rechtspflege
- Erstellung von Gutachten für das Justizministerium:
- zum Entwurf des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren
- zum Entwurf des Ordnungswidrigkeitengesetzes
- zur Frage der Voraussetzungen für die Einführung einer umfassenden Verfassungsbeschwerde in das mazedonische Recht
- Weiterbildungsseminare an der Akademie für Richterinnen, Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte „Pavel Shatev“ in Skopje:
- „Die Rolle der Gerichtspräsidenten als Behördenleiter bei der Verwaltung, dem Management, der Organisation und Personalführung“
- „Management und Organisation der Arbeit der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“
- Betrieb und Erweiterung der europarechtlichen Website www.evropsko-pravo.info
- Verbreitung von Fachpublikationen in verwandten Sprachen aus der Projektarbeit der IRZ
Straf- und Strafvollzugsrecht
- Beginn der Beratung der neu gegründeten Expertengruppe zur Reform des Strafgesetzbuchs
- Herausgabe einer Übersetzung der deutschen Strafprozessordnung (StPO) in Buchform mit fachlicher Einleitung
Aus- und Fortbildung
- Arbeitsbesuch junger Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte zur Justizpraxis in Deutschland im Rahmen des Projekts „Förderung des juristischen Nachwuchses in Nordmazedonien“
- Teilnahme mazedonischer Juristinnen und Juristen am zweiten regionalen Workshop „Aktuelles aus dem deutschen Recht“ für deutschsprachige IRZ-Alumni aus den Staaten Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien in Belgrad
- Popularisierung des deutschen und europäischen Rechts durch Unterstützung der juristischen Fakultät Skopje, der Akademie für Richterinnen, Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte „Pavel Shatev“ und des Instituts für Demokratie in Skopje mit entsprechender Literatur
Von der Europäischen Union finanzierte Projekte
EU-Twinning-Projekt: Building of the institutional capacity of the Investigative Centres
Seit Mai 2019 leitet die IRZ das EU-Twinning-Projekt zum Aufbau von Ermittlungszentren (Investigative Centres) in den Staatsanwaltschaften in Nordmazedonien. Juniorpartner in dem auf 24 Monate angelegten Projekt mit einem Budget von 1 Million Euro ist das kroatische Justizministerium. Im Einklang mit aktuellen Reformbestrebungen der Regierung Nordmazedoniens verfolgt das Projekt das Ziel, die nationalen Behörden im Kampf gegen organisierte Kriminalität und Korruption zu unterstützen und ihre Kompetenzen durch die Einrichtung von gemeinsamen Ermittlungszentren an den Staatsanwaltschaften in Skopje, Kumanovo und Tetovo zu stärken. Zentrale Komponenten sind dabei:
- Verbesserung von Organisationsstrukturen und Arbeitsabläufen,
- Fortbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Staatsanwaltschaft, Polizei, Zoll und Steuerfahndung,
- Vernetzung der Behörden,
- Intensivierung der Zusammenarbeit der Behörden auf nationaler und internationaler Ebene.
In den ersten sechs Monaten konnten Expertinnen und Experten des Projekts gemeinsam mit den mazedonischen Partnern erste Analysen der Lage vor Ort vornehmen und rechtliche Rahmenbedingungen der zu errichtenden Zentren ausloten. Kooperationsvereinbarungen wurden mit den beteiligten nationalen Behörden und Ministerien vorbereitet und Beratungen zum personellen Aufbau und zur technischen Ausstattung der Investigative Centres durchgeführt. Im weiteren Verlauf des Projekts sollen Verfahrensregeln zum Aufbau und zur Funktionsweise der Zentren ausgearbeitet werden. Durch spezifische Ausbildungsmaßnahmen sollen die Expertinnen und Experten des Projekts darüber hinaus die Ermittlungskompetenzen der beteiligten Bereiche ausbauen und so eine effektive nationale wie internationale Zusammenarbeit langfristig fördern.
Das Projekt knüpft thematisch an das ebenfalls von der IRZ 2019 durchgeführte EU-Twinning-Light-Projekt „Strengthening the capacities of the authorized bodies for fight against crime“ an (siehe unten). Es nutzt die Ergebnisse dieses Projekts und wird die erfolgreiche Zusammenarbeit mit den bereits geschulten Ermittlerinnen und Ermittlern fortsetzen.
