Nordmazedonien – Jahresbericht 2020

Strategische Rahmenbedingungen 

Rechtspolitische Ausgangslage 

Das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der EU trat im April 2004 in Kraft. Von 2015 bis Mai 2017 durchlebte das Land seine tiefste politische Krise seit Beginn des Jahrtausends, als Zehntausende von Abhörprotokollen von Regierungsmitgliedern bekannt wurden. Infolgedessen kam es zu Neuwahlen, die 2017 nach langer Regierungsbildung zur Amtsübernahme einer neuen, reformfreudigen Koalition führten. Nach der Beilegung des Namensstreits mit Griechenland, der zum neuen Staatsnamen Nordmazedonien führte, hoffte das Land auf den seit Langem erwarteten Beginn der Beitrittsverhandlungen mit der EU (der Status als Beitrittskandidat besteht seit 2005) – bislang ohne Erfolg. Mitglied der NATO ist Nordmazedonien seit März 2020. Im Juli 2020 fanden – trotz der COVID19-Pandemie – Neuwahlen statt, welche die bestehende Reformregierung, wenn auch mit Verlusten, bestätigten. Nach dem Amtsantritt des neuen Justizministers Bojan Maricˇic´ vereinbarte er mit der IRZ für 2021 eine Ausweitung der beratenden Unterstützung bei Gesetzgebungsvorhaben.

Konzeption 

Die IRZ begann ihre Aktivitäten in dem Partnerstaat im Jahr 2000 im Rahmen des Stabilitätspakts und verstärkte sie seither kontinuierlich in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts. Partner der IRZ in Nordmazedonien sind das Justizministerium, das Verfassungsgericht, die Akademie für Richterinnen, Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte „Pavel Shatev“, der Regierungsvertreter vor dem EGMR, die Nichtregierungsorganisation „Institut für Demokratie“ sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Juristischen Fakultät in Skopje. Aufgrund der COVID-19-Pandemie ersetzte die IRZ im Berichtsjahr Präsenzveranstaltungen durch Online-Formate, abgerundet durch Publikationen.

Der im Oktober 2020 erschienene Länderbericht der Europäischen Kommission zeichnete im Allgemeinen eine positive Entwicklung – jedoch mit Hinweisen auf einen kontinuierlichen Reformbedarf innerhalb des Justizsystems. Die IRZ reagiert auf diese Analyse, indem die Förderung des juristischen Nachwuchses durch Maßnahmen, bei denen die richterliche Unabhängigkeit und die effektive Prozessleitung im Mittelpunkt stehen sowie Aktivitäten im Bereich des Verfassungsrechts, intensiviert wurden.

Tätigkeitsschwerpunkte 2020

Verfassungsrecht, Menschenrechte und deren Durchsetzbarkeit

  • Online-Fachgespräche mit dem Verfassungsgericht zum Inhalt sowie rechtlichen Verfahren und zu organisationstechnischen Voraussetzungen zur Einführung einer in Nordmazedonien noch nicht existenten Verfassungsbeschwerde
  • Beteiligung von Richterinnen und Richtern des Verfassungsgerichts von Nordmazedonien an einer virtuellen, regionalen Verfassungsgerichtskonferenz des Verfassungsgerichts von Bosnien und Herzegowina zum Thema „Sondervoten bei verfassungsrechtlichen Entscheidungen“
  • Direkte Beratung des Verfassungsgerichts Nordmazedoniens insbesondere zu COVID-19-Entscheidungen des deutschen Bundesverfassungsgerichts
  • Distribution übersetzter Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu verfassungsrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der COVID19-Pandemie und anderen verfassungsrechtlichen Themen
  • Herausgabe des neunten Newsletters „Aktuelle Information zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte mit Bezug zu Nordmazedonien“ auf Mazedonisch und Albanisch in Zusammenarbeit mit dem mazedonischen Regierungsvertreter vor dem EGMR
  • Online-Veranstaltungen zum Thema „Reform des Verfassungsgerichts“ mit der Nichtregierungsorganisation „Institut für Demokratie“

