Trinationaler Erfahrungsaustausch zum HKÜ mit Marokko und Tunesien

Grafik: IRZ
Grafik: IRZ
Marokko / Tunesien

Am 5. November 2020 veranstaltete die IRZ gemeinsam mit dem marokkanischen und dem tunesischen Justizministerium einen Online-Erfahrungsaustausch zum Haager Übereinkommen vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ). Marokko ist seit 2010 Vertragsstaat des HKÜ . Die Bundesrepublik hat den Beitritt Marokkos bereits angenommen. Dieser Schritt steht bei Tunesien noch aus, das 2017 dem HKÜ beigetreten ist.

An dem Erfahrungsaustausch nahmen rund vierzig Vertreterinnen und Vertreter der Justizministerien und der Justiz beider Länder teil. Ebenfalls dabei war eine Vertreterin des Rechts-und Konsularreferats der Deutschen Botschaft in Rabat.

Für die IRZ begleiteten die Expertinnen Sabine Brieger, Richterin am Amtsgericht Pankow/Weißensee a.D. sowie Deutsche Verbindungsrichterin a.D., und Martina Erb-Klünemann, Richterin am Amtsgericht Hamm sowie Deutsche Verbindungsrichterin, die Veranstaltung.

Die Teilnehmenden tauschten sich zu folgenden drei Themenschwerpunkten aus:

  • Mechanismen und Instrumente in der nationalen Gesetzgebung zur Implementierung des HKÜ
  • Gerichtliche Rückführungsverfahren einschließlich Vollstreckung
  • Mediation in internationalen Kindschaftsverfahren

Zu den ersten zwei Themengebieten gab es jeweils Vorträge aus den beteiligten Ländern, um den aktuellen Stand der Entwicklungen darzustellen und sich über die gesammelten Erfahrungen auszutauschen. Zur Sprache kamen verschiedene Aspekte der praktischen Anwendung des Übereinkommens. Das HKÜ sieht beispielsweise die Unterstützung durch eine staatliche zentrale Behörde vor. In Deutschland übernimmt diese Funktion das Bundesamt für Justiz, wohingegen in Marokko und Tunesien das jeweilige Justizministerium als zentrale Behörde in internationalen Kindschaftsangelegenheiten zuständig ist. Die Teilnehmenden besprachen zudem die Besonderheiten der Verfahrensabläufe nach HKÜ. Abschließend stellte die deutsche Seite das Thema Mediation als Verfahrensweise im Zusammenhang mit dem HKÜ vor. Denn Mediation kommt bislang weder in Marokko noch in Tunesien zum Einsatz.

Die Regionalveranstaltung ermöglichte einen regen und vielseitigen Erfahrungsaustausch mit lebhaften Diskussionen. In Marokko und Tunesien besteht Interesse, Bedarf und der ausdrückliche Wunsch, die Zusammenarbeit fortzuführen und zu vertiefen. Deshalb plant die IRZ eine Folge-Veranstaltung für das kommende Jahr. Der Erfahrungsaustausch wurde durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz gefördert.

Online-Fachgespräch zum Verbraucherschutz während der Corona-Pandemie

Dr. Dorothee Weckerling-Wilhelm (rechts), Referatsleiterin im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und IRZ-Projektmanagerin Omolara Farinde
Dr. Dorothee Weckerling-Wilhelm (rechts), Referatsleiterin im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und IRZ-Projektmanagerin Omolara Farinde
Tunesien

Wie die Rechte von Verbraucherinnen und Verbrauchern auch während der Corona-Pandemie geschützt werden können und welche Regularien beim Ausbau der Verbraucherschutzgesetzgebung sinnvoll oder hinderlich sein können, war Thema eines Online-Fachgesprächs mit Verbraucherschützerinnen und Verbraucherschützern aus Deutschland und Tunesien am 10. Juli 2020. Als Expertin und Experten nahmen teil:

