Online-Konferenz „Elektronischer Rechtsverkehr in Nordafrika“ mit der Bundesrechtsanwaltskammer

Grafik: IRZ
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Tunesien / Marokko / Algerien

Durch die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie ist das Thema Digitalisierung wie in vielen Lebens- und Arbeitsbereichen auch im Justizwesen noch stärker in den Fokus gerückt. Vor diesem Hintergrund hatte der Projektbereich Afrika der IRZ in diesem Jahr eine Veranstaltungsreihe konzipiert, die sich dem vielfältigen Themenbereich „Digitalisierung der Justiz“ widmete. Daran knüpfte die Regionalkonferenz „Elektronischer Rechtsverkehr in Nordafrika“ am 9. Dezember 2020 an. Die Online-Veranstaltung richtete die IRZ in Kooperation mit dem tunesischen Justizministerium und der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) aus. An der Konferenz, die gleichzeitig den Auftakt für eine Veranstaltungsreihe von IRZ und BRAK bildete, nahmen rund vierzig Justizangehörige aus Tunesien, Marokko und Algerien teil. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz finanzierte die Veranstaltung.

Während der ganztägigen Online-Konferenz ging es um folgende Themen: 

  • Stand der Digitalisierung der Justiz in Tunesien, Marokko und Algerien
  • elektronischer Rechtsverkehr in der Justiz und insbesondere in der Tätigkeit der Anwaltschaft in Deutschland
  • Datensicherheit im elektronischen Rechtsverkehr
  • Digitalisierung in der Anwaltschaft und in der Justizverwaltung in Deutschland

Die Teilnehmenden diskutierten ihre Erfahrungen zu diesen Themen im Kontext der jeweiligen Entwicklungen in Deutschland, Tunesien, Marokko und Algerien. Dabei wurde deutlich, dass trotz unterschiedlicher Herangehensweisen in den jeweiligen Ländern ähnliche Probleme bei der Digitalisierung der Justiz gelöst werden müssen.

Bei der Online-Konferenz waren folgende Institutionen vertreten:

  • die Rechtsanwaltskammern Tunesiens und Algeriens
  • die Notarkammer Tunesiens
  • die Justizministerien Tunesiens, Marokkos und Algerien
  • Gerichte Tunesiens, Marokkos und Algeriens

Alle Konferenzteilnehmenden sehen die Digitalisierung der Justiz als Chance. Sie waren sich einig, dass diese schnell vorangetrieben werden müsse. Bereits vor der COVID-19-Pandemie und der Schließung nahezu der gesamten Justizapparate in den nordafrikanischen Ländern habe sich gezeigt, wie dringend notwendig die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs sei. Im Vergleich zu anderen Bereichen sei der elektronische Rechtsverkehr in Nordafrika noch unterentwickelt: Klageschriften würden in Papierform eingereicht, es gebe fast keine elektronische Verbindung zwischen den Justizakteuren und die Angehörigen der Rechtspflege seien nicht ausreichend geschult.

Die Justiz und Anwaltschaft arbeiteten demzufolge sehr viel langsamer als es beispielsweise in Deutschland der Fall sei. Die Schließung der Gerichte durch die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie habe bei einer Abwicklung des Rechtsverkehrs in Papierform auch den großen Nachteil, dass der Zugang zum Recht für die Bürgerinnen und Bürger nicht nur erschwert, sondern vollständig unterbunden werde. Diese Situation habe das Vertrauen in den Rechtsstaat erschüttert und die Justiz von physischen Gegebenheiten abhängig gemacht. Digitale Verfahren seien deswegen unabdingbar für ein modernes Justizwesen.

Der Austausch auf der Konferenz war rege und unterstrich das ausgesprochen große Interesse der Teilnehmenden an dem facettenreichen und aktuellen Thema. Die IRZ plant, die Zusammenarbeit im Bereich E-Justiz in ihren nordafrikanischen Partnerstaaten fortzusetzen und zu intensivieren. Ziel ist es, eine Plattform zu schaffen, um sich über aktuelle Entwicklungen, Herausforderungen und Erfolge in den jeweiligen Ländern auszutauschen und dabei alle Justizakteure einzubeziehen.

Erfahrungsaustausch zum Thema „Alternative Strafen und Alternativen zur Untersuchungshaft“

Aus dem IRZ-Büro in Tunis zugeschaltet: Imed Derouiche (rechts), tunesischer Generalstaatsanwalt und Direktor der Justiz im tunesischen Justizministerium und Rechtsanwalt Mohamed Ben Said, Universitätsprofessor und Mitglied der Kommission zur Reform des tunesischen Strafgesetzbuchs
Aus dem IRZ-Büro in Tunis zugeschaltet: Imed Derouiche (rechts), tunesischer Generalstaatsanwalt und Direktor der Justiz im tunesischen Justizministerium und Rechtsanwalt Mohamed Ben Said, Universitätsprofessor und Mitglied der Kommission zur Reform des tunesischen Strafgesetzbuchs
Tunesien

Am 18. November 2020 veranstaltete die IRZ einen Online-Erfahrungsaustausch zum Thema „Alternative Strafen und Alternativen zur Untersuchungshaft“, zu dem neben Repräsentantinnen und Repräsentanten aus dem tunesischen Justizministerium auch zahlreiche Strafrichterinnen und Strafrichter verschiedener Gerichtsbezirke in Tunesien zugeschaltet waren. Die Veranstaltung fand statt im Rahmen des gemeinsamen Arbeitsprogramms über rechtliche Zusammenarbeit zwischen dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und dem tunesischen Justizministerium.