Rechtspflege

  • Zwei Online-Weiterbildungsseminare zu den Themen „Leitung der Gerichtsverhandlung in Zivilprozessen“ und „Richterliche Förderung von Vergleichen“ mit der Akademie „Pavel Shatev“
  • Pflege und Erweiterung der Internetseite www.evropsko-pravo.info mit von der IRZ mitherausgegebenen Publikationen auf Mazedonisch und in anderen Sprachen der Region
  • Verbreitung von Fachpublikationen in verwandten Sprachen aus der Projektarbeit der IRZ an ausgewählte Projektpartner

Straf- und Strafvollzugsrecht

  • Erstellung von Gutachten zur Reform des Strafgesetzbuchs von Nordmazedonien in den Bereichen:
    • Künstliche Elternschaft und Klonen
    • Computerkriminalität
    • Insolvenzstraftaten
    • Schutz von Wahlen
    • Terrorismusbekämpfung
    • Wirtschaftskriminalität
  • Beratung zur weiteren Entwicklung des normativen Rahmens als Grundlage eines funktionierenden Bewährungshilfesystems in Nordmazedonien durch Bereitstellung von Übersetzungen und Analysen
  • Beratung des Justizministeriums Nordmazedoniens zu Medien und Pressefreiheit

Aus- und Fortbildung

  • Online-Seminarreihe zum Thema „Justiz und Medien“ für Gerichtspräsidentinnen und Gerichtspräsidenten sowie Leiterinnen und Leiter von Staatsanwaltschaften
  • Beteiligung von Teilnehmenden aus Nordmazedonien an einer regionalen Online-Workshop-Reihe für deutschsprachige IRZ-Alumni aus den Partnerstaaten Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien zu den Themen:
    • Aktuelles aus dem deutschen Recht bezüglich der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf das deutsche Recht und die Rechte der Staaten in der Region
    • Arbeitsrecht in Deutschland
    • Schiedsgerichtsbarkeit in Deutschland am Beispiel der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS)
  • Popularisierung des deutschen und europäischen Rechts als Orientierungsrecht bei der Rechtstransformation durch Unterstützung verschiedener Partnerinstitutionen mit entsprechender Literatur

Von der Europäischen Union finanzierte Projekte 

EU-Twinning-Projekt: “Building of the institutional capacity of the Investigative Centres”

Seit Mai 2019 leitet die IRZ das Projekt zum Aufbau von Ermittlungszentren (Investigative Centres) in den Staatsanwaltschaften in Nordmazedonien. Juniorpartner des auf 24 Monate angelegten Projekts mit einem Budget von 1 Million Euro ist das kroatische Justizministerium. Im Einklang mit aktuellen Reformbestrebungen der Regierung Nordmazedoniens werden die nationalen Behörden im Kampf gegen organisierte Kriminalität und Korruption unterstützt und ihre Kompetenzen durch die Einrichtung gemeinsamer Ermittlungszentren an den Staatsanwaltschaften in Skopje, Kumanovo und Tetovo gestärkt. Zentrale Komponenten sind:

  • Verbesserung von Organisationsstrukturen und Arbeitsabläufen
  • Fortbildung der Staatsanwaltschaften, von Polizei, Zoll und Steuerfahndung
  • Vernetzung der Behörden
  • Intensivierung der Zusammenarbeit der Behörden auf nationaler und internationaler Ebene

Die Expertinnen und Experten der IRZ konnten gemeinsam mit den mazedonischen Partnern die Ermittlungszentren durch die Verbesserung regulatorischer Rahmenbedingungen zur Organisationsstruktur und Arbeitsmethodik unterstützen. Dies wurde unter anderem durch die Ausarbeitung von Standardarbeitsverfahren und die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Staatsanwaltschaften und den Strafverfolgungsbehörden mit Schwerpunkt auf den Ermittlungszentren erreicht. Zudem wurden Regelungen zum Austausch von Informationen und zum Zugang zu Datenbanken zwischen den Institutionen, wie beispielsweise dem Ministerium des Innern, der Zollverwaltung und der Finanzpolizei, entwickelt.