EU-Twinning-Light-Projekt: Strengthening the capacities of the authorised bodies for fight against crime
Die IRZ konnte am 22. November 2019 das EU-Twinning-Light-Projekt erfolgreich abschließen. Innerhalb der Gesamtlaufzeit des Projekts, das die IRZ in Kooperation mit dem Justizministerium und der Staatsanwaltschaft Nordmazedoniens in nur acht Monaten implementierte, konnten alle wesentlichen Ziele im Bereich der Anwendung spezieller Ermittlungsmethoden erreicht werden, u.a. eine Einschätzung und Analyse des Strafprozessrechts, des Strafgesetzbuchs sowie des Gesetzes über vertrauliche Informationen. In mehreren Treffen und Rundtischgesprächen hatten deutsche Expertinnen und Experten mit mazedonischen Vertreterinnen und Vertretern der Staatsanwaltschaft, der Finanzpolizei, des Zolls und des Innenministeriums die bestehenden Probleme diskutiert und Empfehlungen für Gesetzesänderungen erarbeitet.
Im Rahmen der zweiten Komponente des Projekts ging es insbesondere darum, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der begünstigten Institutionen zu schulen. Hierfür entwickelten zwei deutsche Staatsanwälte ein Trainingsprogramm, das anschließend in zehn jeweils zweitägigen Trainings durch mazedonische Trainerinnen und Trainer angewandt wurde. Unterstützt durch deutsche und österreichische Staatsanwältinnen und Staatsanwälte bildeten sich in diesem Rahmen mehr als 100 Vertreterinnen und Vertreter der mazedonischen Staatsanwaltschaften fort.
Um einen Einblick in die praktische Arbeit der Anwendung spezieller Ermittlungsmethoden in Deutschland zu bekommen, reiste im Oktober 2019 eine Gruppe nordmazedonischer Ermittlerinnen und Ermittler nach Deutschland, um Gespräche bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf (Schwerpunktabteilung Organisierte Kriminalität und Wirtschaftskriminalität), dem Amtsgericht und Landgericht sowie dem Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen zu führen. Das Projekt konnte damit einen wesentlichen Beitrag zu den Reformbemühungen Nordmazedoniens im Hinblick auf mögliche EU-Beitrittsverhandlungen leisten.
EU-Twinning-Projekt: Strengthening of the penitentiary system and the probation service
Seit Ende August 2018 führt die IRZ dieses Projekt mit dem niederländischen Juniorpartner Center for International Legal Cooperation (CILC) durch. Innerhalb von 21 Monaten soll ein Bewährungshilfesystem entwickelt und die Zusammenarbeit zwischen staatlichen Institutionen und Nichtregierungsorganisationen im Bereich Bewährungshilfe und Resozialisierung verbessert werden. Zudem werden Vorschläge zur Stärkung der Kapazitäten des DES (Directorate for Execution of Sanctions) und anderer relevanter Akteure im Strafvollzugssystem sowie Kriterien und Verfahren für die Instandhaltung bestehender und neu errichteter Justizvollzugsanstalten erarbeitet.
In enger Kooperation mit der Abteilung für die Umsetzung von Strafmaßnahmen im Justizministerium Nordmazedoniens wurden 2019 Trainingsprogramme für die Führungskräfte im DES sowie in Justizvollzugsanstalten erstellt und im Rahmen von Fortbildungsseminaren angewendet. Des Weiteren entwickelten die Expertinnen und Experten des Projekts mit ihren mazedonischen Partnern passende Standardarbeitsanweisungen und Überwachungsmethoden, die mit den internationalen Normen und der europäischen Praxis im Einklang stehen.
Im September 2019 besuchte eine hochrangige Delegation des Ministeriums für Justiz, der Abteilung für Strafvollzug sowie von Justizvollzugsanstalten Nordmazedoniens Einrichtungen der Justiz des Landes Berlin. Der Schwerpunkt der Studienreise lag auf dem Besuch unterschiedlicher Justizvollzugsanstalten und auf einem Informations- und Erfahrungsaustausch mit Führungskräften des Berliner Justizvollzugs, der Justizverwaltung und unterschiedlichen Fachdiensten. Bis zum Ende des Projekts im Mai 2020 sind ein weiterer Studienbesuch nach Berlin und die Fortsetzung der Trainingsmaßnahmen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des mazedonischen Strafvollzugs vorgesehen. Des Weiteren werden neue Behandlungsprogramme für inhaftierte Jugendliche in den Justizvollzugsanstalten entwickelt sowie Programme überarbeitet, um diese anschließend in der Praxis einführen zu können.
Ausblick
Die IRZ wird sich in Nordmazedonien insbesondere im Bereich der Gesetzgebungsberatung intensiver in die geplante Justizreform einbringen, um so die Westbalkan-Strategie der EU zu verstärken. Darüber hinaus wird die IRZ sich auch weiterhin im Rahmen von EU-Projekten im Land engagieren. Die bewährten Maßnahmen der Aus- und Weiterbildung zur Verbesserung der Rechtsanwendung sollen fortgeführt werden. Außerdem plant die IRZ, die Zusammenarbeit mit dem Verfassungsgericht auszubauen.