  • Ronny Jahn, Leiter Team Musterfeststellungsklage des Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (VZBV) 
  • Dr. Dorothee Weckerling-Wilhelm, Leiterin Referat V B 5 – Verbraucherinformation, Lebensmittelrecht, Bedarfsgegenstände, Produktsicherheit, im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz
  • Akrem Barouni, Rechtsberater und Vize-Präsident der tunesischen Verbraucherschutzvereinigung (Organisation de Défense du Consommateur/ODC)

Die Zusammenarbeit der IRZ mit Tunesien im Rahmen der institutionellen Zuwendung ist im gemeinsamen Arbeitsprogramm für den Zeitraum 2019 bis 2020 zwischen dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und dem tunesischen Justizministerium festgelegt. Bestandteil dieser Kooperation ist auch der Verbraucherschutz. Hier wird IRZ die Festigung institutionalisierten Verbraucherschutzes in Tunesien unterstützen und die bestehende Kooperation verstetigen.

Zur Situation

Der Verbraucherschutz sowie die Ausgewogenheit von Angebot und Nachfrage von Produkten des täglichen Bedarfs wurde in den letzten Monaten in Europa und Nordafrika auf die Probe gestellt. Es wurde einmal mehr deutlich, wie international verzahnt Handel, Güter- und Warenverkehr sowie das Angebot von Dienstleistungen sind und wie sich dies auf das Konsumverhalten der Bürgerinnen und Bürger auswirkt.

Die Organisation des Verbraucherschutzes ist in Deutschland und Tunesien sehr unterschiedlich. In Tunesien sind die Verbraucherschutzinstitutionen dezentral organisiert. Deren Verbände und Vereinigungen werden zum Teil auch nicht staatlich finanziert. Außerdem wurde das tunesische Verbraucherschutzgesetz seit seinem Inkrafttreten 1992 nicht mehr reformiert, obwohl seitdem z.B. der Online-Handel hinzugekommen ist und Tunesien seit 2014 auch eine neue, progressivere Verfassung hat.

Sowohl in Tunesien als auch in Deutschland hatte sich durch die Corona-Einschränkungen im März und April 2020 eine exponentiell hohe Nachfrage bestimmter Waren des täglichen Bedarfs ergeben. Gleichzeitig nahm der unlautere Wettbewerb beim Verkauf dieser Waren vor allem im Online-Handel zu und es kam zu einem starken Anstieg der Betrugsfälle in diesem Zusammenhang.

Das Expertengespräch

Vor diesem Hintergrund befasste sich das Online-Expertengespräch mit den Herausforderungen, die der Staat zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher zu bewältigen hatte und hat. Die Expertin und die Experten thematisierten mögliche Verbesserungen hinsichtlich der Gesetzgebung und des Krisenmanagements während der ersten Hochphase der Pandemie.

Sie waren sich einig, dass sich die Herausforderungen in Deutschland und Tunesien ähnelten. In der ersten Phase des sogenannten „Lockdowns“ habe es in beiden Ländern eine „Übernachfrage“ für bestimmte haltbare Lebensmittel (Nudeln und Mehl) und Hygieneartikel (Masken, Desinfektionsmittel und Toilettenpapier) gegeben. Sowohl in Deutschland als auch in Tunesien seien in diesem Zusammenhang mehr Diebstähle und Wucher verzeichnet worden. In Deutschland habe die Verbraucherzentrale deshalb Unternehmen und Personen wegen unlauteren Wettbewerbs abgemahnt, während in Tunesien solche Fälle sogar strafverfolgt worden seien.

Während des Gesprächs stellten die Expertin und die Experten klar, dass es sich bei der nicht ausreichenden Verfügbarkeit an Waren nicht etwa, wie oft beschrieben, um Liefer- oder Versorgungsengpässe gehandelt habe. Vielmehr hätten Verbraucherinnen und Verbraucher entgegen ihrer üblichen Gewohnheit Produkte im Übermaß „gehamstert“, so dass Supermärkte sogar die Anzahl eines Produkts beim Kauf beschränkt hätten, um die Versorgung möglichst aller zu gewährleisten.