Darüber hinaus sollen die Expertinnen und Experten durch spezifische Ausbildungsmaßnahmen die Ermittlungskompetenzen der beteiligten Bereiche ausbauen und so eine effektive nationale wie internationale Zusammenarbeit langfristig fördern. Die Implementierung des Projekts musste im Mai 2020 wegen des Ausbruchs der COVID-19-Pandemie ausgesetzt werden und wird ab Januar 2021 weitergeführt. Primär sollen dann Schulungen vorbereitet und durchgeführt werden. Sie zielen auf eine Optimierung der Fähigkeiten von Ermittlerinnen und Ermittlern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten und juristischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Strafverfolgungsbehörden.

EU-Twinning-Projekt: “Strengthening of the penitentiary system and the probation service”

Zielsetzung dieses Twinning-Projekts ist die Stärkung des Strafvollzugssystems durch die Verbesserung der Kapazitäten der Abteilung für die Umsetzung von Strafmaßnahmen im Justizministerium Nordmazedoniens und weiterer relevanter Akteure sowie die Beratung zur Instandhaltung bestehender und neu zu errichtender Justizvollzugsanstalten. Auch soll ein Bewährungshilfesystem entwickelt und die Zusammenarbeit zwischen staatlichen Institutionen und Nichtregierungsorganisationen verbessert werden. Die IRZ führt das Projekt gemeinsam mit dem niederländischen Juniorpartner Center for International Legal Cooperation (CILC) seit August 2018 in enger Zusammenarbeit mit der Abteilung für die Umsetzung von Strafmaßnahmen im Justizministerium von Nordmazedonien (Directorate for Execution of Sanctions – DES) durch.

2020 wurden die Fortbildungsveranstaltungen für Führungskräfte der DES und der Justizvollzugsanstalten entsprechend der im vergangenen Jahr erstellten Trainingsprogramme fortgesetzt, so unter anderem die Einführung in die Anwendung des Risikoanalysesystems OSRA im Strafvollzug. Im Rahmen der Bewährungshilfe wurden in Seminaren die Voraussetzungen der Verhängung von Bewährungsstrafen und die Erfahrungen in den EU-Partnerstaaten in der Praxis dargestellt. Des Weiteren wurde Material für eine PR-Strategie erstellt, um sowohl der Bevölkerung als auch den Justizmitarbeiterinnen und -mitarbeitern die Möglichkeit alternativer Strafmaßnahmen näherzubringen und das Bewährungshilfesystem als eine wichtige Säule des Strafvollzugssystems zu etablieren.

Das Projekt wurde aufgrund der COVID-19-Pandemie und der hieraus resultierenden Nichtdurchführbarkeit von Veranstaltungen von Mai 2020 bis Anfang Dezember 2020 ausgesetzt. Damit die noch vorgesehenen Maßnahmen durchgeführt und die bislang erreichten Ergebnisse nachhaltig gesichert werden können, wurde eine Verlängerung der Projektlaufzeit um drei Monate beschlossen.

Ausblick

Die IRZ verfolgt das Ziel, sich insbesondere im Bereich der Gesetzgebungsberatung zukünftig noch mehr in die geplante Justizreform einzubringen, um dadurch die Westbalkanstrategie der EU stärker zu unterstützen. Daneben sollen die bewährten Maßnahmen der Aus- und Weiterbildung fortgeführt werden, um die Qualität der Rechtsanwendung zu erhöhen. Außerdem soll die Zusammenarbeit mit dem Verfassungsgericht ausgebaut werden, um die Schaffung eines Verfassungsgerichtsgesetzes und die Einführung einer Verfassungsbeschwerde zu fördern.