Am 28. Mai 2019 nahm die IRZ an einem Fachgespräch in Sarajewo zum Thema „Disziplinarrecht der Richter und Staatsanwälte“ bei der Disziplinarstaatsanwaltschaft für Richter und Staatsanwälte teil. Die Disziplinarstaatsanwaltschaft ist eine selbständige Organisationseinheit im Rahmen des Hohen Richter- und Staatsanwaltsrates. Empfangen wurde die IRZ von Disziplinarstaatsanwälten unter Leitung von Generaldisziplinarstaatsanwalt Mirza H. Omerović. Als deutsche Expertin nahm die Direktorin am Amtsgericht Wolfratshausen und Präsidentin des Bayerischen Richtervereins, Andrea Titz, an dem Fachgespräch teil.
Hintergrund der Veranstaltung sind die Empfehlungen der Venedig-Kommission, das Disziplinarrecht der Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in Bosnien und Herzegowina in wesentlichen Punkten zu ändern. Deshalb wollte man sich über die diesbezüglich in Deutschland geltenden Vorschriften und deren Umsetzung in der Praxis informieren.
Am 27. und 28. Mai 2019 führte die IRZ zusammen mit dem Zentrum für die Edukation der Richter und Staatsanwälte der Föderation Bosnien und Herzegowina (CEST BuH) eine zweitägige Veranstaltung zu den Themen „Richterliche Vorbereitung auf die Gerichtsverhandlung“ und „Verfahrensführung und Erlass von Entscheidungen“ durch. Örtlicher Ko-Referent war Adnan Baručija, Richter am Kantonsgericht in Zenica. Als IRZ-Expertin war Andrea Titz, Direktorin am Amtsgericht Wolfratshausen und Präsidentin des Bayerischen Richtervereins, dabei.
Im Rahmen dieser Veranstaltung wurden die Ähnlichkeiten und Unterschiede im Prozessrecht von Deutschland sowie Bosnien und Herzegowina herausgearbeitet. Zur Sprache kam auch die Annäherung des dortigen Zivilprozessrechts an die deutschen Regelungen am Beispiel der Neufassung des Artikels 7 der Zivilprozessordnung der Föderation Bosnien und Herzegowinas, der nun auch den Beibringungsgrundsatz vorsieht.
In der Veranstaltung wurde zudem ausführlich thematisiert, dass ein Zivilgericht verpflichtet sei, zum Abschluss von Vergleichen beizutragen, um die Verfahren zu beschleunigen. Im Mittelpunkt der Diskussion stand dementsprechend die Frage, in welchen Bereichen es gerechtfertigt ist, von Leitbild eines passiven bzw. aktiven Rechts zu sprechen. Am Beispiel des Ländervergleichs wurde aber auch deutlich, dass eine Änderung des Prozessrechts alleine nicht zu einer Beschleunigung der Verfahren führt, da hier weitere Faktoren eine wichtige Rolle spielen: dies sind u.a. die unterschiedlichen Mentalitäten der Richterinnen und Richter, der Parteien oder das anwaltliche Kostenrecht.
Dr. Stefan Pürner, Projektbereichsleiter der IRZ, während seines Vortrags, links neben ihm: Christian Sedat, ständiger Vertreter der Botschafterin in BiH; Emir Prcanović, Direktor der Vereinigung „Vaša prava BiH”; Rechtsanwältin Selma Demirović-Hamzić (v.r.n.l.) Bosnien und Herzegowina
Am 9. April 2019 fand in Sarajevo das Seminar „Arbeitsrechtliche Streitigkeiten – Die Anwendungspraxis der neuen arbeitsrechtlichen Vorschriften unter besonderer Berücksichtigung von Arbeitsschutz, Mobbing und Diskriminierung“ statt, das von der IRZ in Zusammenarbeit mit der Nichtregierungsorganisation „ Vaša Prava BiH” veranstaltet wurde. Vaša Prava BiH ist ein landesweites Netz von Büros für die rechtliche Beratung und Vertretung von Bedürftigen und Angehörigen von gefährdeten Gruppen (Legal Aid).
Nach der Eröffnung u.a. durch den Direktor von „Vaša prava BiH“, Emir Prcanović, und den Grußworten von Christian Sedat, Ständiger Vertreter der deutschen Botschafterin, folgten vier Referate, die verschiedene Aspekte des Themas beleuchteten und jeweils Anlass für intensive Diskussionen und einen ausführlichen Austausch von Erfahrungen und Meinungen gaben:
Ernis Imamović, Staatssekretär im Föderalen Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik, sprach zum Thema „Die normativen und dogmatischen Strukturen der Regelungen über die Antidiskriminierung in der neuen Arbeitsgesetzgebung Bosnien und Herzegowinas“.
Rechtsanwältin Selma Demirovic Hamzic, Sarajevo, gab einen Überblick über die Rechtsprechung im Bereich arbeitsrechtlicher Streitigkeiten und der Diskriminierung in Bosnien und Herzegowina.
Ahmet Salčin, Jurist bei „Vaša prava“ mit reicher forensischer Erfahrung im Arbeitsrecht insbesondere vor den Gerichten in Mostar, referierte zum Thema „Arbeitsrechtliche Streitigkeiten und Diskriminierungsverbot in BuH – Neue rechtliche Lösungen und effektiver Schutz“.
Prof. Dr. jur. Gerhard Ring, Technische Universität Bergakademie Freiberg und Autor mehrere Buchpublikationen zum Arbeitsrecht, stellte schließlich die deutsche Arbeitsrechtspraxis zu Fragen der Diskriminierung und des Mobbings dar.
Da die Juristinnen und Juristen von „Vaša Prava“ ihre Argumentation häufig auf die deutsche Rechtsprechungspraxis stützen, stieß der Beitrag von Professor Ring auf besonders großes Interesse.
Bei der Veranstaltung wurde deutlich, dass im Arbeitsrecht der Föderation Bosnien und Herzegowina große Rechtsunsicherheit besteht, die durch das Zusammenspiel zwischen einer inkonsistenten Gesetzgebung und einer uneinheitlichen Rechtsprechung verursacht wird. Prägnantestes Beispiel im Bereich der Gesetzgebung sind widersprüchliche Regelungen über die unterschiedlichen Fristen für das gerichtliche Vorgehen gegen Mobbing. Nach dem Arbeitsgesetz, das von der Föderation BuH als Entität erlassen wurde, muss eine betroffene Arbeitnehmerin oder ein betroffener Arbeitsnehmer innerhalb von fünfzehn Tagen ab Kenntniserlangung intern vom Arbeitgeber Abhilfe verlangen und danach innerhalb einer weiteren Frist von dreißig Tagen Klage erheben, wobei keine objektive Frist besteht. Das vom Gesamtstaat erlassene Antidiskriminierungsgesetz legt demgegenüber kein „Vorverfahren“ vor und legt eine subjektive Frist von drei Jahren sowie eine objektive Frist von fünf Jahren fest.
Auch eine Besonderheit des Arbeitsrechts in der Föderation Bosnien und Herzegowina wurde erwähnt. Nach dem Arbeitsgesetz besteht nämlich auch für private Arbeitgeber eine gesetzliche Höchstgrenze für den Jahresurlaub, den sie ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern durch Einzelvertrag einräumen können.
Besonders aktiv wurden verschiedene Fälle der Diskriminierung und des Mobbings diskutiert. Dabei wurde auch mitgeteilt, dass die meisten diesbezüglichen Klagen in der Praxis abgewiesen werden, was auch auf fehlende Kenntnisse der Anwaltschaft und der Richterschaft in dieser neuen Materie zurückgeführt wurde.