Durch die Absage von Reisen oder anderen Freizeitangeboten sei es in Deutschland in einer zweiten Phase zu vielen Rückforderungen von Verbraucherinnen und Verbrauchern gekommen, die Reise- und Flugunternehmen, Konzertveranstalter oder andere Freizeitunternehmen nicht immer finanziell hätten leisten können. In diesem Zusammenhang führte Dr. Weckerling-Wilhelm aus, wie das EU-Recht und die Richtlinie zum Verbraucherschutz durch den Anspruch auf Rückerstattung die Verbraucherinnen und Verbraucher schütze, aber in der aktuellen Krisensituation einzelne Unternehmen an die Grenzen ihrer Liquidität führe. Die Expertin wies darauf hin, dass der Verbraucherschutz auch erst seit den 1970er Jahren im deutschen Zivilrecht präsent sei und das Ziel des Verbraucherschutzes immer der Schutz vor systemischem Ungleichgewicht sei. Im Rahmen der Krise sei jedoch deutlich geworden, dass dieses Ungleichgewicht zwischen Verbraucherinnen und Verbrauchern und „übermächtigen“ Unternehmen wie etwa der Lufthansa oder VW nicht mehr gegeben sei. Die EU- Richtlinie stelle zudem ein zusätzliches Rechtsregime dar, das den Verbraucherschutz in Deutschland im Vergleich zu Tunesien stärke.

Der Vertreter der tunesischen Verbraucherschutzvereinigung, Akrem Barouni, interessierte sich besonders für die Finanzierung der deutschen Verbraucherschutzinstitutionen und machte dabei deutlich, dass eine staatliche finanzielle Förderung und eine Abkehr von Verbraucherschutztätigkeiten als ehrenamtliche Tätigkeit in Tunesien sinnvoll wären. Die meisten Mitglieder der tunesischen Verbraucherschutzverbände, führte Akrem Barouni aus, gehen hauptamtlich anderen Berufen nach. Dadurch hätten die tunesischen Verbraucherinnen und Verbraucher weniger Anlaufstellen und weniger Ansprechpersonen, die ihnen Recht verschaffen und Ansprüche durchsetzen könnten. Dies erkläre, wieso sich der unlautere Wettbewerb mit seinen tendenziell mafiösen Strukturen in Tunesien durchsetzen könne und warum er schwer zu kontrollieren sei. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Fachgesprächs waren sich darüber einig, dass eine reformierte und zudem zeitgemäße Gesetzgebung, die auch den Online-Handel stärker reguliert, Abhilfe schaffen könnte.

Online-Seminar „Apostille, neue Technologien und das Notariat“

Grafik: IRZ
Grafik: IRZ
Tunesien

Am 10. Juni 2020 organisierte die IRZ ein Online-Seminar mit dem Thema „Apostille, neue Technologien und das Notariat“. Die Online-Veranstaltung richtete sich an rund dreißig Notarinnen und Notare aus ganz Tunesien. Mitwirkende Expertinnen und Experten auf tunesischer und deutscher Seite waren:

  • Kais Kabada, Präsident der tunesischen Notarkammer,
  • Richard Bock, Justizrat und Vize-Präsident a.D. der Bundesnotarkammer,
  • Dr. Torsten Jäger, Notar,
  • Houcine Lagrem, Sekretär der tunesischen Notarkammer,
  • Dr. Peter Stelmaszczyk, Geschäftsführer der Bundesnotarkammer am Standort Brüssel, sowie
  • Sourour Abidi, Notarin.

Die Initiative für das Online-Seminar kam von der tunesischen Notarkammer wegen der Einschränkungen und Hürden, die sich durch die aktuelle rechtspolitische Lage während der Corona-Pandemie ergeben. Der Fokus der Veranstaltung lag auf den Herausforderungen, die durch Einschränkungen, Ausgangssperren, Schließungen und Abstandsregelungen für das Notariat entstanden sind. Dabei ging es darum, Lösungen für diese Herausforderungen zu finden. Außerdem diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Auswirkungen der Corona-Pandemie im Hinblick auf wirtschaftliche und privatrechtliche Belange. 