Für die IRZ nahmen folgende Experten teil:

  • Andreas Stüve, Oberstaatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf
  • Pascal Décarpes, Kriminologe und internationaler Berater auf den Gebieten Strafjustiz und Strafvollzug

Für die tunesischen Projektpartner wirkten mit:

  • Imed Derouiche, tunesischer Generalstaatsanwalt und Direktor der Justiz im tunesischen Justizministerium
  • Rechtsanwalt Mohamed Ben Said, Universitätsprofessor und Mitglied der Kommission zur Reform des tunesischen Strafgesetzbuches
  • Dr. Farid Ben Jeha, Vorsitzender Richter am Berufungsgericht in Monastir

Seit 2014 unterliegt die Strafgesetzgebung in Tunesien einer grundsätzlichen und umfassenden Reform. Damit soll auch im tunesischen Strafrecht unter anderem die Wahrung der Menschenrechte stärker verankert werden, wozu sich Tunesien durch die Ratifizierung zahlreichen internationaler Menschenrechtsabkommen verpflichtet hat. Die Reform strebt zudem an, durch effizientere Verfahrensabläufe und den Ausbau alternativer Strafsanktionen der Überlastung der Gerichte und Staatsanwaltschaften entgegenzuwirken und die stetig zunehmende Überbelegung der tunesischen Haftanstalten abzubauen. An diesem Aspekt setzte auch der Online-Erfahrungsaustausch an.

Die tunesischen Partner berichteten über die geplanten weitreichenden Neuregelungen im tunesischen Strafrecht, wie etwa in den Bereichen Definition von Straftatbeständen, der Strafzumessung und der Strafvollstreckung, die im Rahmen der aktuellen Reform vorgenommen werden sollen. Die Darstellung der Erfahrungen aus der deutschen Strafjustiz stellte insbesondere die Steigerung der Effizienz in Strafverfahren, die Strafzumessung und alternative Strafsanktionen mit dem Ziel der Begrenzung von Untersuchungshaft und der Vermeidung von Haftstrafen heraus. Die in Deutschland angewendeten alternativen Strafsanktionen, wie z.B. Geldstrafen und Bewährungsstrafen, finden auch in Tunesien in Ansätzen bereits Anwendung. Sie sollen jedoch im Rahmen der Strafrechtsreform künftig noch weiter ausgebaut werden. Und vor allem zu diesen Themenbereichen erhielten die tunesischen Partner während des Erfahrungsaustauschs zahlreiche wertvolle Anregungen, wofür das tunesische Justizministerium der IRZ auch seinen ausdrücklichen Dank aussprach.

Die IRZ wird daher ihre Zusammenarbeit mit der tunesischen Justiz im Bereich der alternativen Sanktionen fortsetzen und intensivieren.

Trinationaler Erfahrungsaustausch zum HKÜ mit Marokko und Tunesien

Grafik: IRZ
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Marokko / Tunesien

Am 5. November 2020 veranstaltete die IRZ gemeinsam mit dem marokkanischen und dem tunesischen Justizministerium einen Online-Erfahrungsaustausch zum Haager Übereinkommen vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ). Marokko ist seit 2010 Vertragsstaat des HKÜ . Die Bundesrepublik hat den Beitritt Marokkos bereits angenommen. Dieser Schritt steht bei Tunesien noch aus, das 2017 dem HKÜ beigetreten ist.

An dem Erfahrungsaustausch nahmen rund vierzig Vertreterinnen und Vertreter der Justizministerien und der Justiz beider Länder teil. Ebenfalls dabei war eine Vertreterin des Rechts-und Konsularreferats der Deutschen Botschaft in Rabat.

Für die IRZ begleiteten die Expertinnen Sabine Brieger, Richterin am Amtsgericht Pankow/Weißensee a.D. sowie Deutsche Verbindungsrichterin a.D., und Martina Erb-Klünemann, Richterin am Amtsgericht Hamm sowie Deutsche Verbindungsrichterin, die Veranstaltung.

Die Teilnehmenden tauschten sich zu folgenden drei Themenschwerpunkten aus:

  • Mechanismen und Instrumente in der nationalen Gesetzgebung zur Implementierung des HKÜ
  • Gerichtliche Rückführungsverfahren einschließlich Vollstreckung
  • Mediation in internationalen Kindschaftsverfahren

Zu den ersten zwei Themengebieten gab es jeweils Vorträge aus den beteiligten Ländern, um den aktuellen Stand der Entwicklungen darzustellen und sich über die gesammelten Erfahrungen auszutauschen. Zur Sprache kamen verschiedene Aspekte der praktischen Anwendung des Übereinkommens. Das HKÜ sieht beispielsweise die Unterstützung durch eine staatliche zentrale Behörde vor. In Deutschland übernimmt diese Funktion das Bundesamt für Justiz, wohingegen in Marokko und Tunesien das jeweilige Justizministerium als zentrale Behörde in internationalen Kindschaftsangelegenheiten zuständig ist. Die Teilnehmenden besprachen zudem die Besonderheiten der Verfahrensabläufe nach HKÜ. Abschließend stellte die deutsche Seite das Thema Mediation als Verfahrensweise im Zusammenhang mit dem HKÜ vor. Denn Mediation kommt bislang weder in Marokko noch in Tunesien zum Einsatz.

Die Regionalveranstaltung ermöglichte einen regen und vielseitigen Erfahrungsaustausch mit lebhaften Diskussionen. In Marokko und Tunesien besteht Interesse, Bedarf und der ausdrückliche Wunsch, die Zusammenarbeit fortzuführen und zu vertiefen. Deshalb plant die IRZ eine Folge-Veranstaltung für das kommende Jahr. Der Erfahrungsaustausch wurde durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz gefördert.