Da notarielle Beglaubigungen, die Verifizierung der Authentizität von Dokumenten, Siegeln, Unterschriften, Identitäten und Stempeln normalerweise fast ausschließlich in persönlicher Anwesenheit und gegen Vorlage der Originaldokumente vorgenommen werden, trifft die Corona-Pandemie den notariellen Rechtsverkehr hart. Viele Notariate waren von den Einschränkungen im Zuge der Krise betroffen und blieben geschlossen, sodass Bürgerinnen und Bürgern der Zugang zu Recht und Rechtsverkehr größtenteils verwehrt blieb.

Im Online-Seminar ging es deshalb um die individuell auftretenden Probleme im Notariat und im Rechtsverkehr in Tunesien und Deutschland sowie um mögliche Lösungen wie die E-Apostille. Zurzeit haben beide Länder noch einen wenig ausgeprägten digitalisierten Rechtsverkehr. Vor diesem Hintergrund diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die E-Apostille sowie die Gefahren, Vor- und Nachteile des digitalen Rechtsverkehrs. Sie sprachen an, wie die Sicherheit, Vertraulichkeit und Authentizität von Personen, Dokumenten und Inhalten gewahrt bleiben kann, ohne eine augenscheinliche Prüfung vorzunehmen. Außerdem ging es um das Risiko, Dokumente zu beglaubigen und zu legalisieren, bei denen es sich um Fälschungen handelt. Die Expertinnen und Experten machten Vorschläge, unter welchen Bedingungen eine digitale Verifizierung von Dokumenten möglich wäre. In diesem Zusammenhang wurde das belgische Modell vorgestellt: Hier versieht eine Online-Plattform Dritter alle geprüften Dokumente mit einer verschlüsselten Codierung und beugt somit Manipulationen vor. 

Auch auf EU-Ebene gibt es Bestrebungen, durch eine für 2022 vorgesehene Verordnung Kriterien und Standards aufzustellen, nach denen Legalisierungsverfahren harmonisiert werden. Für die angestrebten Verfahren sollen der elektronische Personalausweis mit PIN sowie eine Video-Identifikation mit PIN notwendig sein. Da nicht alle EU-Staaten die Sammlung biometrischer Daten erlauben, gestaltet sich die Einigung auf ein EU-weit standardisiertes Verfahren schwierig. Die teilnehmenden tunesischen und deutschen Notarinnen und Notare waren sich allerdings einig, dass sich eine Vereinfachung und Harmonisierung des Rechtsverkehrs auch digital widerspiegeln müsse. 

Tunesien ist zwar dem Haager Apostille-Übereinkommen beigetreten, im Verhältnis zu Deutschland gilt das Abkommen allerdings noch nicht (siehe Liste Auswärtiges Amt). Es fehlt also zurzeit ein allgemeingültiges und universell anerkanntes digitales Verfahren zur Qualifizierung und Legalisierung von Dokumenten, Siegeln, Unterschriften und Stempeln. Und auch in diesem Punkt waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einig: Ausschließlich durch eine App und Algorithmen ohne menschliche Kontrolle soll ein Beurkundungsprozess nicht ablaufen dürfen. 

Zum Hintergrund

Bereits seit 2011 führt die IRZ im Rahmen der institutionellen Zuwendung bilaterale Projekte zur Rechtsreform mit tunesischen Partnern durch. Diese sind derzeit im Arbeitsprogramm für den Zeitraum 2019 -2020 zwischen dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und dem tunesischen Justizministerium festgelegt. Im Rahmen dieses Arbeitsprogramms hat die IRZ eine Kooperation mit dem tunesischen Justizministerium und dadurch auch mit der tunesischen Notarkammer, die ihrerseits gute Beziehungen zur deutschen Bundesnotarkammer pflegt. Die Fortführung dieser Beziehung ist elementarer Bestandteil für die Verbesserung des Rechtsverkehrs zwischen Tunesien und Deutschland.